Folgen der Erwärmung «Die Schweiz ist längst mittendrin in der Klimakrise»

Von Oliver Kohlmaier

10.4.2022

Ein ausgetrocknetes Feld im Dorf Geltwil im Kanton Aargau. Länger anhaltende Trockenperioden sind für die Landwirtschaft in der Schweiz schon jetzt ein Problem.
Ein ausgetrocknetes Feld im Dorf Geltwil im Kanton Aargau. Länger anhaltende Trockenperioden sind für die Landwirtschaft in der Schweiz schon jetzt ein Problem.
KEYSTONE/Urs Flueeler (Archivbild)

Die Schweiz hat die vielbesagte 1,5-Grad-Marke längst überschritten. Auf was sich die Menschen einstellen müssen – und warum die Folgen der Klimakrise nicht überall im Land dieselben sind.

Von Oliver Kohlmaier

«Jetzt oder nie», heisst es vom IPCC anlässlich der Veröffentlichung des dritten Teils des Klimaberichts. Die berühmten 1,5 Grad Erwärmung bis zum Ende des Jahrhunderts sind ohnehin nur theoretisch einzuhalten. Selbst für das 2-Grad-Ziel werden gewaltige Anstrengungen nötig.

Wenn es noch erreicht werden soll, gibt es nur noch jetzt diese Chance. Bis 2025 müssen hierfür die Treibhausgas-Emissionen ihren Höhepunkt erreichen und danach schnell sinken.

Während für die Welt als Ganzes also zumindest theoretisch noch Hoffnung auf das 1,5- oder 2-Grad-Ziel besteht: Die Schweiz hat beide Marken bereits überschritten.

Verglichen mit dem weltweiten Durchschnitt hat sich die Jahresmitteltemperatur hierzulande schon doppelt so stark erhöht. Wie heftig die Folgen der Erwärmung für Schweizer*innen noch werden, hängt vor allem davon ab, ob weltweit eine rasche sowie starke Reduktion der Treibhausgas-Emissionen gelingt.

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04.04.2022

Mehr Hitzetage

Die Klimaszenarien CH2018 zeigen, wie — und wo — der Klimawandel die Schweiz trifft und treffen wird, basierend auf 21 Computermodellen verschiedener europäischer Forschungseinrichtungen.

Den Klimaszenarien zufolge lassen sich vier eindeutige Trends für die Schweiz ausmachen: Trockene Sommer, mehr Hitzetage, heftige Niederschläge sowie schneearme Winter.

Nicht überall im Land sind die Veränderungen gleich ausgeprägt. Ende letzten Jahres hat Meteoschweiz die Prognosen auf die einzelnen Kantone heruntergebrochen.

In den Faktenblättern fassen die Autor*innen die wichtigsten Daten für den jeweiligen Kanton zusammen und bieten Prognosen etwa über den Anstieg von Extrem-Wetterereignissen, bis hin zum Ende des Jahrhunderts.

Das Verdeutlichen möglichst kleinräumiger Unterschiede bekommt ohnehin einen immer wichtigeren Stellenwert. Denn steigende Durchschnittstemperaturen haben für die meisten Menschen wenig Aussagekraft und wirken bisweilen abstrakt. Besser geeignet sind hier andere Indikatoren, eben extreme Wetterereignisse. Die gab es schon immer, werden mit fortschreitender Erwärmung jedoch immer häufiger — und heftiger.

Natürlich geht es auch hier nicht ohne Zahlen. Doch wie stark etwa die Zahl der Hitzetage im jeweiligen Kanton zunimmt, bietet Bürger*innen wie Behörden eine gute Orientierung über konkrete Folgen in der Region.

«Die Höchsttemperaturen steigen erheblich stärker als die Durchschnittstemperaturen», schreiben die Autor*innen. Schweizweit werde es an heissen Tagen im Sommer im Schnitt und je nach Szenario bis zu 5,5 Grad wärmer als heute. Hitzesommer wie 2018 würden dann eher zur Norm als zur Ausnahme.

Von extremer Hitze etwa wird der Grossteil häufiger und stärker betroffen sein als ohnehin schon. Denn in den Grossregionen Mittelland und Jura leben mit Abstand die meisten Menschen in der Schweiz. Hier befinden sich viele grosse Städte, die unter 600 Metern Meereshöhe liegen. In diesen Gebieten werden sich steigende Temperaturen laut CH2018 am stärksten auswirken.

Hiervon seien jetzt und in Zukunft vor allem die dicht besiedelten Kantone Zürich, Genf und Tessin betroffen. Die Zahl der Hitzetage bis zur Mitte des Jahrhunderts wird in diesen niedrigen Lagen demnach drei- bis viermal so hoch werden wie heute.

