Erstmals seit Beobachtungsbeginn Besorgniserregender Befund: Das dickste Eis der Arktis bricht

SDA

5.9.2018 - 10:12

Die Luftaufnahme aus 300 Metern Höhe zeigt einjähriges Meereis in der Arktis, das unter Einfluss starker Winde aufgebrochen ist. (Archiv)
Die Luftaufnahme aus 300 Metern Höhe zeigt einjähriges Meereis in der Arktis, das unter Einfluss starker Winde aufgebrochen ist. (Archiv)
Source: Konrad Steffen WSL/ETH

Das dickste Meereis der Arktis vor der Nordküste Grönlands ist dieses Jahr erstmals seit Beginn der Beobachtungen aufgebrochen. Die Arktis dürfte deutlich schneller eisfrei werden als bisher angenommen, vermuten Experten.

Das letzte mehrjährige Meereis der Arktis bröckelt. Ein Riss lief diesen Juli an der Nordküste Grönlands durch das Eis und öffnete sich zu einer breiten Rinne offenen Wassers. Dort, wo eine Luftströmung namens Beaufortwirbel das Meereis zusammendrückt, ist die Eisschicht eigentlich besonders dick. Durchschnittlich vier Meter, an manchen Stellen sogar bis zu 20 - nahezu undurchdringlich für Eisbrecher.

«Seit ich in den 1970er Jahren angefangen habe, Meereis zu erforschen, sehe ich das zum ersten Mal», sagt Konrad Steffen, Direktor der WSL, der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA.

Die Schweiz betreibt seit 1990 die Forschungsstation «Swiss Camp» auf Grönland, 70 Kilometer nordöstlich von Ilulissat. Hier besucht  Bundespräsidentin Doris Leuthard im August 2017 mit Konrad Steffen, dem Direktor der WSL. (Archiv)
Die Schweiz betreibt seit 1990 die Forschungsstation «Swiss Camp» auf Grönland, 70 Kilometer nordöstlich von Ilulissat. Hier besucht  Bundespräsidentin Doris Leuthard im August 2017 mit Konrad Steffen, dem Direktor der WSL. (Archiv)
Bild: Keystone/Peter Frey

Auch die Satellitenbeobachtungen seit den 1970ern zeigen, dass das Meereis dort bisher stabil war. Doch dieses Jahr stiegen die Temperaturen in der Arktis zweimal auf ungewöhnliche Werte. Im Februar herrschten zeitweise plus 5 Grad Celsius, wo normalerweise eher minus 20 Grad herrschen. Im Juli war es dann wieder ungewöhnlich warm.

Fast das gesamte Eis ist zersplittert

Grund dafür war der Jetstream, eine wellenförmige Luftströmung, die die Nordhalbkugel umspannt und die Wetterlage beeinflusst. Je nach Beugungsgrad der Wellen kann dies zu ungewöhnlichen Wetterlagen führen: In diesem Fall trug der Jetstream warme Luft vom Atlantik nach Norden in die Arktis. «Dadurch haben wir diese unnatürlich warmen Temperaturen in der Arktis gehabt», erklärt Steffen.

«Fast das gesamte Eis nördlich von Grönland ist zersplittert und aufgebrochen und deshalb sehr beweglich», kommentierte Ruth Mottram vom Dänischen Meteorologischen Institut Ende Juli gegenüber dem Guardian. Offenes Wasser vor der Nordküste Grönlands sei sehr ungewöhnlich, betont auch sie.

Weil offenes Wasser zudem mehr Sonnenenergie absorbiert als reflektierendes Eis, wärmt sich das Meer in dieser Region stärker auf. Das treibt das Schwinden der arktischen Eismassen weiter voran. So beschrieben US-Forscher der Yale Universität kürzlich im Fachblatt «Science Advances», dass im Kanadischen Becken grosse Mengen warmen Wassers gespeichert liegen.

Dieses Wasser wurde den Wissenschaftlern zufolge durch Sonneneinstrahlung in südlicheren Regionen der Arktis, wo das Meereis bereits stark zurückgegangen ist, aufgeheizt und durch arktische Winde nach Norden und in tiefere Wasserschichten transportiert.

Noch liegt dieser Wärmespeicher «gefangen» unter der Oberfläche. Sollte er sich jedoch mit dem Oberflächen-nahen Wasser mischen, wäre das genug Wärme um das gesamte Meereis der Arktis komplett zu schmelzen, erklärte Studienleiterin Mary-Louise Timmermans gemäss einer Mitteilung der Yale-Universität.

Schneller eisfrei als erwartet

«Wir wussten bereits, dass durch den Klimawandel die Arktis im Sommer früher oder später frei von Meereis sein wird. Es zeichnet sich ab, dass das viel schneller passieren wird als erwartet», kommentiert der WSL-Direktor.

Bisher habe es mehrjähriges und einjähriges Meereis gegeben - also solches, das mehrere Jahre überdauert, und solches, das jedes Jahr neu entsteht und wieder schmilzt. Schon jetzt gebe es fast nur noch einjähriges Meereis, so Steffen. Das nun aufgebrochene Eis könnte von Meeresströmungen erfasst und Richtung Island gedriftet werden, wobei es langsam schmilzt. Wie sich diese Entwicklung des Meereises vor der Küste auf den Eisschild auf dem grönländischen Festland auswirken wird, sei schwierig abzuschätzen.

Inzwischen schliesst sich die Rinne wieder, weil Eis von Norden nachrückt. Und ob sich die Risse und Rinnen auch nächstes Jahr wieder bilden werden, ist noch unklar. Obwohl es ein dramatisches Zeichen für das Fortschreiten des Klimawandels wäre, hätte es für die Polarforschung durchaus Vorteile: 2019 plant das Schweizer Polarinstitut (SPI) eine internationale Expeditionsreise rund um Grönland an Bord eines Forschungsschiffs.

Expedition in unerforschtes Gebiet

«Für bestimmte Strecken müssen wir einen Atomeisbrecher mieten, weil wir sonst nicht durch das dicke Meereis kämen», erklärt Steffen, der auch wissenschaftlicher Direktor des SPI ist. Ist das Meereis nächstes Jahr jedoch auch so dünn und aufgebrochen wie dieses, verkürzt sich der Abschnitt der Forschungsrundreise, für welchen der besonders starke - und teure - Eisbrecher nötig ist. «Dadurch hätten wir mehr Geld übrig für andere Aspekte der Expedition.»

Die Entwicklungen in der Arktis dürften auch die Planung der wissenschaftlichen Projekte beeinflussen. «Wir werden das erste Forschungsschiff sein, das überhaupt in diese Regionen vordringt. Temperatur- und Salinitätsmessungen von dort gibt es bisher nur wenige», so Steffen. Die Forschenden an Bord werden beispielsweise die Meeresströmungen untersuchen und damit genauere Erklärungen finden, warum das bisher so stabile Meereis vor Nordgrönland nun bricht.

Die Arktis ist zwar fern, doch das Schmelzen der Pole wird auch in Mitteleuropa spürbar werden: Dadurch dürften sich Luftmassenbewegungen verändern, was sich auf das globale Klima- und Wettersystem auswirkt.

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