Ethische Fragen«2G kann der Bund nicht einfach so erlassen, weil es ihm besser passt»
Von Gil Bieler
8.10.2021
Ein Gutschein für jene, die Zögerer von der Impfung überzeugen? Und Ungeimpfte sollen nicht mehr in die Beiz dürfen? Eine Expertin bezieht Stellung zu den ethisch brisanten Fragen der aktuellen Pandemie-Phase.
Von Gil Bieler
08.10.2021, 06:50
08.10.2021, 07:59
Gil Bieler
«Ungerecht», «falsche Anreize», «kontraproduktiv»: Die Kantone lassen kein gutes Haar an den Plänen des Bundesrats, eine erfolgreiche Impf-Überzeugungsarbeit mit einem Gutschein zu belohnen. Der Grundtenor lässt sich anhand von Voten der Zürcher Regierung illustrieren:
«Der Entscheid für eine Impfung betrifft die geimpfte Person in ihrer körperlichen Integrität und ist persönlich. Es sollen keine anderen Personen finanziell davon profitieren.»
Ein finanzieller Anreiz für die Impfung gebe eine falsche Signalwirkung, heisst es im Sitzungsprotokoll der Zürcher Kantonsregierung. Die Aktion ...
«... könnte sich mit Blick auf die Covid-Auffrischungsimpfungen oder künftig notwendige Impfungen als kontraproduktiv erweisen, wenn bestimmte Personen in der Erwartung eines finanziellen Anreizes mit dem Impfen zuwarten, bis eine Entschädigung in Aussicht gestellt wird.»
Für Andrea Büchler, Medizinethikerin und Rechtsprofessorin an der Universität Zürich, kommt das negative Feedback nicht überraschend: «Auch ich sehe die Idee mit den Gutscheinen skeptisch», sagt sie zu «blue News». Oftmals hielten Ängste oder ein zusätzlicher Informationsbedarf zögerliche Personen vom Impfen ab. «Ob ein Gutschein für ein Restaurant, der erst noch an eine andere Person geht, da den Ausschlag geben kann? Davon bin ich nicht überzeugt.»
Unklar sei für viele wohl auch, welche Hoffnungen mit diesem Anreiz genau verknüpft seien. «Gutscheine haben immer etwas von einer Belohnung. Aber mir ist nicht klar, wofür ich denn in diesem Fall konkret belohnt würde.»
«Ein seltsamer Beigeschmack»
Ein weiterer Mangel sei aus ethischer Sicht die Verknüpfung von monetären Anreizen und der Gesundheit. «Das Thema Gesundheit ist zu ernst für solch eine Aktion.» Bei einer Impfung handle es sich schliesslich um einen Eingriff in die körperliche Integrität und bei anderen Vorgängen – von der Blut- bis zur Organspende – sind Geldleistungen entsprechend verboten. «Natürlich ist der Gutschein nicht genau dasselbe, dennoch bleibt eine Verbindung zwischen Geld und körperlicher Integrität bestehen. Und damit auch ein seltsamer Beigeschmack.»
Zielführender wäre es aus ihrer Sicht, wenn die Behörden gezielt das Gespräch suchen und versuchen würden, Unsicherheiten und Ängste zu entkräften.
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Auch andere ethische Fragen geben in der aktuellen Pandemie-Phase zu reden. So können mNRA-Skeptiker*innen seit dieser Woche einen alternativen Impfstoff wählen – jenen von Johnson & Johnson. Eine Bevorteilung? Schliesslich können sich alle anderen nicht für oder gegen den Impfstoff von Pfizer-Biontech oder Moderna entscheiden.
Dies erachtet Büchler als unproblematisch. «Das war ja nicht so geplant. In einer Pandemie ändern sich die Gegebenheiten ständig und man muss seine Strategie laufend anpassen und mit jenen Impfstoffen arbeiten, die man zur Verfügung hat.»
2G als «starker Eingriff in die persönliche Freiheit»
Mit Schaffhausen lanciert schliesslich auch ein erster Kanton die Diskussion um die 2G-Regelung. Gemeint ist: Nur noch Geimpfte und Genesene sollen Zutritt zu Restaurants, Kinos oder Fussballstadien erhalten, ein Corona-Test würde nicht mehr reichen.
«Das wäre ein starker Eingriff in die persönliche Freiheit», findet Büchler. «Darum bräuchte es auch einen eindeutigen Nachweis, dass dies die einzige Möglichkeit wäre, eine Überlastung des Gesundheitswesens zu verhindern.» In der aktuellen Pandemie-Entwicklung sehe sie keine Rechtfertigung dafür.
«Über die Impfung muss ich frei entscheiden können», so Büchler. Mit der aktuell gültigen 3G-Zertifikatspflicht – geimpft, genesen, getestet – werde diesem Umstand Rechnung getragen: «Ungeimpfte Personen werden nicht vom öffentlichen Leben ausgeschlossen, es gibt für sie eine Alternative.»
Im bisherigen Pandemie-Verlauf habe sie die getroffenen Massnahmen gut nachvollziehen können. Doch müsse man aufpassen, dass all diese Eingriffe in die persönlichen Freiheiten auch begründet werden können. «2G kann der Bund nicht einfach so erlassen, weil es ihm besser passt. Er müsste aufzeigen können, dass der Schutz der öffentlichen Gesundheit dies gebiete und es dafür keine milderen Massnahmen gibt.»
Für die Rechtsprofessorin ist klar: «Die Hoffnung, dass sich die Menschen durch diesen zusätzlichen Druck impfen lassen, reicht als Rechtfertigung nicht. Dann müsste man so ehrlich sein und sagen: Wir wollen und erwarten, dass ihr euch impfen lasst.»