Bei unveränderten Emissionen ist etwa im Mittelland gemäss den Klimaszenarien in den nächsten 30 Jahren mit einem weiteren Temperaturanstieg um 2 Grad zu rechnen, im zweiten Szenario könnte eine Begrenzung im Bereich 0,6 bis 1,8 Grad erreicht werden.

Längst mittendrin

Auch zeigen die Faktenblätter, wie sich die Folgen der Klimakrise schon jetzt und in jedem Kanton bemerkbar machen. Der Tenor: Es ist bereits schlimm, und es wird noch schlimmer werden, wenn wir nicht handeln.

Dies betont auch Gian-Kasper Plattner von der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL), einer der Mitautoren des aktuellen IPCC-Berichts. «Die Schweiz ist längst mittendrin in der Klimakrise», sagt der Wissenschaftler im Gespräch mit blue News.

Man müsse sich einfach klarmachen, dass jedes Zehntel Grad Erwärmung die Folgen des Klimawandels drastischer werden lässt und somit auch die Schadenssummen erhöhe.

So habe die Schweiz schon seit Jahren mit hohen Temperaturen zu kämpfen und passe sich an, man denke nur an die Hitzesommer 2003 und 2018, in denen etwa die Landwirtschaft in Bedrängnis geriet, Bäche ausgefischt wurden oder die Schifffahrt wegen des Niedrigwassers auf dem Oberrhein zum Erliegen kam.

Trockene Sommer, nasse und schneearme Winter

«Als Bewohner der Nordwestschweiz mache ich mir vor allem Sorgen wegen der extremen Hitze im Sommer und auch der Wasserverfügbarkeit», sagt Plattner.

In den vergangenen 40 Jahren sind die Sommer hierzulande nach Angaben von Meteoschweiz bereits «deutlich trockener» geworden. Dies habe nicht nur mit den abnehmenden Niederschlägen zu tun, sondern auch mit der stärkeren Verdunstung infolge der höheren Durchschnittstemperaturen.

So werden den Szenarien zufolge die niederschlagsfreien Perioden in den Sommern noch länger andauern. Schon zur Mitte des Jahrhunderts würden diese Trockenperioden ohne Massnahmen etwa im aargauischen Buchs durchschnittlich 1,4 Tage länger dauern, in Sion im Wallis sogar 2,1 Tage.

Die mittleren Niederschlagsmengen im Sommer werden demzufolge wohl langfristig abnehmen — in allen Kantonen. Die niedrigeren Mengen verteilen sich ausserdem auf häufiger eintretende Starkregen-Ereignisse. Im Winter hingegen nehme der Niederschlag tendenziell zu und falle eher als Regen denn als Schnee.

Wetterscheide Alpen

Gebiete im Westen, vor allem aber der Süden der Schweiz werden tendenziell stärker von der Niederschlagsabnahme betroffen sein. 

Durch die Alpen als Wetterscheide unterscheidet sich das Klima der Südschweiz teils deutlich von den Regionen an der Nordabdachung, erklärt Plattner. Dort herrsche daher fast schon ein mediterranes Klima mit höheren Jahresmitteltemperaturen.

«Der Süden wird gemäss Klimaprojektionen für die Schweiz noch stärker von Hitzeereignissen sowie intensiveren Starkniederschlägen betroffen sein.»

Blick in die Berner Alpen mit Eiger, Mönch und Jungfrau. Die Berge fungieren als gewaltige Wetterscheide.
Blick in die Berner Alpen mit Eiger, Mönch und Jungfrau. Die Berge fungieren als gewaltige Wetterscheide.
KEYSTONE /Marcel Bieri

Mehrere Wetterereignisse zusammen wirken katastrophal

Wie die Klimazenarien für die Schweiz zeigen, werden extreme Wetterereignisse also überall zunehmen, sich jedoch unterschiedlich auswirken.

Die Klimaforschung habe in den vergangenen Jahren weitere grosse Fortschritte gemacht, erklärt Plattner. «Wir haben viel gelernt über das Zusammenspiel und die Kombination von Wetterereignissen, den sogenannten compound events

Denn einzelne Wetterereignisse für sich genommen müssen gar nicht extrem sein, im Zusammenspiel mit anderen jedoch können sie eine verheerende Wirkung entfalten. Man denke etwa an ausgetrocknete Böden nach langen Trockenperioden, die nach einem Starkregen-Ereignis nur beschränkt Wasser aufnehmen und somit zu Überschwemmungen beitragen können, mit entsprechenden Folgen für Mensch und Natur.

