Staatsleugner und Querulanten «Es handelt sich nicht nur um eine Handvoll Spinner»

Von Andreas Fischer

10.1.2023

Die Proteste gegen Corona-Massnahmen haben Staatsverweigerer ermutigt, sich aus der Deckung zu wagen.
Die Proteste gegen Corona-Massnahmen haben Staatsverweigerer ermutigt, sich aus der Deckung zu wagen.
Keystone

Staatsleugner geben in einigen Kantonen immer häufiger zu reden. Doch wie gross ist das Problem in der Schweiz wirklich? Und welchen Einfluss haben die deutschen Reichsbürger auf die Szene? Eine Bestandsaufnahme.

Von Andreas Fischer

Die Schweiz ist kein Staat, sondern eine Firma, die den Menschen das Geld aus der Tasche zieht: Im Kanton Zürich haben die Statthalter derzeit ein grossen Problem mit Bürgerinnen und Bürgern, die den Staat fundamental ablehnen. Sie bezahlen keine Bussen, ignorieren die Behörden, verweigern sich jeglicher staatlicher Autorität.

Aber sind es wirklich nur Querulanten mit wilden Verschwörungstheorien, die den Ämtern das Leben schwer machen? Oder gibt die offenbar zunehmende Verbreitung staatsablehnender Ideologen in der Schweiz Anlass zur Sorge?

«Bereits in der Vergangenheit war die Einschätzung, dass es sich um Spinner handelt, nicht gerechtfertigt», hatte der Soziologe Dirk Baier von der ZHAW erst kürzlich gewarnt. Anfang Dezember war in einem grossen Polizeieinsatz in Deutschland eine Verschwörergruppe sogenannter «Reichsbürger» zerschlagen worden: Angeführt von dem Adligen Heinrich XIII. Prinz Reuss verfolgten sie konkrete Umsturzpläne, waren bewaffnet und hatten offenbar bereits Ministerposten vergeben.

Die Armee sollte den Bundesrat verhaften

«Auch wenn die Ideen tatsächlich wie Spinnereien erscheinen, sind die Reichsbürger alles andere als harmlos», gab Extremismusforscher Baier gegenüber blue News zu Bedenken. Ihre Überzeugungen jedenfalls scheinen auch in der Schweiz immer mehr Fuss zu fassen, wie die «Querulanten» in den Zürcher Ämtern beispielhaft zeigen.

Diese fallen nicht nur mit ihrer Verweigerungshaltung und kruden Verschwörungstheorien auf. Im Dezember 2020 hatte ein Gastro-Unternehmer dem Vizechef der Armee per Einschreiben befohlen, den Bundesrat zu verhaften und für mindestens drei Jahre in Schweizer Gefängnisse einzusperren, wie «Republik» berichtet.

Ausserdem hatte der Unternehmer gleich auch noch der damaligen Bundesrätin Simonetta Sommaruga gekündigt und vom ehemaligen Finanzminister Ueli Maurer die von der «Firma Eidgenossenschaft zu Unrecht erhobenen Steuern der letzten zehn Jahre» zurückgefordert.

Nachrichtendienst beobachtet die Szene kaum

Staatsleugner werden in der Schweiz sichtbarer. In manchen Kantonen wie etwa dem Thurgau beschäftigten laut Baier «selbstverwalterische Querulanten die Behörden doch recht stark». Auch im Baselbiet und im Kanton St. Gallen häufen sich laut SRF entsprechende Vorkommnisse.

Die seien zwar allesamt vergleichsweise harmlos, wenn man den beträchtlichen Mehraufwand für die Behörden und einen rauen Umgangston ausser Acht lässt. Doch auch wenn gewalttätige Fälle in der Schweiz bislang noch nicht bekannt sind, befürchtet der Soziologe Marko Kovic: «Wenn es aber in Zukunft eine Bewegung in diese Richtung geben sollte, dann könnte aus der radikalisierten Breite auch eine gewaltbereite Spitze entstehen.»

Wie gross die Szene sei, wisse man laut Dirk Baier derzeit schlicht nicht. «Leider werden die Reichsbürger oder besser Staatsleugner oder Staatsverweigerer in der Schweiz nicht vom Nachrichtendienst derart beobachtet, wie das der Verfassungsschutz in Deutschland tut.»

Auf Nachfrage hält sich der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) bedeckt. Das Phänomen «Reichsbürger» und ähnliche treten vor allem in Deutschland und Österreich auf, heisst es in einer schriftlichen Antwort auf eine Medienanfrage von blue News. «Einzelne Aktivitäten wurden auch in der Schweiz verzeichnet. Gewalttätige Aktivitäten in der Schweiz konnte der NDB bisher nicht verzeichnen.»

Ansonsten bearbeite der NDB «allfällige Hinweise auf Tätigkeiten von gewalttätig-extremistischen Gruppierungen oder Personen» im Rahmen seines gesetzlichen Auftrags und äussert sich nicht «über die Anzahl der Personen, die in bestimmten Gruppierungen involviert sind».

Reichsbürger könnten auch für die Schweiz gefährlich werden

In Deutschland ist man etwas wachsamer und veröffentlicht regelmässig Zahlen. Derzeit geht der Verfassungsschutz von ungefähr 23’000 Reichsbürgern aus, die teilweise der gewaltbereiten rechts-extremen Szene zugeordnet werden.

Wie weit die Schweizer Staatsleugner mit diesen deutschen Reichsbürgern vernetzt sind, lässt sich nicht sagen. Dafür sind die Szenen in beiden Ländern zu heterogen. «Sorge bereitet mir, dass das in Deutschland offengelegte Reichsbürger-Netzwerk zur Nachahmung motiviert», sagt Dirk Baier in der «Neuen Zürcher Zeitung».

In der deutschen NGO Violence Prävention Network, die sich mit Extremismus­prävention und der Deradikalisierung extremistisch motivierter Gewalttäter beschäftigt, konnte man eine entsprechende Anfrage zur Vernetzung kurzfristig nicht beantworten, hat sie aber an den Leiter der Abteilung Rechtsextremismus weitergeleitet: «Wir subsummieren diese Klientel unter diesem Label, da es sich in der Tat nicht nur um eine Handvoll Spinner handelt.»

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