«Tropfen auf heissen Stein»Deutsche Polizisten zerpflücken Migrationspakt mit der Schweiz
gbi
4.1.2023
Mit einem Aktionsplan wollten die Schweiz und Deutschland gegen illegale Migration über die gemeinsame Grenze vorgehen. Nun kritisieren deutsche Polizisten das Abkommen. Bern widerspricht.
gbi
04.01.2023, 10:22
04.01.2023, 10:56
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«Die Schweiz und Deutschland gehen gemeinsam gegen irreguläre Migration vor», verkündete das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) am 13. Dezember 2022. Anlass war ein neuer Aktionsplan zur Bekämpfung der illegalen Migration, den Bundesrätin Karin Keller-Sutter – damals noch EJPD-Vorsteherin – in Berlin mit der deutschen Innenministerin Nancy Faeser vereinbart hatte.
Nur wenige Wochen später wird in Deutschland Kritik an dem Abkommen laut: Reine Symbolpolitik sei dieses, moniert der Polizeigewerkschafter Manuel Ostermann in einem Bericht der «Bild»-Zeitung vom Dienstag: «Die rhetorischen Floskeln der Ministerin ändern nichts an dem Fakt, dass es keine Grenzkontrollen gibt. Hier wird mit Rhetorik versucht, das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung zu stärken, aber faktisch schwächt man deren Sicherheit und die Sicherheitsbehörden aufgrund fehlender Zuständigkeiten.»
Auch Heiko Teggatz, Vorstandsmitglied der Deutschen Polizeigewerkschaft, äussert sich skeptisch: Was die Grenzkontrollen angehe, sei der Aktionsplan bloss «ein Tropfen auf dem heissen Stein».
Diese Vorwürfe lässt Lukas Rieder, Mediensprecher des Justizdepartements in Bern, nicht unwidersprochen. «Risikobasierte Personenkontrollen» würden im Rahmen der Zollkontrollen «bei Vorliegen eines polizeilichen Verdachts» durchaus vorgenommen, hält er auf Anfrage von blue News fest. Verantwortlich dafür sei das Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit.
Ohnehin sei die Verantwortung – anders als vom Polizeigewerkschafter kritisiert – eindeutig geregelt: «Grenzkontrollen sind Massnahmen zur Gewährleistung der Grenzsicherheit, als solche hoheitliche Aufgaben eines Staates und werden von jedem Staat eigenständig wahrgenommen und umgesetzt.» Demgegenüber sei «irreguläre Migration» ein internationales Phänomen, dem «nur mit international koordinierten Massnahmen begegnet werden» könne. Genau dies werde mit dem Aktionsplan getan.
Nur noch Stichproben an der Grenze
Störend sind aus deutscher Sicht die illegalen Grenzübertritte aus der Schweiz. 2022 stellte die deutsche Polizei gemäss «Bild» über 9716 Fälle fest – wobei die Dunkelziffer noch höher sein dürfte.
Auch Keller-Sutter hielt im Dezember fest, dass über die Westbalkanroute und die zentrale Mittelmeerroute wieder vermehrt Migrantinnen und Migranten in die Schweiz und nach Deutschland gelangt seien.
Dazu muss man wissen: Da sowohl Deutschland als auch die Schweiz dem Schengenraum angehören, werden an den gemeinsamen Grenzen keine systematischen Kontrollen mehr durchgeführt. Stattdessen gibt es stichprobenartige Kontrollen, die sogenannte Schleierfahndung.
Kroatien tritt Schengen-Raum zum 1. Januar bei
Kroatien kann dem Schengen-Raum ohne Passkontrollen zum 1. Januar beitreten. Dem stimmten die Innenminister der Mitgliedsländer zu. Bulgarien und Rumänien gehen dagegen leer aus. Österreich hatte sein Veto gegen die Aufnahme dieser beiden Länder e
08.12.2022
Daran stört sich das deutsche Boulevardblatt: Würden die deutschen Beamt*innen jemanden kontrollieren, der oder die bereits einen Asylantrag in einem anderen Schengenland gestellt habe, dürfen sie diese Person nicht zurückweisen. «Im Klartext: Illegale Migranten MÜSSEN durchgelassen werden», fasst die «Bild» in empörtem Ton zusammen.
Gelangen Migrant*innen über Österreich in die Schweiz, müssten sie eigentlich nach Österreich zurückgeschickt werden – so sieht es das Dublin-Abkommen vor. Doch dies wird erst dann nötig, wenn ein Asylantrag gestellt wird. In vielen Fällen reisen die betroffenen Menschen aber von der Schweiz gleich weiter nach Deutschland, um dort ihren Antrag zu platzieren. Die Gründe: «Die Rückführungsquote ist in der Schweiz viel höher als in Deutschland, unter anderem weil das Land mit mehr Staaten entsprechende Abkommen geschlossen hat», fasst die NZZ zusammen.
St. Galler Kapo: «Wir erlauben formell die Weiterreise»
SRF berichtete im Oktober 2022, dass damals wöchentlich Tausende Migrant*innen aus Österreich mit dem Zug in Buchs SG ankamen. Die Schweizer Grenzwache kontrolliere die Personalien und ob jemand polizeilich gesucht werde. Sei dies nicht der Fall, stehe der Weiterreise nach Deutschland oder Frankreich aber nichts im Weg. Ein Sprecher der St. Galler Kantonspolizei bestätigte der «NZZ am Sonntag» schliesslich: «Wir erlauben formell die Weiterreise.»
In der Folge nahm die Kritik an der Schweizer Praxis laufend zu. Was zum bilateralen Aktionsplan zwischen Bern und Berlin führte.
Dieser sieht vor, dass die gemeinsamen grenzüberschreitenden Schwerpunktfahndungen intensiviert werden. So solle das «Schlepperwesen» bekämpft und «Weiterwanderungen» verhindert werden, schreibt das EJPD. Zudem sollten im grenzüberschreitenden Bahnverkehr «vermehrt gemeinsame Streifen» der deutschen und Schweizer Polizei zum Einsatz kommen. Ein ähnliches Abkommen hat die Schweiz bereits mit Österreich geschlossen.
Der deutsche Polizeigewerkschafter Manuel Ostermann kritisiert das Abkommen in der «Bild» gleichwohl als reine Symbolpolitik: «Vorher haben die Schweizer nicht nachgefragt, illegal Einreisende weiter nach Deutschland fahren zu lassen. Jetzt hat man offiziell ein Abkommen gefunden. Für die Sicherheitsbehörden ändert sich kaum etwas. Der Migrationsdruck auf Deutschland bleibt hoch.»
Doch sollte nicht vergessen werden: Das Abkommen ist nicht in Stein gemeisselt. Anfang 2023 wollen Deutschland und die Schweiz eine erste Bilanz zur Umsetzung ziehen. Das wird schon im Communiqué des EJPD vom Dezember festgehalten. Dabei werde auch geprüft, «inwiefern neue Massnahmen ergriffen werden sollen», bestätigt Departementssprecher Lukas Rieder auf Anfrage. Zum Zeitplan macht er aber keine Angaben.
Was sich definitiv geändert hat: Seit Anfang Jahr steht dem Departement nicht mehr Karin Keller-Sutter vor, sondern Elisabeth Baume-Schneider.
Im Bundesrat kommt es zur Departementsrochade
Im Bundesrat kommt es zur Departementsrochade: Albert Rösti übernimmt das Umwelt- und Energiedepartement, Karin Keller-Sutter wird neue Finanzministerin. Die neu gewählte Elisabeth Baume-Schneider übernimmt das Justiz- und Polizeidepartement.