Klimaschutz-Gesetz Retten wir so die Gletscher? Und wieso ist die SVP dagegen?

Von Gil Bieler

4.5.2023

Das Klimaschutz-Gesetz gibt den Fahrplan vor, wie die Schweiz ihr Netto-null-Ziel bis 2050 erreichen und sich von fossilen Brennstoffen lossagen soll. Die SVP ist dagegen, alle anderen Parteien sind dafür. Das musst du wissen.

Von Gil Bieler

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  • Das Schweizer Stimmvolk befindet am 18. Juni über das neue Klimaschutz-Gesetz.
  • Dieses zeigt den zeitlichen Fahrplan für die Erreichung des Klimaziels Netto-null bis 2050 auf und definiert Zwischenziele für die Sektoren Gebäude, Industrie und Verkehr.
  • Auch Förderprogramme über total 3,1 Milliarden Franken sind geplant: Wer etwa eine alte Ölheizung durch ein klimaschonenderes Modell ersetzt, soll dafür Geld bekommen. 
  • Die SVP ist gegen das Gesetz und hat das Referendum dagegen ergriffen. Alle anderen grossen Parteien, viele Verbände und der Bundesrat sind dafür.

Hinweis zur Transparenz: Dieser Artikel wurde am 4. Mai aktualisiert.

Warum stimmen wir über das Klimaschutz-Gesetz ab?

Wegen der Gletscher-Initiative, die 2019 eingereicht wurde. Diese wollte ein Verbot von Erdöl, Erdgas, Benzin und Diesel ab 2050 in die Verfassung schreiben. Das ging Bundesrat und Parlament zu weit, weshalb das Parlament einen indirekten Gegenvorschlag ausgearbeitet hat: das Klimaschutz-Gesetz respektive – wie es offiziell heisst – das «Bundesgesetz über die Ziele im Klimaschutz, die Innovation und die Stärkung der Energiesicherheit».

Gegen dieses Klimaschutz-Gesetz wiederum hat die SVP das Referendum ergriffen, weshalb es am 18. Juni zur Volksabstimmung kommt.

Sichtbare Folge des Klimawandels: Ein Mann steht in einer neu freigegebenen Gletscherhöhle des Sardonagletschers, aufgenommen am Mittwoch, 27. Juli 2022 in Vättis.
Sichtbare Folge des Klimawandels: Ein Mann steht in einer neu freigegebenen Gletscherhöhle des Sardonagletschers, aufgenommen am Mittwoch, 27. Juli 2022 in Vättis.
Bild: Keystone

Was steht im Gesetz?

Konkrete Massnahmen sind nur wenige definiert. Es geht vor allem um Zielvorgaben im Klimaschutz.

Die Schweiz hat sich verpflichtet, bis 2050 klimaneutral zu werden. Sie muss also weniger Treibhausgase ausstossen, als der Atmosphäre mittels ökologischer und technologischer Massnahmen entzogen werden können. Mit dem neuen Gesetz werden dieses Ziel und Zwischenziele auf dem Weg zu «Netto-null» fixiert: Bis 2040 muss der Ausstoss von Treibhausgasen etwa bereits 75 Prozent tiefer sein als noch 1990. Solche Absenkpläne gibt es auch für die Sektoren Gebäude, Verkehr und Industrie.

Beispiel: Absenkplan für den Sektor Gebäude

  • Zielvorgabe bis 2040: 82 Prozent weniger Treibhausgase
  • Zielvorgabe bis 2050: 100 Prozent weniger Treibhausgase

    *Vergleichswert sind die Emissionen des Jahres 1990.

Ganz konkret angesetzt wird bei den fossilen Energieträgern – und zwar in Form von Förderprogrammen. Hauseigentümer*innen, die eine Öl-, Gas- oder Elektroheizung durch eine Wärmepumpe oder Holzheizung ersetzen, sollen bis zu 200 Millionen Franken pro Jahr Unterstützung erhalten. Dieses Programm ist auf zehn Jahre angesetzt, macht also alles in allem 2 Milliarden Franken. Auch wer die Isolierung eines Gebäudes verbessert, soll einen Zuschuss erhalten.

