15-Jährige geschwängert?Vater will nicht gegen mutmasslichen IS-Anhänger aussagen
Von Jennifer Furer, Bellinzona
10.8.2020
Zwei mutmassliche Schweizer Islamisten müssen sich ab heute vor dem Bundesstrafgericht verantworten. Einer davon soll Sex mit einer 15-Jährigen gehabt haben – auch diese wurde als Zeugin einvernommen.
In der Mitte des Gerichtssaals vor den drei Richtern sitzt ein Mann mit Schnurrbart, blauem und kurzarmigen Hemd. Links neben ihm sitzen die zwei Beschuldigten und blicken den Zeugen an. Hinten im Publikum haben Bekannte der beiden Angeklagten Platz genommen.
Letztere standen am Montag vor Gericht, weil ihnen die Bundesanwaltschaft unter anderem die Beteiligung an einer kriminellen Organisation, konkret dem Islamischen Staat, beziehungsweise Vor- oder Teilorganisationen davon, vorwirft. Sie sollen zudem Leute aus dem Umfeld der umstrittenen Winterthurer An'Nur-Mosche für den Jihad in Syrien rekrutiert haben.
Der Zeuge, auf den alle Augen gerichtet waren, ist der Vater eines Geschwisterpaares, das von den Beschuldigten für den IS rekrutiert worden sei. Die Beiden, eine damals 15-Jährige und ein damals 16-Jähriger, reisten an Weihnachten 2014 nach Syrien. 13 Monate später kehrten sie zurück.
Vater und Schwester als Zeugen vorgeladen
Die Bundesanwaltschaft wirft dem zweiten Angeklagten vor, Sex mit der damals noch 15-jährigen Tochter des Zeugens gehabt zu haben. Vor Gericht bestritt der heute 36-Jährige, die damals 15-Jährige emotional an sich gebunden und ihren Wunsch, zum IS zu reisen, bestärkt zu haben.
«Die beiden Beschuldigten haben nichts mit der Reise meiner Kinder zu tun», meinte auch der Zeuge, also der Vater der damals 15-Jährigen, gleich zu Beginn seiner Befragung – und zur Verwunderung vieler Beteiligten. Schliesslich sagte er gegenüber den Strafverfolgungsbehörden immer wieder, dass er befürchte, dass die beiden etwas «mit der Geschichte» zu tun haben.
Was bisher geschah
Am Montag wurden die beiden Beschuldigten vom Gericht vernommen. Dem ersten Beschuldigten wird vorgeworfen in Syrien für den Islamischen Staat (IS), beziehungsweise deren Vor- oder Teilorganisationen, gekämpft und Menschen aus dem Umfeld der umstrittenen Winterthurer An'Nur-Moschee für den Jihad in Syrien rekrutiert zu haben.
Laut der Anklage hat der Islamische Staat zum Zeitpunkt des Aufenthalts des Beschuldigten in Syrien «unzählige terroristische Aktivitäten» begangen – etwa gegen Zivilisten gerichtete Selbstmordattentate, den Einsatz von Chemiewaffen, sexuelle Gewalt gegen die Bevölkerung oder Exekutionen.
Dem 34-jährigen Beschuldigten wird zudem zur Last gelegt, einschlägiges Propagandamaterial hergestellt sowie Gewaltdarstellungen besessen zu haben.
Der Beschuldigte bestritt die Vorwürfe.
Zweiter Beschuldigter
Vor dem Bundesstrafgericht muss sich ein zweiter Beschuldigter verantworten. Auch er wurde am Montag vom Gericht befragt. Dem 36-Jährigen wirft die Bundesanwaltschaft vor, sich an einer kriminellen Organisation beteiligt zu haben, im Besitz von Gewaltdarstellungen gewesen zu sein und Pornografie sowie sexuelle Handlungen mit Kindern vollzogen zu haben.
Laut der Bundesanwaltschaft wollte sich der Mann ebenfalls dem IS in Syrien anschliessen. Allerdings sei der Mann in Mazedonien an seiner Reise nach Syrien gehindert worden.
Die Bundesanwaltschaft geht davon aus, dass er mit einer damals noch 15-Jährigen intim geworden sei. Die 15-Jährige soll sich zusammen mit ihrem Bruder radikalisiert haben und nach Syrien gereist sein.
Der Beschuldigte bestritt die Vorwürfe.
Vor Gericht sagte er, dass seine Vermutungen auf Hörensagen basiert hätten, er im Nachhinein aber wisse, dass diese nicht stimmen würden. Der Vater wisse bis heute nicht, wer die Reise seiner Kinder nach Syrien finanziert habe. Auch bestritt der Vater, über eine mögliche Rolle der beiden Beschuldigten im Leben seiner Kinder gewusst zu haben.
