Frauen in der Forschung – Teil 1/2«Mädchen lernen, sich nicht für Wissenschaft zu interessieren»
Vanessa Büchel
20.7.2024
Nach wie vor sind deutlich weniger Frauen in der Wissenschaft tätig. Lea Caminada ist Teilchenphysikerin am CERN. Sie glaubt, dass das Problem mit festgefahrenen Strukturen und unterdrückten Träumen zu tun hat.
Vanessa Büchel
20.07.2024, 18:00
22.07.2024, 06:19
Vanessa Büchel
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Nach wie vor gibt es deutlich weniger Frauen als Männer in der Wissenschaft.
Lea Caminada ist Teilchenphysikerin und Teil der CMS-Kollaboration am CERN.
Sie glaubt, dass der tiefe Frauenanteil mit festgefahrenen Strukturen zusammenhängt.
Ausserdem solle man Mädchen nicht entmutigen, sich für wissenschaftliche Themen zu interessieren.
Mädchen träumen davon, Prinzessin, Tierärztin oder Wissenschaftlerin zu werden. So war es bei Lea Caminada zwar nicht ganz, aber sie ist heute eine der Frauen in der Wissenschaft. Nach wie vor gibt es von ihnen viel weniger in der Forschung als Männer.
Laut dem Bundesamt für Statistik (BFS) nimmt ihr Anteil seit Anfang 2000 zwar stetig zu, im Jahr 2021 lag der Frauenanteil in Schweizer Forschungsteams jedoch bei 37,5 Prozent.
Und deutlich zeigt sich auch: Der Frauenanteil nimmt vor allem ab, je höher man die Stufen der wissenschaftlichen Karriereleiter hinaufsteigt. Dies sieht auch Caminada so, wie sie im Gespräch mit blue News sagt: «Im Studium ist der Anteil der Geschlechter noch ausgeglichener, später in der Karriere trifft man dann aber auf deutlich weniger Frauen.»
Als Kind hatte Caminada noch keine genaue Vorstellung davon, was es heisst, Teilchenphysikerin zu sein. «Ich hatte kein Berufsbild vor meinem inneren Auge, aber ich bin einfach immer dem gefolgt, was mich interessiert hat, und so ergab sich dann eins nach dem anderen.»
Die an der ETH ausgebildete Teilchenphysikerin glaubt, dass der niedrige Frauenanteil in der Wissenschaft auch mit dem Unconscious-Bias-Effekt zusammenhängt, der laut ihren Aussagen belegt ist und zum Beispiel dadurch sichtbar wird, dass Männernamen bereits bei der Bewerbung anders beurteilt werden, als wenn der Name einer Frau auf dem Dossier steht. «Auch die Tatsache, dass die meisten oder viele der Führungspersonen Männer sind, spielt mit.»
Benachteiligt gefühlt habe sich Caminada in ihrem Job aber bisher nie direkt. Häufig gäbe es Kommentare, die sie einstecken müsse.
«Es ist frustrierend, dass Frauen statisch gesehen eine kleinere Chance haben, eine Stelle zu bekommen, aber wie man an meinem Beispiel sieht – wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Man kann als Frau grossartige Dinge erreichen, und ich persönlich bin sehr zufrieden damit, wo ich heute bin und was ich erreicht habe.»
Grosse Detektoren für kleine Teilchen
Caminada hat viel für die Forschung geleistet. Sie ist Physikprofessorin an der Universität Zürich und arbeitet als Forscherin am Paul-Scherrer-Institut (PSI) in Villigen AG. Dort war sie Teil des Forschungsteams, das sich mit dem Bau des innersten Teils des CMS-Detektors beschäftigte, des sogenannten Pixeldetektors.
Auf diese Leistung ist Caminada besonders stolz. Denn der Pixeldetektor kam 2012 bei einem wichtigen Ereignis zum Einsatz und leistet bis heute wichtige Arbeit: Damals entdeckte man am Europäischen Teilchenphysiklabor (CERN) in Genf das sogenannte Higgs-Boson.
Der Alltag Caminadas hat viel mit Teilchen und deren Kollision zu tun. Sie führt aus: «Die Idee von Teilchen ist schon sehr alt und gab es bereits zu Zeiten der alten Griechen, die sich vorgestellt haben, dass alles aus Atomen besteht.» Forscher würden sozusagen nach den kleinsten Bausteinen suchen, die es gibt. Und für die Erforschung dieser ganz, ganz kleinen Teilchen brauche es häufig ganz, ganz grosse Maschinen.
«Der CMS-Detektor ist 15 Meter hoch und 22 Meter lang. Und der Teilchenbeschleuniger am CERN, den wir benutzen, ist ein 27 Kilometer langer Ring, der sich 100 Meter unter der Erde befindet.»
«Mädchen sollten sich nicht entmutigen lassen»
Wenn Caminada gegenüber Gesprächspartner*innen erwähne, dass sie am CERN arbeite, würden die meisten grosses Interesse zeigen und gespannt Fragen stellen. Doch erwähne sie lediglich, Physikerin zu sein, würden die Reaktionen ganz anders ausfallen. «Viele nehmen dann eine Abwehrhaltung ein und meinen, dass sie davon sowieso nichts verstehen würden.»
Vor allem bei Frauen nehme sie dieses Verhalten häufiger wahr. Die gebürtige Zürcherin glaubt: «Die Gesellschaft hat ihnen beigebracht, dass sie sich nicht für die Wissenschaft zu interessieren haben.»
Ansetzen sollte man bereits im jungen Alter, wie Caminada findet. «Ich würde Mädchen raten, dabei zu bleiben und sich nicht entmutigen zu lassen.» Denn viele würden sich an einem gewissen Punkt zwar für Zahlen interessieren, diese Neugierde dann aber irgendwann ablegen, weil man ihnen weismache, es sei nicht wichtig für sie, rechnen zu können.
«Kinder wollen wissen, wie Dinge funktionieren, und ich glaube, dass das Grundinteresse bei allen Kindern da ist – egal, ob Bub oder Mädchen.»
Für Interessierte würde es am CERN, am PSI oder auch an der Universität Zürich Kindervorlesungen oder Tage der offenen Tür geben. Caminada sagt: «Es findet generell ein Umdenken und Aufbruch statt. Im wissenschaftlichen Umfeld zeigt sich aktuell ein grösseres Bewusstsein, auch strukturelle Sachen zu verändern.» Gerade würden ganz viele Sachen passieren, aber es müsse sich noch sehr viel tun, um ein ausgeglichener Anteil der Geschlechter zu erreichen.
Das Modell der internationalen Zusammenarbeit
Für die Zukunft wünscht sich die Zürcherin, dass die Welt wieder mehr zur Vernunft zurückkehrt. Sie zieht den Vergleich zu internationalen Forschungskollaborationen wie dem CMS-Projekt, an dem Forscher*innen aus der ganzen Welt zusammenarbeiten, um grosse offene Fragen zu beantworten.
«Ich hoffe, dass die Menschen wieder lernen, friedlicher miteinander zu sein und zusammenzuhalten. Wie man bei uns am CERN oder auch an der UNO sieht, kann das Modell der internationalen Zusammenarbeit funktionieren.» Und dabei sollte es laut Caminada keine Rolle spielen, ob Mann oder Frau.
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