Geld erhalten sollen ausserdem Unternehmen, die auf klimaschonende Technologien setzen. Auch hierfür sind 200 Millionen Franken pro Jahr vorgesehen, und zwar für sechs Jahre. Macht also unter dem Strich 1,2 Milliarden Franken.

Und: Bund und Kantone werden verpflichtet, Massnahmen zum Schutz von Natur und Mensch gegen die Folgen des Klimawandels zu ergreifen.

Und woher stammt all das Geld dafür?

Aus den allgemeinen Bundesmitteln. Die Vorlage sieht keine neuen Steuern, Gebühren oder Abgaben vor. Dies im Unterschied zum CO₂-Gesetz, das das Stimmvolk vor zwei Jahren bachab geschickt hatte.

Was sagen die Urheber*innen der Gletscher-Initiative dazu?

Sie stehen hinter dem Klimaschutz-Gesetz, da dieses die zentralen Anliegen der Initiative aufnehme. Die Initiant*innen haben ihr Volksbegehren daher bedingt zurückgezogen. Das heisst: Nimmt das Stimmvolk das Klimaschutz-Gesetz am 18. Juni an, motten sie die Gletscher-Initiative ein. Sagt das Stimmvolk aber Nein, stimmen wir auch noch über die Gletscher-Initiative ab.

Wer ist dafür, wer dagegen?

Gegen das Gesetz stemmt sich die SVP, die erfolgreich das Referendum ergriffen hat. Unterstützung erhält die Partei vom Hauseigentümerverband und von GastroSuisse.

Dafür sind alle anderen Parteien, der Bundesrat, die Kantone sowie diverse Naturschutzorganisationen und Verbände, darunter der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse, der Schweizer Bauernverband, der Mieterinnen- und Mieterverband, der Schweizer Tourismus-Verband und der Verband der Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie (Swissmem). 

Was sagen die Gegner*innen des Gesetzes?

Die SVP spricht von einem «Stromfresser»-Gesetz, das teuer, verlogen und gefährlich sei. Obwohl die Schweiz jetzt schon zu wenig Strom und Energie habe, würden Heizöl und Gas faktisch verboten. 

Der Walliser Nationalrat Michael Graber, Präsident des Referendumskomitees, warnt, die Versorgungslage könnte sich schon im kommenden Winter dramatisch verschärfen. Es drohe ein Blackout. Die Partei rechnet vor, dass 60 Prozent des von Erdöl und Erdgas geprägten Energieverbrauchs durch Strom ersetzt werden müssten.

Für SVP-Parteichef Marco Chiesa ist das Gesetz eine «Katastrophe» für die Schweiz. Weil Autofahren und Heizen künftig nur noch mit Strom möglich sei, werde das die Nachfrage stark erhöhen und damit auch die Preise. Für Private drohten Mehrkosten von 6600 Franken pro Kopf und Jahr.

Höhere Energiepreise würden auch mehrere Branchen empfindlich treffen, warnten die Gegner*innen des Klimaschutz-Gesetzes. Sie nennen die Industrie, das Gastgewerbe und die Landwirtschaft (wobei der Bauernverband für ein Ja zur Vorlage wirbt). Mit einem Ja zum Gesetz würde der Wirtschaftsstandort Schweiz an Attraktivität einbüssen.

Der Hauseigentümerverband zweifelt auch an, ob die 2 Milliarden Franken Bundesbeiträge für Heizungs- und Sanierungsprojekte wirklich wiksam seien. Bei rund 850'000 Ölheizungen ergebe das nur 2500 Franken pro Anlage, gibt HEV-Schweiz-Präsident Hans Egloff zu bedenken.

Schliesslich warnen die Gegner*innen des Gesetzes auch vor einer Verschandelung der Landschaft. Um Öl und Gas zu ersetzen, seien zusätzlich bis zu 17 Pumpspeicherkraftwerke von der Grösse der Grande Dixence, rund 5000 Windräder sowie Millionen Quadratmeter von Solarpanels nötig.