Über den zweiten Beschuldigten, der mit seiner Tochter Sex gehabt und sie sogar geschwängert haben soll, sagte der Vater: «Ich kenne diesen Mann nicht.» Selbes wird auch die Tochter bei ihrer Zeugenaussage später sagen.
Als der Richter den Vater fragte, ob er Repressionen befürchte, wenn er alle Informationen vor Gericht preisgebe, die er habe, verneinte er. Der Vater beteuerte auch, keine Absprachen mit den Beschuldigten oder sonst wem vorgenommen zu haben.
Der Vater sagte auf eine Frage der einen Richterin, dass er schon eine gewisse Wut auf die Behörden habe – vom Telefon, das seine Frau der Bundesanwaltschaft gemacht habe, wisse er aber nichts. Diese rief bei der Behörde an und sagte, dass diese dafür verantwortlich sei, dass ihre Familie zerstört worden sei.
Schwester beteuert Nicht-Schwangerschaft
Wie auch ihr Vater wollte die Schwester des Geschwisterpaares, das nach Syrien reiste, ihre Aussage verweigern. Ein Zeugnisverweigerungsrecht hat sie jedoch gegenüber den Beschuldigten nicht – würde sie von einem solchen dennoch Gebrauch machen, droht ihr ein Strafverfahren.
Als der Richter die Schwester darauf hinwies, glich ihr Aussageverhalten dem ihres Vaters. Sie bestritt aber, sich mit ihm abgesprochen zu haben.
Die Schwester sagte als Zeugin aus, dass sie nicht mehr hinter ihren früheren Aussagen stehe. In diesen sagte sie, dass sie die beiden Beschuldigten als Verantwortliche sah, dass ihre beiden Geschwister für den IS rekrutiert worden und nach Syrien gereist seien.
«Alles, was ich früher gesagt habe, basiert auf Behauptungen, auf Sachen, die ich gehört habe. Ich habe diese damals für wahr empfunden. Ich wusste aber nicht, was wahr oder falsch ist», sagte die Schwester am Montag vor Gericht.
Sie sei damals emotional nicht fähig gewesen, Aussagen zu machen. «Heute weiss ich aber zu 100 Prozent, dass die Beschuldigten nichts mit der Sache zu tun haben.»
Die Frau behauptete zudem, dass ein Arzt festgestellt hätte, dass ihre Schwester gar nie schwanger gewesen sei. Als die Staatsanwältin wissen wollte, um was für einen Bericht es sich dabei genau handelte, wollte oder konnte die Schwester keine genaueren Angaben machen. Der Arztbericht sei aber gerichtlich bekannt.
Darauf die Staatsanwältin: «Sie meinen wohl den Bericht, der zwei Jahre nach einer mutmasslichen Schwangerschaft erstellt worden sei.» Jener Bericht, der nach diesem Zeitpunkt noch zeigen sollte, dass die Schwester Schwangerschaftshormone in sich habe – oder eben nicht.
Damals 15-Jährige bestreitet sexuelle Handlungen
Die damals 15-jährige Syrien-Rückkehrerin, die ebenfalls vom Gericht als Zeugin einvernommen wurde, bestritt, den Beschuldigten zu kennen, der mit ihr sexuelle Handlungen vollzogen haben soll. Die Richterin sagte, dass zahlreiche Telefonverbindungen zwischen der heute 21-Jährigen und dem Mann nachgewiesen werden können. Sie sagte, dass wahrscheinlich ihr Bruder ihr Handy benutzt habe.
Sie könne sich nicht erklären, wieso Menschen behaupten würden, sie sei mit dem Beschuldigten intim geworden. Sie sei von ihm nicht schwanger geworden und sie habe in Syrien keine Fehlgeburt erlitten, sagte die heute 21-Jährige – auch, wenn sie dies in Chats und Telefonaten gesagt haben soll.
Die damals 15-Jährige sagte zudem, sie habe vor ihrer Syrien-Reise mit niemandem über ihr Vorhaben gesprochen – ausser mit ihrem Bruder. Sie sei zusammen mit ihm mit dem Taxi zum Flughafen gefahren, um nach Syrien zu reisen. Das Geld für diese Fahrt habe von ihrem Bruder gestammt. Dieser habe ohnehin alles geregelt, um ins IS-Gebiet zu gelangen. «Ich bin ihm einfach gefolgt», sagte die 21-Jähriger.
Wie ihre Schwester und ihr Vater zuvor, betonte Sie, dass beide Beschuldigten nichts mit ihrer Reise nach Syrien zu tun gehabt haben.
Der Prozess geht am Dienstag weiter. Die Staatsanwaltschaft und die beiden Verteidiger werden ihre Plädoyers halten – und auch ihre Anträge bekannt geben.