Analyse des Politologen «CO2-Gesetz ist im Fahrtwind der Agrar-Initiativen gesunken»

Von Lia Pescatore

13.6.2021

Politologe Thomas Milic fühlt sich an die Abstimmung über die Masseneinwanderungs-Initiative erinnert: «Damals war die SVP auch über ihren Erfolg überrascht, und der Rest der Schweiz stand unter Schock».
Politologe Thomas Milic fühlt sich an die Abstimmung über die Masseneinwanderungs-Initiative erinnert: «Damals war die SVP auch über ihren Erfolg überrascht, und der Rest der Schweiz stand unter Schock».
Liechtenstein-Institut

Politologe Thomas Milic hat die Ablehnung des CO2-Gesetzes überrascht. Als Gründe sieht er die hohe Mobilisierung auf dem Land und die fehlende konsequente Argumentation bei den Befürwortern.

Von Lia Pescatore

Das CO2-Gesetz wurde knapp abgelehnt, hat Sie das Resultat überrascht?

Ein Stück weit schon. Ganz am Anfang, also noch bevor der Abstimmungskampf begonnen hatte, bin ich davon ausgegangen, dass das Gesetz angenommen wird. Selbst nach den letzten Umfragen, in denen sich ein Nein-Trend ein wenig abzeichnete,  glaubte ich noch an eine Annahme. 

Woran ist die Vorlage dann gescheitert?

Als wichtiger Faktor sehe ich die enorm hohe Mobilisierung auf dem Land. Die Gegner haben es geschafft, in einigen Landgemeinden fast 80 Prozent der Bevölkerung an die Urne zu bringen, diese Beteiligungsquote ist nahe am Rekord, wie wir sie von der EWR-Abstimmung kennen. Das ist bemerkenswert. 

Die Landbevölkerung ging aber wohl nicht nur wegen der CO2-Abstimmung an die Urne?

Nein, der Motor hinter dieser hohen Beteiligung waren klar die beiden Agrar-Initiativen, durch sie waren die Bauern und ihre Direktzahlungen direkt betroffen. Ich sehe diese beiden Vorlagen aber auch als sprichwörtlichen Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Denn in den vergangenen Jahren haben Abstimmungen wie die über die Zweitwohnungsinitiative oder das Jagdgesetz das Gefühl vermittelt, dass die Städtern darüber entscheiden, wie man auf dem Land zu leben hat. 



Das CO2-Gesetz hätte also bessere Chancen gehabt, wenn es nicht gleichzeitig mit den Agrar-Initiativen zur Abstimmung gekommen wäre?

Ich denke das ist plausibel. Diese beiden Vorlagen haben die Landbevölkerung regelrecht elektrisiert. Das CO2-Gesetz ist so zu sagen im Fahrtwind der beiden Agrarinitiativen untergegangen.

Die SVP konnte die Abstimmung übers CO2-Gesetz gewinnen, wie auch die meisten Vorlagen von diesem Sonntag. Ist die grüne Welle passé?

Es ist sicher ein Dämpfer für die grüne Welle und war so nicht zu erwarten. Auch die FDP, die ja auf einem Begrünungskurs war, konnte wohl ihre Basis nicht von einem Ja überzeugen. Die SVP ist in dieser Hinsicht die klare Siegerin. Die Abstimmung erinnert mich an den überraschenden Erfolg der Masseneinwanderungs-Initiative. Da war die SVP selbst überrascht von ihrem Erfolg, und der Rest der Schweiz stand unter Schock. 

Die Klimastreik-Bewegung hat es nicht geschafft, sich auf eine Ja-Parole zu einigen. Hat das geschadet?

Ich denke, dass die Gegner des CO2-Gesetzes in dieser Gruppe nur eine kleine Schar waren, jedoch bekamen sie von den Medien eine grosse Aufmerksamkeit. Das dies nicht förderlich war, hat man jetzt gesehen. Gerade die Grünen hatten das Problem, dass sie im Zangengriff feststeckten und ihre Argumente auf die gegnerischen Gruppen links und rechts aufteilen mussten. Gegenüber den Rechten argumentierten sie, dass das Gesetz wirkungsvoll sei, während sie den Gegnern in der Klimabewegung zustimmten, dass die Vorlage schon eigentlich weiter hätte gehen müssen. Es fehlte an einer klaren, konsequenten Argumentation.

Was bedeutet das Resultat nun für die Klimapolitik?

Ich bin mir ziemlich sicher, dass es eine neue Vorlage geben wird und muss, dies verlangt die Umsetzung der Pariser Klimaziele, also Netto-Null bis 2050 zu erreichen. In welche Richtung es gehen wird, weiss ich jedoch nicht. Denn diese Vorlage war bereits ein gut schweizerischer Kompromiss. Das Argument der Zeit könnte nun den Klimastreikenden in die Karte spielen, sollte man nicht einen Schritt weitergehen, wenn man schon Zeit verloren hat? Aber es ist halt ein Fakt, dass es radikalere Abstimmungen schwerer an der Urne haben.