Von Protestcamp bis MorddrohungSchweizer Geothermie-Kraftwerk stösst auf erbitterten Widerstand
twei
23.7.2023
Der Bund hat das erste Schweizer Geothermie-Kraftwerk zum Hoffnungsträger auserkoren. Doch im Jura formiert sich Widerstand – auch ausserhalb juristischer Grenzen.
twei
23.07.2023, 18:30
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Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
Das erste Schweizer Geothermie-Kraftwerk ist für den Bund ein Schritt in Richtung Energiewende.
Der Protest gegen die geplante Anlage im Kanton Jura ist gross – inklusive Protestcamp und Morddrohungen.
Dennoch ist juristisch alles klar: Das Bauprojekt soll umgesetzt werden. Erste Testbohrungen sind 2024 geplant.
Wie viel Hoffnung der Bund in dieses Energieprojekt steckt, zeigen schon die Zahlen: 90 Millionen Franken sollen in ein Geothermie-Kraftwerk fliessen, das im Kanton Jura hochgezogen werden soll. Im Rahmen der Energiewende kommt der Anlage, die im jurassischen Haute-Sorne entstehen soll, eine Schlüsselrolle zu.
Das Geothermie-Kraftwerk kann Strom für eine halbe Million Haushalte erzeugen – davon sind ihre Verantwortlichen und Unterstützer überzeugt. Sie sei nötig, damit die Schweiz ihre Co2-Ziele erreichen kann.
Die Erdwärme-Anlage befördert Wasser aus fünf Kilometern Tiefe an die Oberfläche. Dieses heisse Wasser aus dem Erdinnern bringt Turbinen Gang, die Strom generieren. Der Vorteil gegenüber Wind- oder Sonnenenergie liegt auf der Hand: Man ist nicht von äusseren Einflüssen abhängig. Die Erdwärme ist immer da.
Und doch formiert sich gegen das gigantische Bauvorhaben massiver Widerstand, wie der «Tagesanzeiger» berichtet. In der vergangenen Woche brachen Kraftwerkgegner in das Areal ein. Erst rammten sie mit einem Traktor eine Absperrung, danach attackierten sie Sicherheitsleute, dies wehrten sich mit Pfefferspray. Die Polizei brachte die Situation unter Kontrolle, Strafverfahren sind eingeleitet.
Aktivisten zogen bereits 2018 vor das Bundesgericht
Die Aktivisten wehren sich seit Jahren und beweisen einen langen Atem. Schon 2018 zogen sie vor das Bundesgericht — allerdings erfolglos. Auch eine Initiative gegen das Projekt konnte das Vorhaben nicht stoppen. Der Baubeginn 2024 samt grosser Erdbohrmaschinen gilt als sicher. Aufgeben kommt für die Kraftwerkgegner dennoch nicht infrage.
Vor dem gewaltsamen Eindringen auf das Gelände machten im Juni mehr als 1000 Menschen aus den drei anliegenden Dörfern mittels eines Protestmarsches ihrem Ärger Luft. Wenige Wochen danach fand gar ein Protestcamp nahe der geplanten Anlage statt.
Auch die politischen Entscheidungsträger im Jura bekamen das Unverständnis der Ortsansässigen über das geplante Bauvorhaben zu spüren. David Eray, Umweltminister des Kantons Jura, erhielt sogar Morddrohungen, die einem Bewohner aus Haute-Sorne zur Last gelegt wurden. Seither vermeidet Eray Aussagen zum Geothermie-Projekt.
Gerüchte über Kündigungen von Beamten, die in das Projekt involviert waren, machen die Runde. Dazu wurde der Gemeindepräsident von Haute-Sorne via Facebook attackiert, weil er seinem Wahlversprechen, sich gegen die Anlage einzusetzen, nicht nachgekommen ist.
«Selbst kleine Erschütterungen wären ein grosses Problem»
Obwohl das Bauvorhaben rechtlich bereits beschlossen ist, nimmt auch Gemeindepräsident Eric Dobler (SVP) das Unverständnis der Bevölkerung wahr: «Ich glaube, die Mehrheit in der Gemeinde ist gegen das Projekt.»
Einer der für die Protestierenden spricht, ist Jack Aubry. Er steht der Vereinigung Verantwortungsvolle Bürger des Jura vor. Die anvisierten Bohrungen bezeichnet er als «Experimente mit einer gefährlichen und nicht beherrschten Technologie». Auch stösst ihm der enorme Wasserverbrauch der neuartigen Technik auf.
Dazu bereiten ihm Luft-, Boden- und Grundwasserverschmutzung Sorgen, genauso wie Erdbeben. «Selbst kleine Erschütterungen wären ein grosses Problem für die zahlreichen ansässigen Uhrenfirmen», klagt Aubry über mögliche Folgen für den wichtigen Wirtschaftszweig in der Region. Noch hat er die Hoffnung nicht verloren, dass das Geothermie-Projekt gestoppt werden kann: «Wir kämpfen weiter – auch auf juristischer Ebene und durch die Mobilisierung der Bevölkerung.»
Geothermie-Kraftwerke in Basel und St. Gallen scheiterten
Es wäre nicht das erste Mal, dass ein gross angekündigtes Geothermie-Kraftwerk scheitert. Weil die Bauarbeiten sowohl in Basel als auch St. Gallen Erbeben ausgelöst hatten, mussten beiderorts die Projekte gestoppt werden.
Seither hat sich die Technologie jedoch weiterentwickelt. Die Bertreiberfirma Geo-Energie Suisse forschte gemeinsam mit der ETH in einem Felslabor. Seismologische Überwachungen sind bei den Bauarbeiten Standard.
Peter Meier, CEO von Geo-Energie Suisse, hofft: «Wenn das Projekt im Jura gelingt, können wir mit der neuen Technologie in nützlicher Frist weitere Kraftwerke bauen.» Nötig hätte es die Schweiz: Der errechnete Bedarf sieht 50 solcher Anlagen von den Dimension der geplanten Anlage in Haute-Sorne vor.
Dennoch verschliesst auch Meier nicht die Augen vor den Protesten der Bürger: «Der Widerstand ist tatsächlich gewaltig.» 2020 schien es kurzzeitig sogar so, als hätten die Gegner des Baus Erfolg. Politik und Behörden im Jura zogen eine Aufhebung der Genehmigung in Betracht. Doch drohende Schadensersatzforderungen der Betreiberfirma wegen bereits getätigter Investitionen liessen das Bauvorhaben am Leben.
Peter Meier betont deshalb: «Wir haben einen Rechtsstaat und eine rechtskräftige Bewilligung. Deshalb wollen und müssen wir nächstes Jahr mit den Probebohrungen beginnen.»
Betreiber rechnet mit «Erfolgswahrscheinlichkeit von 80 Prozent»
Protest hin oder her könnte noch etwas ganz anderes der Geothermie-Anlage einen Strich durch die Rechnung machen. Ob das Gelände und der Boden wirklich geeignet sind, um eine derart grosse Erdwärme-Anlage zu errichten, ist noch nicht sicher.
«Wir rechnen mit einer Erfolgswahrscheinlichkeit von 80 Prozent», erklärt Meier. «Wenn sich die Technologie trotz aller Hoffnungen nicht bewährt, ja, dann zweifle ich, dass wir in der Schweiz innert nützlicher Frist Strom aus Erdwärme erzeugen können.»