Es bleibt bei «Mann» und «Frau» «Der Bundesrat hat eine Chance verpasst»

Von Monique Misteli

22.12.2022

Ein drittes Geschlecht oder gar keine Angabe bleibt bei der amtlichen Registrierung weiterhin verwehrt.
Ein drittes Geschlecht oder gar keine Angabe bleibt bei der amtlichen Registrierung weiterhin verwehrt.
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Mann oder Frau – es bleibt weiterhin bei dieser Auswahl. Der Bundesrat stellt sich gegen die Einführung des dritten Geschlechts – obwohl die beratende nationale Ethikommission dies empfiehlt. 

Von Monique Misteli

Jeder Mensch in der Schweiz hat von Amtes wegen ein Geschlecht. Denn alle müssen kurz nach der Geburt im Personenstandregister entweder als Frau oder als Mann eingetragen werden.

Wer sich keiner der zwei Kategorien zugehörig fühlt, muss sich dennoch entscheiden. Denn ein drittes Geschlecht ist rechtlich gesehen keine Option. Dasselbe gilt für einen Verzicht auf eine Angabe zum Geschlecht. Und das bleibt vorerst so.

Der Bundesrat teilte am Mittwoch mit, dass er gegen die Einführung eines dritten Geschlechts oder auf den Verzicht eines Geschlechtereintrags im Schweizer Recht ist. In seinem 17-seitigen Bericht, den er im Auftrag des Parlaments verfasst hat, begründet er seinen Entscheid damit, das binäre Geschlechtermodell – also Mann/Frau – sei in der Gesellschaft nach wie vor stark verankert.

Bevor dies angepasst werden könne, müsse ein gesellschaftlicher Diskurs geführt werden, weshalb die «Voraussetzungen für eine Einführung des dritten Geschlechts oder dessen Verzicht» nicht erfüllt seien. Die Änderungen hätten weitreichende Konsequenzen, steht in der Medienmitteilung des Bundes weiter.

Vier Varianten, wie das binäre Geschlechtermodell verändert werden könnte

Darin stützt sich die Landesregierung auf die Nationale Ethikkomission im Bereich der Humanmedizin (NEK), die 2020 im Auftrag des Bundesamtes für Justiz (BJ) einen Bericht über die rechtliche Situation des binären Geschlechtermodells erarbeitet hat. 

Doch der Bericht kommt zu einem anderen Schluss, als wie vom Bundesrat kommuniziert. Darin empfiehlt die Kommission das «rasche Fortsetzen der Arbeiten an einer (oder mehreren) zusätzlichen Kategorie(n)» und zeigt vier mögliche Varianten auf, wie das binäre Geschlechtermodell verändert werden kann und welche Folgen eine Abschaffung auf die Gesetzgebung hätte: 

1) Verzicht auf jegliche Registrierung des amtlichen Geschlechts bei der Geburt
2) Verzicht auf jegliche Registrierung des amtlichen Geschlechts nach der Geburt (a posteriori)
3) Allgemeine Abschaffung jeglicher amtlichen Registrierung des Geschlechts
4) Schaffung neuer Geschlechtskategorien

NEK distanziert sich von Bundesrats-Entscheid

Auf Anfrage bei Andrea Büchler, Präsidentin der NEK, distanziere sich die Kommission von der Mitteilung des Bundesrates: «Alles ist besser als der Status quo. Mit dem Entscheid hat der Bundesrat eine Chance verpasst, auf den gesellschaftlichen Wandel einzugehen», ergänzt Büchler.

Zwar seien die Argumente des Bundesrats korrekt, dass das binäre Geschlechtermodell in der Gesellschaft tief verankert sei und sich eine Änderung massiv auf das Schweizer Recht auswirken würde. Dennoch komme man an einer Revision nicht vorbei, um transidentitären und non-binären Menschen Rechnung zu tragen, sagt die Rechtsprofessorin. 

Als praktikabelste Lösung sieht sie deshalb die Schaffung einer dritten Option für den Geschlechtseintrag – gleichzeitig sei ein Prozess anzustossen, der eine vertiefte Prüfung der allgemeinen Abschaffung des Geschlechtereintrags zum Gegenstand habe, so Büchler. 

Gesetzesbücher voll von binärer Kategorisierung

In der Tat würde die Einführung eines dritten Geschlechts oder Verzicht auf den Geschlechtseintrag im Personenstandsregister eine umfassende Revision verlangen. Denn die zwei Geschlechterkategorien «Mann» und «Frau» sind allgegenwärtig in den Gesetzesbüchern: etwa im Militärgesetz, im Sozialversicherungs- oder Familienrecht.

Konkret heisst dies, dass das ab der Geburt registrierte Geschlecht bestimmt, ob ein Mensch militärpflichtig wird, eine Witwen-, beziehungsweise Wittwerrente erhält oder ab wann die Pensionierung möglich ist.

Rückständige Schweizer*innen

Andere Länder, teilweise mit einem ähnlichen Rechtssystem, wie beispielsweise Deutschland oder Österreich aber auch Malta, Australien und Dänemark sowie einzelne Staaten der USA haben das dritte Geschlecht beziehungsweise den Verzicht auf die Angabe bereits gesetzlich geregelt.

Auch für Nationalrätin Sibel Aslan (Grüne/BS) ist der veröffentlichte Bericht eine Enttäuschung. Die Argumentation des Bundesrates, es fehle der öffentliche Diskurs, kann sie nicht nachvollziehen.

Den hätte man problemlos parallel zur Gesetzesrevision, die mindestens eine Legislatur dauern würde, führen können, ist Arslan überzeugt – und sagt: «Mit dem Bericht verweigert der Bundesrat den Betroffenen die nötige Anerkennung und Respekt in unserer Gesellschaft.» Für die Juristin ist klar, die Landesregierung habe in dieser Konstellation die Zeichen der Zeit noch nicht erkannt und verstecke sich hinter schwachen Argumenten. 

Das Bundesamt für Justiz räumt auf Anfrage von blue News ein, dass die Kommunikation der bundesrätlichen Positionierung ungünstig gewesen sei. Grundsätzlich beziehe der Bundesrat mit dem Bericht lediglich Stellung. Dies zurückhaltende Positionierung des Bundesrats, könne aber durchaus neue Impulse auslösen für politische Vorstösse, sagt ein Mediensprecher.

Sollte auch die Schweiz das nonbinäre Geschlecht einführen?

Hinweis: Der Bericht des Bundesrats ist eine Antwort auf zwei Postulate, welche Grüne-Nationalrätin Sibel Arslan und die waadtländer Staatsrätin Rebecca Ruiz (ehem. SP Nationalrätin) bereits im Dezember 2017 einreichten. Arslan forderte vom Bundesrat, die möglichen Folgen aufzuzeigen, wenn im Personenstandsregister ein drittes Geschlecht aufgeführt werden würde. Ruiz die rechtlichen Folgen für Infostar, das elektronische Personenstandsregister.