Sprachnachricht aus Syrien Getöteter Kämpfer sagte über IS: «Wir sind wie eine Familie»

Von Jennifer Furer, Bellinzona

11.8.2020

Der Hauptbeschuldigte vor Gericht. Der Prozess gegen ihn und einen weiteren Beschuldigten findet vom 10. bis 12. August am Bundesstrafgericht in Bellinzona statt. 
Der Hauptbeschuldigte vor Gericht. Der Prozess gegen ihn und einen weiteren Beschuldigten findet vom 10. bis 12. August am Bundesstrafgericht in Bellinzona statt. 
Keystone

Tag zwei im Islamisten-Prozess: Der Richter führt die Befragung der mutmasslichen Schweizer IS-Anhänger. Dabei wurde auch eine Sprachnachricht eines getöteten IS-Kämpfers abgespielt.

«Es hat Strom, Wasser und sogar eine Heizung», sagt eine männliche Stimme auf Hochdeutsch. Sie dringt durch den Gerichtssaal des Bundesstrafgerichts in Bellinzona. 

Die Stimme gehört dem deutschen Thaibox-Weltmeister Valdet Gashi. Er verkehrte oft in Winterthur und ist 2015 in Syrien ums Leben gekommen. Die genauen Umstände sind bis heute unklar. Bekannt ist aber, dass er für die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) gekämpft hat.

In der Sprachaufzeichnung, die im Jahr 2015 entstanden ist und an den Hauptbeschuldigten im Islamisten-Prozess gerichtet ist, sagt Gashi: «Wir sind wie eine Familie.» Es würden zig Kinder auf den Strassen in ihrem Dorf umherrennen, es gebe jemanden, der alles kontrolliere – wie die Polizei. «Jeder weiss, wo wer ist und was wer macht.»

«Es sterben mehr Leute bei Autounfällen als bei der Arbeit», sagt er lachend. Eine zweite Stimme ertönt. Sie gehört dem minderjährigen Schweizer, der zusammen mit seiner 15-jährigen Schwester nach Syrien gereist ist. «Die Leute, die mit wenig Geld hierhin gekommen sind, sind zufrieden.» Der Emir bestimme, was, wo und wie alles läuft. «Die einen arbeiten an der Grenze, andere gehen auf Missionen.»

Christen mit dem Schwert töten

Auf Fragen des vorsitzenden Richters beteuert der 34-jährige Beschuldigte, dass er nicht wisse, was genau mit «Arbeit» gemeint sei. Der Richter fragt weiter: «Es wird gesagt, dass der Staat entscheidet, wie alles abläuft. Was ist mit Staat gemeint?» Der Beschuldigte: «Das IS-Khalifat.»

Am ersten Prozesstag hat der Mann beteuert, dass er zwar nach Syrien gereist sei, sich aber nicht auf IS-Gebiet befunden habe, geschweige denn für die Miliz in Kampfhandlungen involviert gewesen sei. Dies wirft ihm die Staatsanwaltschaft vor (siehe Box).

Der Hauptbeschuldigte betritt am Montag das Gerichtsgebäude. Der Prozess gegen ihn und einen weiteren Beschuldigten findet vom 10. bis 12. August am Bundesstrafgericht in Bellinzona statt.
Der Hauptbeschuldigte betritt am Montag das Gerichtsgebäude. Der Prozess gegen ihn und einen weiteren Beschuldigten findet vom 10. bis 12. August am Bundesstrafgericht in Bellinzona statt.
Keystone

Dem Familienvater wird auch angelastet, Gewaltdarstellungen besessen und verbreitet zu haben. Auf diesen werde etwa der Märtyrertod verherrlicht und dazu aufgerufen, «Ungläubige» sowie Christen mit dem Schwert zu töten. Zudem habe er ein Hinrichtungsvideo gespeichert, auf dem Menschen erschossen und enthauptet werden.

«Ich weiss heute, dass dies barbarisch und nicht menschlich ist», so der Beschuldigte. Er habe früher gedacht, Gewalt müsse mit Gewalt bekämpft werden. Heute verabscheue er den IS beziehungsweise deren Vorgänger- und Teilorganisationen.