Der vom Vierwaldstättersee überschwemmte Dorfplatz von Stansstad im vergangenen Jahr. Das Risiko für Starkregenfälle und Überschwemmungen steigt in der Schweiz an.
Der vom Vierwaldstättersee überschwemmte Dorfplatz von Stansstad im vergangenen Jahr. Das Risiko für Starkregenfälle und Überschwemmungen steigt in der Schweiz an.
KEYSTONE/URS FLUEELER (Archivbild)

Steinschlag und kaputte Schutzwälder

Die höheren Regionen in der Schweiz sind besonders von der Klimaerwärmung betroffen. Keine andere Grossregion in der Schweiz hat sich bereits jetzt derart stark erwärmt wie die Alpen — mit allen dazugehörigen und teils spezifischen Folgen wie etwa Gletscherschwund und dem Auftauen von Permafrostböden.

Aufgrund der Höhenlage wird extreme Hitze in den Bergkantonen zwar weit weniger häufig auftreten als etwa im Mittelland. Während allerdings zwischen 1976 und 2003 dort kaum Sommertrockenheit verzeichnet wurde, traten seit 2010 in den Alpen gleich mehrere Dürren auf.

Auch weiterhin wird die Zunahme in der Alpenregion gemäss CH2018 höchstwahrscheinlich schneller voranschreiten als im Rest der Schweiz. Ohne schnelle und drastische Reduktion der globalen Emissionen sei in den Alpen mit einem weiteren Temperaturanstieg im Bereich zwischen 2,1 und 3,9 Grad zu rechnen, schreiben die Autor*innen der Schweizer Klimaszenarien. Gelingt die Wende, könnte dieser Anstieg auf  immerhin 0,7 bis 2,1 Grad bis zur Mitte des Jahrhunderts begrenzt werden.

In den Bergregionen seien durch die Folgen des Klimawandels ganze Branchen wie etwa der Skitourismus bedroht, sagt Plattner. Denn in der Schweiz werde es in Zukunft sehr wahrscheinlich auch deutlich weniger Schnee geben.

Gerade Skigebiete in niedrigeren Regionen seien in ihrer Existenz bedroht. «Wenn es wenig oder keinen Schnee gibt, werden diese sich anpassen und nach Alternativen zum klassischen Skitourismus umschauen müssen».

Diese Entwicklung legen auch die Klimaszenarien für die Schweiz nahe, wenngleich die Unsicherheit bei den Niederschlägen grösser sei als bei den Temperaturen, wie die Autor*innen betonen. 

So wird wird Kanton Graubünden mit seinen vielen Skigebieten die Anzahl der Neuschneetage zwischen 1600 und 2000 Metern Meereshöhe bis zur Mitte des Jahrhunderts ohne Massnahmen um rund 20 Tage abnehmen, auch im optimistischen Szenario wären es noch 14 Tage weniger.

Die Murgänge nach dem Bergsturz am Piz Cengalo erreichen 2017 das Bergeller Dorf Bondo. Die Wahrscheinlichkeit für derartige Katastrophen steigt in den Bergregionen an.
Die Murgänge nach dem Bergsturz am Piz Cengalo erreichen 2017 das Bergeller Dorf Bondo. Die Wahrscheinlichkeit für derartige Katastrophen steigt in den Bergregionen an.
KEYSTONE/ALADIN KLIEBER (Archivbild)

Neben möglichen wirtschaftlichen Einbussen kommen konkrete weitere Probleme auf die lokale Bevölkerung zu. So könnten die vielen wichtigen Schutzwälder in den Bergregionen ihre Funktion nicht mehr erfüllen, weil sie etwa durch langanhaltende Trockenheit teilweise schon jetzt stark geschwächt seien, erklärt Plattner. Zudem führe der auftauende Permafrost zu häufigeren Hangrutschungen und vermehrtem Steinschlag in den Bergregionen.

Die Dorfbewohnerin Zawadi Msafiri steht auf einem verdorrten Maisfeld im kenianischen Kilifi. Das westafrikanische Land kämpft mit der dritten Dürre innerhalb eines Jahrzehnts.
Die Dorfbewohnerin Zawadi Msafiri steht auf einem verdorrten Maisfeld im kenianischen Kilifi. Das westafrikanische Land kämpft mit der dritten Dürre innerhalb eines Jahrzehnts.
Dong Jianghui/XinHua/dpa

«Wir sollten uns fragen, wie wir mit der Klimamigration umgehen»

Neben den direkten Folgen für die Menschen in der Schweiz kommen weitere Herausforderungen dazu: Das Land werde sich auch mit den indirekten Folgen des Klimawandels auseinandersetzen müssen, betont Gian-Kasper Plattner.

Millionen Menschen weltweit, vor allem in den ärmeren Regionen, können etwa aufgrund extremer Dürren oder auch dem Anstieg des Meeresspiegels nicht mehr in ihren angestammten Regionen leben.

«Wir sollten uns fragen, wie wir mit der Klima-Migration umgehen.»