«Wir sind zu weit gegangen» Daniel Koch verreisst seine eigenen Corona-Regeln

pfi

5.11.2023

«Die Pandemie hinterlässt sehr viele offene Fragen»: Daniel Koch hält die Aufarbeitung der gesundheitspolitischen Massnahmen des Bundes während der Pandemie für zwingend notwendig.
«Die Pandemie hinterlässt sehr viele offene Fragen»: Daniel Koch hält die Aufarbeitung der gesundheitspolitischen Massnahmen des Bundes während der Pandemie für zwingend notwendig.
Archivbild: Keystone

Kontaktverbote, Ausschluss von Ungeimpften, eingeschränkte Grundrechte: Daniel Koch hat als Covid-19-Delegierter des Bundes die staatlichen Massnahmen zur Eindämmung der Pandemie mitzuverantworten. Rückblickend beurteilt der Ex-BAG-Krisenmanager viele von ihm selbst empfohlene Vorschriften als unnötig und wirkungslos.

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Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Daniel Koch gibt Entwarnung: Er sieht derzeit «weder Anzeichen einer Corona- noch einer Grippewelle».
  • Manche Corona-Massnahmen während der Pandemie würde Koch rückblickend nicht mehr verfügen.
  • So seien mit der Abriegelung der Altersheime Grundrechte der Bewohnerinnen und Bewohner zu stark eingeschränkt worden.
  • Vom Bund wünscht sich Koch eine systematische Aufarbeitung der staatlich getroffenen Schutzvorkehrungen.

Als die Corona-Welle 2020 über die Schweiz schwappte, erwarb sich Daniel Koch über Nacht den Titel «Mister Corona». Er wurde zum Gesicht der Krise, indem er die Öffentlichkeit wieder und wieder über das Coronavirus informierte. Seine Analysen und Ratschläge wurden letztlich zum Navigator im Umgang mit der Pandemie – und nicht zuletzt auch zum Gesetz für die Schweizer Bürgerinnen und Bürger.

Drei Jahre nach dem grossen Corona-Knall blickt der ehemalige Leiter der Abteilung «Übertragbare Krankheiten» beim Bundesamt für Gesundheit differenzierter und kritischer auf den Massnahmen-Katalog zur Eindämmung der Pandemie zurück. In einem Interview mit dem «SonntagsZeitung» fordert Koch deshalb eine schonungslose Aufarbeitung der damals verordneten Einschränkungen.

«Viele offene Fragen»

«Besonders wichtig finde ich, dass wir uns die Frage stellen, ob wir in der Pandemie zum Teil unnötigerweise Grundrechte eingeschränkt haben», erklärt Koch. Besonder «krass» findet der Experte in der Nachbetrachtung die Isolierung von Corona-Kranken in Altenheimen. «Dort sind Menschen ganz allein gestorben, weil niemand mehr sie besuchen durfte», so Koch.

Die Einschränkung der Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger durch gesundheitspolizeiliche Massnahmen sieht er heute als Fehler – und gesteht: «Rückblickend glaube ich, dass wir dort zu weit gegangen sind.» Zudem seien die Verantwortlichen in den Heimen zu sehr alleingelassen worden.

Ähnlich selbstkritisch stellt sich Koch der Frage, ob es richtig gewesen sei, Ungeimpften zum Beispiel den Zutritt zu Restaurants zu untersagen. «Auch dieser Fragen muss man noch nachgehen». Koch verweist jedoch auf die Pflicht des Staates, «die Gesundheit der Menschen zu schützen. Das ist im Extremfall nur mit Einschränkungen der Grundrechte möglich.»

Gleichzeitig, so Koch, «dürfen die Grundrechte nur eingeschränkt werden, wenn es verhältnismässig ist, weil es kein anderes Mittel gibt.» Vom Bund wünscht er sich nun eine klare Aufarbeitung dieser grundrechtlichen Gretchenfrage. Inwieweit diese aktuell im Gange ist, kann Koch jedoch nicht beantworten. «Ich wurde hierzu nie involviert.»

Grippewelle im Anflug?

Im Umgang mit der aktuellen Grippewelle und gleichzeitig wieder steigenden Corona-Zahlen wünscht sich Koch eine differenziertere Betrachtung der Krankenstatistiken. Alarmismus angesichts steigender Corona-Erkrankungen hält der Experte derzeit für unangebracht.

«Nein, vom Anfang einer Corona-Welle sind wir weit entfernt. Zudem ist die Erhebung zurzeit mit grosser Vorsicht zu geniessen», erklärt Koch. «Die Statistik ist immer verzerrt, weil je nach Trend in der Bevölkerung Menschen mit bestimmten Symptomen häufiger zum Arzt gehen als andere.»

Koch geht in seiner kritischen Analyse zu den aktuellen Grippe-und Corona-Werten noch einen Schritt weiter. Verlässliche Daten zu den Erkrankungen gäbe es keine, man befände sich «tatsächlich gewissermassen im Blindflug».

Koch gibt jedoch Entwarnung bezüglich der in diesen Tagen steigenden Ansteckungen. «Im Moment gibt es weder Anzeichen einer Corona- noch einer Grippewelle.» Trotzdem lässt der pensionierte Gesundheitsexperte die Gefahrenlage nicht aus dem Auge und mahnt: «Das kann sich allerdings schnell ändern.»