Kim de l'Horizon nach «Es»-Aussage «Lieber Ueli Maurer, sie haben mich geschlagen»

Von Bruno Bötschi

20.10.2022

Kim de l'Horizon schreibt über einen verbalen Übergriff von Ueli Maurer. Der Bundesrat sagte, dass er kein «Es» als Nachfolger haben möchte. Anders als viele erwartet hätten, vergibt die nonbinäre Autorin dem SVP-Politiker.

Von Bruno Bötschi

Kim de l'Horizon wurde am 30. September 2022 von zwei Männern geschlagen – der erste Mann schlug mit der Faust zu, der zweite mit Worten.

Kim de l'Horizon gewann diese Woche den Deutschen Buchpreis für den Debütroman «Blutbuch», dessen autobiografische Figur sich weder als Mann noch als Frau fühlt.

Auch Kim de l'Horizon ist nonbinär und weilte am 30. September für eine Lesung in Berlin, trug Jeans, Pulli und etwas Lippenstift auf dem Weg dorthin, als ein Mann in der U-Bahn zuschlug und sagte:

«Normale Schwuchteln kann ich mittlerweile schlucken, aber du bist mir einfach zu viel.»

Sind wir so inexistent, Herr Maurer?

«Der zweite Schlag kam später und war gemeiner,» schreibt Kim de l'Horizon in der «NZZ» im Text «Lieber John Unbekannt, lieber Ueli Maurer, ihr habt mich geschlagen. Aber ich vergebe euch.»

Der zweite Schlag war einer mit Worten.

Er kam vom abtretenden Bundesrat Ueli Maurer. Der SVP-Mann sagte während der Pressekonferenz, an dem er seinen Rücktritt ankündigte: «Ob meine Nachfolgerin eine Frau oder ein Mann ist, ist mir egal. Solange es kein Es ist, geht es ja noch.»

Ueli Maurer sagte während einer Pressekonferenz, dass er sich kein «Es» als seine Nachfolge wünsche. Ob Mann oder Frau, das sei ihm egal.
Ueli Maurer sagte während einer Pressekonferenz, dass er sich kein «Es» als seine Nachfolge wünsche. Ob Mann oder Frau, das sei ihm egal.
Bild: Keystone

Kim de l'Horizon schaute die Pressekonferenz am TV. Keine*r der anwesenden Journalist*innen habe die Aussage von Maurer kommentiert, kaum ein Medium habe danach darüber berichtet.

Dabei sei die Aussage des Bundesrates an Zynismus kaum zu überbieten, so Kim de l'Horizon. Kurz danach redete Maurer über seine Sorge um die Spaltung der Gesellschaft. «Wir müssen eine Einheit sein, mit unterschiedlichen Leuten zusammenleben.»

Kim de l'Horizon fragt den abtretenden Bundesrat nun in der «NZZ»: «Sind wir, die weder Mann noch Frau sind, wir ‹Es›, wir trans* und nonbinären Menschen, sind wir also keine Minderheit für Sie? Sind wir so inexistent für Sie, dass Sie sich in der Spaltung der Gesellschaft nicht um uns sorgen? Offenbar existieren wir doch, sonst würden Sie uns ja nicht eigens erwähnen, als einzige Kategorie, die Sie nicht als Nachfolge haben wollen.»

«Sie schicken mir Fäuste, ich küsse sie»

In der Folge will Kim de l'Horizon von Ueli Maurer wissen, ob er schon einmal mit einem «Es» gesprochen habe? Denn er habe es doch als Bundesrat nicht nötig, sich über andere Menschen zu erheben.

«Sie, Herr Maurer, sind genug. Gut genug. Sie sind Mann genug. Sie sind wertvoll genug.»

Und weiter: «Herr Maurer, Sie wollen mir mein Menschsein verwehren, mich nicht als vollwertiges politisches Subjekt akzeptieren. Dennoch kämpfe ich nicht gegen Sie. Ich vergebe Ihnen. Ich habe kein Interesse, zu dominieren. Ich möchte den Kreislauf von unterliegen vs. unterwerfen, von schwarz vs. weiss durchbrechen. Sie schicken mir Fäuste, ich küsse sie. Sie leugnen meine Existenz, ich blühe.»

Der Lesende spürt: Maurers Schlag tut weh. Sehr sogar. Doch anders als wohl von vielen erwartet, wirft Kim de l'Horizon – als Kind selber auch in Prügeleien verwickelt – nicht den Fehdehandschuh hin.

Stattdessen folgt nach der Vergebung ein Friedensangebot: «Ich biete Ihnen nur an, zu zeigen, wie ich lebe, und ich würde gern sehen, wie Sie leben. Denn, lieber Herr Maurer, ich lebe. Ich lebe irrlichternd, gern, blumenwiesig, und ich lebe in Gefahr. Ich lebe, und leben heisst für mich, zu lernen. Und was heisst es für Sie?»


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