RSV-Erreger bei Kindern «Die Fälle nicht unbegrenzt explodieren lassen»

pab / red.

24.11.2022

Der Tessiner Kantonsarzt Giorgio Merlani rät zu Impfungen und Hygienemassnahmen. 
Der Tessiner Kantonsarzt Giorgio Merlani rät zu Impfungen und Hygienemassnahmen. 
Bild: Keystone/Ti-Press/Pablo Gianinazzi

In der Schweiz häufen sich die Fälle von Bronchiolitis bei Kindern. Der Tessiner Kantonsarzt verfolgt die Entwicklung mit Besorgnis – und warnt, dass sich Infektionswellen verschiedener Krankheiten überlagern könnten.

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Das Respiratorische Synzytial-Virus (RSV) bringt die Schweizer Kinderspitäler an ihre Kapazitätsgrenzen. Der Erreger, der vor allem in den Wintermonaten grassiert, ist für Erwachsenen zumeist harmlos. Bei Säuglingen und Kleinkindern kann die Erkrankung jedoch gefährlich werden. Die Infektion kann sich bei ihnen als Bronchiolitis, Pneumonie oder Tracheobronchitis äussern.

Der Tessiner Kantonsarzt Giorgio Merlani hat den Sender RSI diese Woche über die angespannte Situation im Tessin aufgeklärt. Im Südkanton sei ein Anstieg der Fälle festgestellt worden, «mit einem scheinbar ersten Höhepunkt, aber wahrscheinlich nicht dem endgültigen».

Auf die Akutfälle konzentrieren

Merlani betont, dass die Situation genau beobachtet werde. Doch der Handlungsspielraum scheint limitiert zu sein: «Wenn es schon schwierig ist, die Kapazität spezifischer Therapien für Erwachsene zu erhöhen, ist es in der Kinderheilkunde noch schwieriger», erklärte er. Daher müssten die bereits im Verlauf der Corona-Pandemie erprobten Strategien angewandt werden: «Konzentrieren Sie sich auf die Akutbehandlung der Bedürftigen.»

Auf die Frage des Senders Comano, wie viele Intensivbetten im Tessin zur Verfügung stehen und wie viele noch geschaffen werden könnten, wollte Merlani keine konkreten Zahlen nennen. 

Allerdings, so fuhr er fort, dürfe man «die Fälle nicht unbegrenzt explodieren lassen». Das RSV führe zu schweren Verläufen, insbesondere bei sehr kleinen Kindern. Um sie zu behandeln, brauche es ein sehr spezifisches Fachwissen – mehr noch als bei der Intensivpflege von Erwachsenen. 

In der Pädiatrie könnten längere Schichten nötig werden, warnt Merlani. Darum sei es denkbar, dass ältere Kinder der Erwachsenenmedizin anvertraut werden müssten, damit sich die Pädiatrie auf die jüngeren Kinder konzentrieren könne.

Boomerang-Effekt wegen Corona-Schutzmassnahmen

Der Tessiner Kantonsarzt äusserte auch seine Vermutungen, was zum Anstieg der Fallzahlen geführt hat. Interessant dabei: Gerade jene Schutzmassnahmen, die die Verbreitung des Covid-Virus eingedämmt hatten, sollen die Ausbreitung von RSV begünstigt haben: Der Erreger zirkulierte weniger, weshalb die Menschen jetzt erkrankten.

Merlani macht zwei spezifische Dynamiken in der aktuellen Situation aus. Erstens könnten «diejenigen, die 2020 und 2021 nicht erkrankt sind, in diesem Jahr erkranken», was zu einer Häufung der Fälle führen könne. Zweitens sei zu bedenken, dass es wiederkehrende Krankheiten gebe wie die Grippe. «In den letzten drei Jahren haben wir praktisch keine Antikörper gegen diese Infektion entwickelt, eine grössere und wuchtigere Welle könnte kommen», befürchtet Merlani.

Es wäre riskant, wenn sich die Infektionswellen verschiedener Krankheiten überschneiden würden. «Wenn ein Spital mit Covid-Fällen zu tun hat, ist das eine Sache. Aber wenn es mit Covid-, Influenza- und RSV-Viren zu tun hat, könnte das ein echtes Problem werden.»

Doch die Bevölkerung steht laut dem Tessiner Kantonsarzt nicht ohne Handlungsspielraum da. Merlani erinnert daran, dass Impfungen vor Covid und Grippe schützen. Wichtig seien auch Hygienemassnahmen. Wenn sich die Wellen verschlimmern sollten, werde es vielleicht wieder notwendig, «Schutzmasken nachdrücklicher zu empfehlen». 

Zum Schutz der Kinder vor dem RSV-Erreger erinnerte er daran, dass diese sich «im Allgemeinen in ihrer Umgebung mit dem Virus anstecken». Die Eltern könnten also eine Maske verwenden, wenn sie sich an belebten Orten aufhielten. So könnten sie vermeiden, sich mit RSV anzustecken, das für sie im Grunde genommen ungefährlich sei und kaum Symptome auslöse, und gäben es nicht an die Kleinsten weiter.