SP und die Gleichstellung«Wie viele Frauen mussten schon für Männer zurückstecken?»
Von Alex Rudolf
10.11.2022
Die Basler Ständerätin Eva Herzog will in den Bundesrat
Nachdem die Berner Regierungsrätin Evi Allemann gestern ihre Kandidatur bekannt gab, steigt heute auch die Basler Ständerätin Eva Herzog ins Rennen um die Nachfolge von Simonetta Sommaruga.
10.11.2022
Für Maya Graf vom Frauenverband Alliance F gehören mindestens drei Frauen in den Bundesrat. Fühlt sich ein Mann diskriminiert, weil er einer Frau den Vortritt lassen muss, sagt sie: Keiner hat Anspruch auf ein Amt.
Ständerätin Maya Graf (Grüne/BL) ist Co-Präsidentin von Alliance F, dem grössten Frauen-Dachverband der Schweiz. Eine ihrer Forderungen: Frauen sollen angemessen im Bundesrat vertreten sein. Wie dies erreicht wird, bleibt aber offen.
Frau Graf, in den vergangenen Tagen gab es zahlreiche Absagen von möglichen Sommaruga-Nachfolgerinnen. Sind Sie froh, dass mit Allemann und Herzog zwei Frauen gefunden wurden?
Ich habe nichts anderes erwartet, da es bei der SP viele valable Politikerinnen gibt, die Erfahrungen auf allen Staatsebenen vorweisen können.
Nach und nach erteilten Parteigrössen einer Kandidatur eine Abfuhr. Wurden Sie nie unruhig?
Nein, denn auch bei der SVP gab es sehr viele Absagen – insbesondere von Frauen, aber auch von Männern. Es ist normal, dass sich mögliche Bundesratskandidat*innen genau überlegen, ob sie diese Verantwortung auf sich nehmen wollen und ob sie diese Leistungsbereitschaft aufweisen. Diese Gedanken hängen nicht vom Geschlecht ab.
Daniel Jositsch sprach im Zusammenhang mit einem reinen Frauen-Ticket von Diskriminierung. Was halten Sie davon?
Dem muss ich vorausschicken, dass wir von Alliance F keine partei- oder fraktionsinternen Entscheide kommentieren. Wir sind ein überparteiliches Frauenbündnis. Allgemein halte ich fest: Alliance F erwartet von der Bundesversammlung, dass sie bei jeder Bundesratswahl die angemessene Vertretung der Geschlechter achtet. Es müssen also immer mindestens drei Frauen im Bundesrat sitzen.
Festgeschrieben ist dies aber nirgends.
Nach der Wahl von Ignazio Cassis 2017 sassen mit Simonetta Sommaruga und Doris Leuthard nur noch zwei Frauen in der Regierung. Das ist zu wenig. Unsere Bestrebungen, wonach neben Sprachregionen und Landesgegenden auch das Geschlecht als Vertretungsmerkmal in der Verfassung festgeschrieben werden sollte, blieben chancenlos. Unisono war die Begründung, dass man eine angemessene Geschlechtervertretung in Zukunft als ungeschriebenes Gesetz betrachten könne.
Damit Frauen auch angemessen im Bundesrat vertreten sind, müssen sie auch aufs Ticket kommen. Löst man dies wie die SP, wird Kritik von Männern wie Daniel Jositsch laut, die sich diskriminiert fühlen.
Wir werden uns zu den Kandidaturen äussern, wenn die offiziellen Tickets bekannt sind. Dass wir uns aber in eine innerparteiliche Diskussion einmischen, wäre deplatziert. Für uns ist entscheidend, wer tatsächlich von der Fraktion nominiert wird, das gilt auch für die SVP.
Aber bereits jetzt diskutiert die Schweiz über eine Benachteiligung von Männern.
123 Jahre haben die Männer allein regiert, seit 1984 waren neun Frauen Bundesrätinnen. Die Frage scheint also geklärt, selbstverständlich bei gleicher Qualifikation wie unter anderem der Exekutiverfahrung.
Eine solche weist Daniel Jositsch im Gegensatz zu Herzog und Allemann nicht auf.
Ja, es ist erstaunlich. Das thematisiert bei einem Mann niemand.
Was sagen Sie Männern, die aufgrund von Frauen-Kandidaturen zurückstecken müssen?
Stellen wir doch die Frage umgekehrt: Wie viele Frauen mussten schon zurückstecken, weil Männer Machtpositionen wollten? Und zudem: Es gibt viele Gründe, warum jemand für einen Sitz im Bundesrat nicht infrage kommt. Etwa, weil sie oder er nicht aus der richtigen Gegend kommt, in der richtigen Partei sitzt oder nicht die richtige Muttersprache spricht. Niemand hat Anspruch auf ein Amt.
Eva Herzog ist 60-jährig, worauf sie an ihrer Medienkonferenz mehrmals angesprochen wurde. Bei Männern würde das Alter nicht besprochen, beklagte sie. Hat sie recht?
Ja, hat sie. Männer können mit 60 noch für jedes Amt kandidieren, in gewissen Ländern werden gar 80-Jährige zum Präsidenten gewählt. Bei Frauen wird Alter zum Kriterium, wenn alle Leistungen stimmen. Es gibt immer etwas zu mäkeln. Eva Herzog sagte es heute treffend: Als sie sich zuletzt für das Bundesratsamt interessierte, schrieben die Medien, ihre Kinder seien wohl noch zu klein. Bei Alain Berset, der bei seiner Wahl ebenfalls schulpflichtige Kinder hatte, fragte niemand danach.
Bräuchte es im Bundesrat die Vertretung junger Mütter, wie sie die SP-Nationalrätinnen Tamara Funiciello und Samira Marti fordern?
Es ist sehr wichtig, dass der Bundesrat die Vielfalt unserer Gesellschaft abbildet – dazu gehören auch Väter und Mütter mit noch kleinen Kindern. Sonst fühlt sich die Bevölkerung nicht gut vertreten. Ich möchte festhalten: Dass dies so erfüllt wird, ist Aufgabe der Parteien und es braucht endlich bessere Rahmenbedingungen, sprich Kinderkrippen.
Zum Schluss noch eine Frage an die Ständerätin und nicht die Alliance-F-Co-Präsidentin Maya Graf. Welche Bedeutung hätte die Wahl einer Baslerin in den Bundesrat nach 50 Jahren ohne Vertretung?
Über die Kandidatur bin ich als Ständeratskollegin von Eva Herzog sehr erfreut und unterstütze sie. Für die ganze Nordwestschweiz ist der Einsitz in den Bundesrat enorm wichtig. Gerade in der heutigen Zeit brauchen wir eine sichtbare und verlässliche Stimme aus der Region Basel im Bundesrat. Eva Herzog würde auch dem bedeutenden Wirtschafts-, Forschungs- und Wissensstandort Basel und der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit ein Gesicht geben im Bundesrat.
Muss zwingend eine Frau Simonetta Sommaruga beerben? Diskutiere mit und schreibe einen Kommentar.