Bundespräsident Berset ist bereit vom Parlament angehört zu werden
Bundespräsident Alain Berset ist bereit, vor dem Parlament zu den Indiskretionen zwischen seinem ehemaligen Kommunikationschef und den Medien während der Corona-Pandemie auszusagen. Dies sagte er in einem Interview mit Keystone-SDA am Rande des WEF in Davos. Es sei legitim, Antworten auf die Fragen der Parlamentarier zu geben auch wenn er keinen Zugang zu den Akten habe. «Die Geschäftsprüfungskommissionen sind der richtige Ort», sagt der Bundespräsident. Aufgrund des laufenden Strafverfahrens äusserte sich Berset nicht konkret zu den Vorwürfen. Die «Schweiz am Wochenende» hatte am Samstag berichtet, Bersets früherer Kommunikationschef Peter Lauener habe dem «Blick»-Verlag Ringier wiederholt vertrauliche Informationen zu geplanten Covid-Massnahmen des Bundesrats übermittelt. Die Zeitung stützte sich nach eigenen Angaben auf Mails und Einvernahmeprotokolle, die der Redaktion vorlagen.
18.01.2023
Die Corona-Leaks haben diese Woche viel zu reden gegeben. Im Gespräch mit blue News erklärt Expertin Andrea Bleicher, wie Medien mit Leaks umgehen sollten und wie die Affäre die Medienlandschaft prägen wird.
Wie haben Sie die Corona-Leaks aufgenommen?
Andrea Bleicher: Uff, das ist eine interessante Geschichte und wirft viele spannende Fragen auf, die nicht einfach zu beantworten sind. Es gibt nicht Schwarz und Weiss.
Für mich steht vor allem im Zentrum, wie Behörden und Medien mit Indiskretionen in Zukunft umgehen sollen.
Wie sollte man ihrer Meinung nach mit Indiskretionen umgehen?
Bei solchen Geschichten ist es ja so, dass eine Art Win-win-Situation besteht: Einerseits leben Journalisten von Geschichten, die auf Leaks basieren. Auf der anderen Seite ist da die Quelle, die ein Interesse hat, dass die Geschichte publik wird.
Zur Person
Andrea Bleicher ist Journalistin und ist Mitgründerin einer Storytelling-Agentur. Die heute 48-Järige war zuvor Chefredaktorin beim «Blick» sowie stellvertretende Chefredaktorin und Redaktionsleiterin bei der «SonntagsZeitung».
Deshalb muss man sich als Journalist*in, aber auch als Redaktion fragen: Von wem kommt das Leak und welches Interesse verfolgt die Quelle? In einem weiteren Schritt kann ich mir als Journalistin dann überlegen, ob die mögliche Geschichte eine Recherche wert ist. Aber es muss eine objektive Distanz zur Quelle da sein. Und das war im konkreten Fall der Corona-Leaks nicht der Fall.
Sondern?
Der Pressesprecher von Alain Berset hat eigentlich nur seine Aufgabe wahrgenommen und dem Gesundheitsminister während der Corona-Pandemie gute Presse beschert. Die Frage stellt sich aber, bis zu welchem Grad er das hätte machen sollen: War ein täglicher Austausch wirklich nötig? Seitens Medien scheint der Ringier-CEO Marc Walder zu eng mit dem Pressesprecher verbandelt gewesen zu sein.
Hier hat meiner Meinung nach beidseitig ein Korrektiv versagt oder ganz gefehlt. Damit meine ich einen Kollegen oder ein Team, die auch einen CEO oder einen Bundesrat bzw. dessen Sprecher kritisch hinterfragen und darauf hinweisen, dass man eine Grenze überschreitet. Diese Nähe und Häufigkeit können nur ungesund sein.
Eine schwierige Situation für die Redaktion, wenn die Informationen und Anweisungen von ganz oben kommen?
Genau, deshalb wäre es umso wichtiger, dass man eben Leute in seinem Umkreis hat, die einen auf das Übertreten von Grenzen hinweisen und sagen: «Du gehst zu weit.»
Also hat die Ringier-Führung versagt?
Es ist deren Aufgabe, die Redaktion und deren Journalist*innen nicht in eine solche Erklärungsnot zu bringen.
Vielleicht hätte der «Blick» auch ohne den täglichen Austausch eine ähnliche Berichterstattung verfolgt. Denn grundsätzlich ist es ja nicht verboten, journalistische Haltung zu zeigen. Wichtig ist nur, dass man diese transparent macht. Man muss seinen Leser*innen deklarieren, welchen Kurs man verfolgt, damit sie wissen, was sie zu erwarten haben. Und das ist hier nicht passiert.
«Blick»-Chefredaktor Christian Dorer hat am Dienstag ein Dementi veröffentlicht: «Niemand beeinflusst den Blick!». Wie beurteilen Sie die Stellungnahme?
Vielleicht bringt es etwas Seelenfrieden, sich als Chefredaktor dazu geäussert zu haben. Denn die Redaktion und die Journalisten stehen nun unter Verdacht, keine Leistung erbracht zu haben: Der wahnsinnig enge Kontakt zwischen Walder und Lauener nährt die Zweifel.
Deshalb wünscht man sich kein Dementi vom «Blick», sondern eine Erklärung von Walder selbst. Selbst wenn er sich aus juristischer Sicht nicht äussern darf, könnte er zumindest Transparenz schaffen und sagen, dass er nicht kommunizieren kann, oder vielleicht sogar einen Schritt weitergehen und einen Fehler eingestehen. In Krisensituationen hilft offene Kommunikation.
Dann stellt sich trotzdem die Frage: Wie unabhängig war die Redaktion von der Verlagsleitung – und ist das in heutiger Zeit noch möglich?
Diese Frage bleibt unbeantwortet. Zumindest vorerst. Im Allgemeinen gilt: Für eine kritische und unabhängige Berichterstattung muss eine klare Teilung der Verantwortung zwischen Redaktion und Verlagsleitung geben. Man muss sich seiner Rolle und Aufgaben bewusst sein.
Was bedeuten die Corona-Leaks für die Schweizer Medienlandschaft?
Die Leaks sind nicht die absolute Bankrotterklärung für den Journalismus. Für Redaktionen und Journalist*innen dürften sie vielmehr eine Erinnerung daran sein, die Informationen, die man entgegennimmt, geschickt zu behandeln. Wie bereits erwähnt, fragt sich: Was ist die Motivation meiner Quelle? Bin ich noch objektiv?
Reputationstechnisch gesehen helfen die Corona-Leaks nicht wirklich. Es ist der Eindruck entstanden, dass die Medien die Standleitung der Mächtigen sind. Es gilt nun, mit Tatsachen das Gegenteil zu beweisen.