Er habe sich selbst entradikalisiert, meinte der Beschuldigte vor Gericht. An einem Deradikalisierungsprogramm habe er nie teilgenommen. Auf die Frage des Richters, wie er zur Demokratie stehe, sagte der 34-Jährige: «Wie jeder normale Bürger, sonst wäre ich heute nicht hier. Ich sehe keinen Grund, diese nicht zu beachten. Ich achte auf Schweizer Gesetze.»

Der Beschuldigte meinte zudem, dass er nie versucht habe, Leute zu beeinflussen oder gar zu rekrutieren. «Ich war ein Sympathisant», gab er zu. «Aber ich habe nie mit jemandem über eine Reise nach Syrien und wie man dorthin kommt, gesprochen.»

Beschuldigte beteuern ihre Unschuld

Er meinte zudem, dass er keine Gewaltdarstellungen gespeichert habe. «Diese wurden automatisch heruntergeladen, nachdem sie mir in einem Chat zugeschickt wurden.» Er habe IS-Propagandamaterial nur im engsten Kreis herumgeschickt. «Ich habe keine Drittperson damit zu beeinflussen versucht.» Er bedaure, dass er eine Zeit lang solche Sympathien für den IS gehegt habe.

Auch der zweite Beschuldigte, ein heute 36-Jähriger, musste sich am Dienstag erneut den Fragen der Richter stellen. Er verweigerte die Aussagen praktisch immer. Ausser, wenn es darum ging, seine Unschuld zu beteuern. «Ich habe nie mit einer extremistischen Organisation sympathisiert oder sie unterstützt», sagte er.

Der zweite Beschuldigte soll eine 15-Jährige geschwängert haben, die später nach Syrien reiste.
Der zweite Beschuldigte soll eine 15-Jährige geschwängert haben, die später nach Syrien reiste.
Keystone

Als die Staatsanwältin ihn fragte, weshalb er Bilder von minderjährigen Mädchen gespeichert habe, sagte der Mann das Gleiche wie der erste Beschuldigte: Diese seien ihm über die Plattform Telegramm geschickt worden. Selbst abgespeichert habe er sie nie.

Der Prozess geht heute mit den Plädoyers der Staatsanwaltschaft und der Verteidiger weiter.

Was bisher geschah

Am Montag wurden die beiden Angeklagten vom Gericht vernommen. Dem ersten Beschuldigten wird vorgeworfen, in Syrien für den Islamischen Staat (IS) beziehungsweise deren Vor- oder Teilorganisationen gekämpft und Menschen aus dem Umfeld der umstrittenen Winterthurer An'Nur-Moschee rekrutiert zu haben.

Laut der Anklage hat der IS zum Zeitpunkt des Aufenthalts des Beschuldigten in Syrien «unzählige terroristische Aktivitäten» begangen – etwa gegen Zivilisten gerichtete Selbstmordattentate, den Einsatz von Chemiewaffen, sexuelle Gewalt gegen die Bevölkerung oder Exekutionen.

Dem 34-jährigen Beschuldigten wird zudem zur Last gelegt, einschlägiges Propagandamaterial hergestellt sowie Gewaltdarstellungen besessen zu haben.

Der Beschuldigte bestreitet die Vorwürfe.

Zweiter Beschuldigter

Vor dem Bundesstrafgericht muss sich ein zweiter Beschuldigter verantworten. Auch er wird heute noch befragt. Dem 36-Jährigen wirft die Bundesanwaltschaft vor, sich an einer kriminellen Organisation beteiligt zu haben, im Besitz von Gewaltdarstellungen gewesen zu sein und Pornografie sowie sexuelle Handlungen mit Kindern vollzogen zu haben.

Laut der Bundesanwaltschaft wollte sich der Mann ebenfalls dem IS in Syrien anschliessen. Allerdings sei er in Mazedonien an seiner Weiterreise nach Syrien gehindert worden.

Die Bundesanwaltschaft geht davon aus, dass er mit einer damals noch 15-Jährigen intim geworden sei – was sie und er bestreiten. Die 15-Jährige soll sich zusammen mit ihrem Bruder radikalisiert haben und nach Syrien gereist sein.

Der Beschuldigte bestreitet die Vorwürfe.

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