SVP hält Klimaschutz-Gesetz für einen «Stromfresser»

SVP hält Klimaschutz-Gesetz für einen «Stromfresser»

Zu extrem und zu teuer: Die SVP wirbt für ein Nein zum Klimaschutz-Gesetz am 18. Juni. Sie fürchten ein praktisches Verbot von Öl und Gas, was die Energieversorgung gefährde.

04.05.2023

Was sagen die Befürworter*innen?

Eine vom Verein Klimaschutz geführte Allianz von rund 200 Verbänden, Organisationen und Firmen wirbt für ein Ja zum Klimaschutz-Gesetz. Dieses schütze die Bevölkerung und die Natur vor den Folgen des Klimawandels.

Als Alpenland sei die Schweiz besonders stark vom Klimawandel betroffen. «Wetterextreme wie Dürren, Hitzewellen und das immer schnellere Abschmelzen der Gletscher schaden unserer Lebensgrundlage», halten die Befürworter*innen fest. Die Schäden durch solche Folgen des Klimawandels gingen in die Milliarden.

Das Klimaschutz-Gesetz setze auf die Förderung von Innovationen sowie den Ersatz von Heizungen und Gebäudesanierungen. Dass der Bund Unternehmen bei der Erstellung von Fahrplänen zur Emissionsreduktion unterstütze, erzeuge Wertschöpfung und stärke die einheimische Wirtschaft, schreibt die Allianz. Fabian Etter, Co-Präsident von Swisscleantech und Mitinitiant des Wirtschaftskomitees, spricht von einer Chance für die Wirtschaft.

Auch ein Komitee aus Mitgliedern von sechs Parteien – allen ausser der SVP – kämpfen für ein Ja zum Klimaschutz-Gesetz. «Je länger wir warten, desto gravierender werden die Schäden. Und desto teurer werden die Massnahmen, die wir zum Schutz unserer Lebensgrundlagen ergreifen müssen», sagt etwa EVP-Parteichefin und Nationalrätin Lilian Studer.

Stimmen aus sechs Parteien engagieren sich für Klimaschutz-Gesetz

Stimmen aus sechs Parteien engagieren sich für Klimaschutz-Gesetz

«Schützen, was uns wichtig ist»: Unter diesem Motto steht die Kampagne für das Klimaschutz-Gesetz, über das am 18. Juni abgestimmt wird. Vertreterinnen und Vertreter von FDP, Mitte, EVP, GLP, SP und Grünen stellen in Bern ihre Argumente vor.

21.04.2023

Und was sagt Bundesrat Albert Rösti?

Der seit Anfang Jahr amtierende Umweltminister Albert Rösti muss im Abstimmungskampf die Haltung des Bundesrats vertreten – gegen seine Partei, die SVP, und wohl auch gegen seine persönliche Überzeugung. Als Nationalrat hatte er noch das Referendumskomitee angeführt.

Nach dem Rollenwechsel betont Bundesrat Rösti, dass die Schweiz mit dem Klimaschutz-Gesetz ihre Abhängigkeit vom Ausland verringere. Die Schweiz importiere rund drei Viertel ihrer Energie, Erdöl und Erdgas sogar vollständig. Doch: «Öl und Gas sind auch nicht unendlich verfügbar», sagte der Vorsteher des Eidgenössischen Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK). Deshalb solle die Schweiz längerfristig davon wegkommen. Ausserdem betont Rösti, dass das Gesetz keine neuen Verbote, Vorschriften, Gebühren, Steuern und Abgaben vorsehe.

Seine Partei kann er dennoch nicht milde stimmen: «Bundesrat Rösti erzählt das Gegenteil von Nationalrat Rösti», wettert die SVP in einem Communiqué.

Mit Material der Nachrichtenagentur Keystone-SDA.

Bundesrat Rösti: «Der Ersatz von Elektroheizungen ist für mich ein zentraler Punkt des Klimagesetzes»

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Umweltminister Albert Rösti hat an einer Medienkonferenz die Argumente von Bundesrat und Parlament für ein Ja zum Klimaschutz-Gesetz dargelegt.

21.04.2023

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