Umsiedlungsplanung für Brienz GR«Ein drittes Mal gehen wir nicht mehr»
sda/tcar
12.11.2024
Die Einwohnenden von Brienz GR müssen das Dorf bis Sonntagmittag für möglicherweise mehrere Monate verlassen. Ein Infoabend unterrichtet die Bevölkerung zu den Details der Evakuierung und Sperrung des Dorfs.
sda/tcar
12.11.2024, 21:41
12.11.2024, 21:44
Carsten Dörges
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
Die Bewohner von Brienz GR müssen bis Sonntag ihr Dorf für mehrere Monate verlassen.
Bereits im Frühling 2023 war das Dorf wegen eines drohenden Schuttstroms während rund 50 Tagen evakuiert worden.
In der Schutthalde hoch über Brienz bewegen sich seit der zweiten Septemberhälfte rund 1,2 Millionen Kubikmeter Felsschutt mit 20 bis 35 Zentimetern pro Tag talwärts.
«Ein drittes Mal gehen wir nicht mehr», sagte ein Brienzer am Dienstagabend vor den Behörden in Tiefencastel GR. Er stellte damit die erneute Evakuierung in Frage. Bereits im Frühling 2023 war das Dorf wegen eines drohenden Schuttstroms während rund 50 Tagen evakuiert worden. Damals stoppten die immensen Gesteinsmassen wenige Meter vor den Häusern.
Nun droht eine vergleichbare Situation. Wieder sind es 1,2 Millionen Kubikmeter Schutt. Nur lagert jetzt mehr Wasser darin. Deshalb könnte die Steinlawine schneller rutschen und weiter ins Dorf vordringen. Geschwindigkeiten von bis zu 80 Stundenkilometern seien gemäss den Behörden möglich. Wahrscheinlicher ist es jedoch, dass der Schutt langsam abrutscht und in flacherem Gelände oberhalb des Dorfes stehen bleibt.
Das Bündner Dorf Brienz muss bis Sonntagmittag evakuiert werden
Der Frühwarndienst der Gemeinde Albula, zu der das Dorf Brienz gehört, analysierte gemäss einer Mitteilung der Gemeinde die Gefahrenlage zusammen mit der Fachgruppe Geologie und Naturgefahren sowie weiteren Geologen. Auf Empfehlung des Gemeindeführungsstabes sei die vorsorgliche Evakuierung angeordnet worden.
12.11.2024
Nun sei es einfach schlicht zu gefährlich, im Dorf zu bleiben, sagte der Geologe Stefan Schneider. Weil ab nächster Woche zudem ein Wetterumschwung droht, könne mit der Evakuierung nicht länger zugewartet werden. «Ihr geht nicht für uns, ihr geht für euch», sagte Gemeindepräsident Daniel Albertin den Betroffenen. Man habe beim Evakuierungsentscheid stets das Wohlbefinden der Betroffenen ins Zentrum gestellt.
Die Sprengfrage
«Weshalb kann man nicht einfach sprengen?», fragten verschiedene Brienzerinnen und Brienzer immer wieder. Es sei schlicht nicht machbar, so Andreas Huwiler vom kantonalen Amt für Wald und Naturgefahren.
Dafür müssten zehntausend zehn bis zwanzig Meter tiefe Bohrungen mit 360'000 Kilogramm Sprengstoff gemacht werden. Dies wäre das Dreissigfache der Hiroshima-Bombe. Damit würde vermutlich ein Bergsturz mit verheerendem Ausmass ausgelöst.
Auch Teilbereiche zu sprengen sei zu gefährlich. Damit könnte eine Schuttlawine ausgelöst werden, die das Dorf zerstören würde, erklärte Huwiler weiter. Dennoch habe man vorsorglich mit einer in diesem Bereich spezialisierten Firma Kontakt aufgenommen.
Die Umsiedlungsfrage
Als Reaktion auf die bevorstehende Evakuierung sicherte die Bündner Regierung am Dienstagmittag zu, die Umsiedlungsplanung weiterhin intensiv voranzutreiben. Bereits am 20. November will die Gemeinde den Betroffenen einen Standort präsentieren, so Gemeindepräsident Albertin im Gespräch mit Keystone-SDA.
Dieser Standort befinde sich ebenfalls im Gemeindegebiet von Albula. Auch im Wissen, dass er nicht bei allen Betroffenen auf Anklang stossen werde, sei es ein Lichtblick. Bei der Präsentation will die Gemeinde zudem auf mit der Umsiedlung zusammenhängende finanzielle Fragen eingehen, versprach Albertin.
Die Alternative
Wird Brienz GR nicht umgesiedelt, könnte der Entwässerungsstollen helfen. Der 2,3 Kilometer lange und 40 Millionen Franken teure Stollen unterhalb des Dorfes soll die Landmasse entwässern und so den Druck auf die Rutschungen reduzieren. Er wird aber erst Ende 2027 fertig sein.
Der Bau schreite derweil gut voran, sagten die Behörden am Dienstagabend. Auch während der Evakuierung werde daran weitergearbeitet.
Drohnenvideo zeigt Ausmass des Brienzer Bergrutsches
In der Nacht sind gewaltige Gesteinsmassen in Brienz abgerutscht und haben das Dorf nur knapp verfehlt, wie ein Drohnenvideo zeigt.