Britische Forscher decken auf Putin hortet haufenweise Schweizer Hightech-Bauteile für seine Waffen

Von Philipp Dahm

16.8.2022

Ein russischer Tu-160-Bomber feuert den Marschflugkörper KH-101 ab. Auch in diesem sind Schweizer Komponenten verbaut.
Ein russischer Tu-160-Bomber feuert den Marschflugkörper KH-101 ab. Auch in diesem sind Schweizer Komponenten verbaut.
Russische Streitkräfte

In russischem Kriegsgerät steckt mehr Schweizer Technik als gedacht, zeigt eine neue Studie aus London. Nur die USA, Japan und Taiwan haben noch mehr Teile geliefert, die etwa in Drohnen verbaut worden sind.

Von Philipp Dahm

Es ist eine Studie, die es in sich hat. «Silicone Lifeline – Western Electronics at the Heart of Russia's War Machine» lautet der Titel der Untersuchung, die untersucht, wie viel westliche Technik in russischen Waffen steckt. Das Ergebnis: In 27 Systemen wurden insgesamt 450 verschiedene ausländische Komponenten entdeckt. Mindestens 80 der Komponenten unterliegen amerikanischen Exportkontrollen.

Die Teile, die vor allem aus dem Bereich der Mikroelektronik kommen, stammen aus den USA, Taiwan, Südkorea, den Niederlanden, Grossbritannien, Frankreich, Deutschland – und der Schweiz: «Die Schweiz ist der viertgrösste Hersteller von singulären Komponenten, die in russischen Waffensystemen gefunden werden», heisst es in dem Bericht der Londoner Denkfabrik Royal United Services Institute (Rusi).

Insgesamt seien 18 Komponenten identifiziert worden, die Schweizer Firmen hergestellt hätten. So seien beispielsweise acht Mikrocontroller des deutsch-französischen Halbleiter-Herstellers STMicroelectronics in einer Reihe von Drohnen entdeckt worden – darunter die Orlan-10, die Eleron-3SV oder auch im Kamikaze-Flieger Kub-Bla. Der Firmensitz ist in Genf.

«Komponenten in signifikanten Mengen»

Die Chips der Serie STM32 kommen bei der Flugkontrolle, dem Navigationssystem und der Stromversorgung zum Zuge. «Die russischen Streitkräfte müssen in der Lage gewesen sein, diese Komponenten vor der Invasion der Ukraine im Februar 2022 in signifikanten Mengen bekommen zu haben.» Mehrere der Komponenten würden unter US-Exportkontrolle fallen, heisst es weiter.

Fremdkomponenten in russischen Waffen: Die Schweiz belegt nach den USA (318 Komponenten), Japan (34) und Taiwan (30) den vierten Rang.
Fremdkomponenten in russischen Waffen: Die Schweiz belegt nach den USA (318 Komponenten), Japan (34) und Taiwan (30) den vierten Rang.
Rusi

Selbst im Marschflugkörper KH-101, der mit atomaren Sprengköpfen bestückt werden kann, soll im Satelliten-Navigationssystem Schweizer Technik von STMicroelectronics verbaut sein: Das Unternehmen hat sich auf Nachfrage von blue News bisher nicht zu dem Bericht äussern wollen. Das gilt auch für die U-blox AG aus Thalwil ZH, die Module für das Global navigation satellite system (GNSS) herstellt.

Mitunter sollen Schweizer Firmen auch den Handel mit Teilen organisiert haben. So soll die Moskauer Firma KB Navis zwischen 2017 und 2021 grosse Volumen technischen Materials aus den USA nach Russland exportiert haben – mit einem Zwischenstopp in unseren Breiten: «Bemerkenswerterweise wurden 90 Prozent davon an KB Navis durch die Schweizer Firma NVS Technologies AG geliefert, die beide zur Navis-Gruppe gehören», berichtet Rusi.

Firmen reagieren nicht auf Anfragen

Der CEO von NVS Technologies AG und KB Navis sei derselbe – ein Mann namens Vasiliy Engelsberg. Auch die NVS Technologies AG aus Montlingen SG reagierte nicht auf eine entsprechende Nachfrage von blue News. Rusi wirft der Firma und den anderen genannten Unternehmen vor, die «Silikon-Lebenslinien» des russischen Militärs zu sein, ohne die Putins Soldaten mit veraltetem Kriegsgerät arbeiten müssten.

Schweizer Komponente im Raketenmotor Briz-K alias Breeze-K.
Schweizer Komponente im Raketenmotor Briz-K alias Breeze-K.
Rusi

Weiss das Staatssekretariat für Wirtschaft davon? «Das Seco hat seit geraumer Zeit Kenntnis dieses Berichtes», schreibt Mediensprecher Fabian Maienfisch. Zu einzelnen Firmen wolle sich die Behörde nicht äussern. Nur so viel: «Das Seco steht in Kontakt mit diesen Unternehmen.»

Wie erklärt sich das Seco den hohen Stellenwert der Schweiz bei russischen Waffen? Maienfisch erklärt, dass noch im Februar «solche Güter von den Exportkontrollen nicht erfasst [wurden], da es sich nicht um international kontrollierte Dual-Use-Güter handelt». Die Lücke sei aber geschlossen worden: «Seit der Inkraftsetzung der umfassenden Gütersanktionen gegenüber Russland am 4. März 2022 sind solche Güter für die Lieferung und den Verkauf nach Russland verboten.»

«Industrielle Massengüter mit breiter ziviler Anwendung»

Tatsächlich würden «laufend Güter auf die Kontrolllisten hinzugefügt, damit diese Bewilligungsverfahren unterstellt werden», schreibt der Seco-Sprecher. Ein weiteres Problem der aufgeführten Produkte: «Es handelt sich um industrielle Massengüter mit einer breiten zivilen Anwendung, die zudem meistens nicht in der Schweiz hergestellt und auch nicht aus der Schweiz ausgeführt werden. Lieferungen ab Drittländern unterliegen nicht der Schweizer Exportkontrolle, sondern derjenigen des Lieferlandes.»

Schweizer Komponenten im Computer des Marschflugkörpers 9M727.
Schweizer Komponenten im Computer des Marschflugkörpers 9M727.
Rusi

Das Seco stehe jedoch im Austausch mit ausländischen Exportkontroll-Behörden, die «mit der gleichen Problematik befasst sind». Doch selbst wenn der Westen nun reagiert, könnten die Exportstopps womöglich keine unmittelbaren Auswirkungen haben: «[Russland] hat ein grosses Volumen von Komponenten während des Kalten Krieges bezogen und die Beschaffung dieser Güter deutlich verstärkt, nachdem die [Exportbeschränkungen] des Kalten Krieges weggefallen sind», weiss Rusi.

Für kritische Systeme seien mit Blick auf neue Sanktionen des Westens Vorräte angehäuft worden, die mitunter für eine Dekade reichen sollen. Es ist also gut möglich, dass auch in Zukunft russische Waffen mit Schweizer Technik entdeckt werden.