Handel mit China«Viele Schweizer KMU verbleiben jetzt in Wartestellung»
Von Herbert Aichinger
6.11.2022
Lange galt China auch für westliche Unternehmen als Wachstumsmarkt. Seit Corona und Chinas Annäherung an Russland hat sich die Investment-Euphorie jedoch deutlich abgekühlt.
Von Herbert Aichinger
06.11.2022, 19:02
06.11.2022, 19:08
Herbert Aichinger
«Wandel durch Handel» war über Jahrzehnte das Motto für westliche Wirtschaftsbeziehungen mit Russland. Spätestens am 24. Februar dieses Jahres mussten Politik und Wirtschaft jedoch feststellen, dass es mit dem Wandel Russlands hin zu einer freiheitlicheren Gesellschaftsordnung nicht geklappt hat.
Jetzt scheint sich das Szenario zu wiederholen: Viele Unternehmen waren der Ansicht, China würde sich zunehmend in Richtung Westen öffnen und sahen in der Volksrepublik den Wachstumsmarkt der Zukunft.
Seit dem Ausbruch der Covid-Pandemie im chinesischen Wuhan hat sich unter westlichen Firmen mit Standorten in China Ernüchterung breitgemacht. Die Restriktionen der Zero-Covid-Policy mit ihren harten Lockdowns behindern nicht nur Produktionsabläufe, sondern bringen auch weltweite Lieferketten zum Erliegen.
Laut Yufan Jiang, China-Experte vom China Centre Executive Programmes an der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW), ist ein Ende der Pandemiepolitik der chinesischen Staatsführung nach wie vor nicht in Sicht. «Das hat bereits zu enormen Schäden für die chinesische Wirtschaft und den Wohlstand der chinesischen Bevölkerung – vor allem der Mittelklasse – geführt.»
Ein unsicherer Partner
Lange war auch nicht abzusehen, wie sich China gegenüber dem Nachbarn Russland positionieren würde. Heute wissen wir: China ist daran interessiert, die Beziehungen zu Moskau zu vertiefen – die Aggressionen gegen die Ukraine scheinen dabei nur eine Nebenrolle zu spielen. Im Grunde geht es bei dem Schulterschluss wohl vor allem darum, ein Zeichen gegen die Grossmacht USA zu setzen. Yufan Jiang geht ferner davon aus, dass Xi Jinping als Mission für seine Amtszeit die Wiedervereinigung mit Taiwan durchsetzen will – notfalls mit Gewalt.
China erweitert kontinuierlich seine Einflusssphäre
Derweil arbeitet China konsequent daran, seinen wirtschaftlichen Einfluss in der Welt schrittweise auszubauen. Der letzte Coup war die Beteiligung der staatlichen chinesischen Reederei Cosco am Hamburger Hafen. Zwar wurden Cosco statt der anvisierten 35 nur 24,9 Prozent Anteile zugestanden, dennoch geht von dem Deal ein deutliches Signal aus: China wird seinen Einfluss auch im europäischen Frachtgeschäft noch deutlicher zur Geltung bringen.
In der Schweiz verfolgt China eine ähnliche Strategie. Dazu Yufan Jiang: «Einkäufe chinesischer Firmen in der Schweiz fanden schon mehrfach statt, zum Beispiel in der Hotellerie, in der Uhrenindustrie oder im Maschinenbau.»
«Einige Geschäfte laufen gut, einige weniger», so Jiang. «Das berühmteste Beispiel dürfte die Akquisition der Life-Science-Firma Syngenta durch ChemChina sein. Anders als die Beteiligung von Cosco am Hamburger Hafen, der ein ähnliches Geschäft im Hafen von Piräus vorangegangen ist und die geopolitisch Chinas Belt and Road Initiative dienen soll, folgen die meisten Akquisitionen in der Schweiz eher der Internationalisierungs-Strategie der Unternehmen», erläutert Jiang. «ChemChina hat beispielsweise auch den Markenreifenhersteller Pirelli in Italien gekauft.»
Schweiz pocht auf Menschenrechte
Derzeit pflegen etwa 1000 Schweizer Firmen einen regen wirtschaftlichen Austausch mit China. Trotzdem wirken sich auch die politischen Entwicklungen auf die Beziehungen zwischen China und der Schweiz aus. Die autokratischen Tendenzen der Regierung Xi Jinping, die Haltung gegenüber dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und die offensichtliche Aggression Chinas gegen Taiwan trüben die Geschäftsbeziehungen. Dazu China-Experte Jiang: «In der neuen Parteiführung sind alle ausgewiesenen Reformpolitiker durch Gefolgsleute von Xi ersetzt worden. Das hat zur Befürchtung geführt, dass die wirtschaftliche Entwicklung mehr planwirtschaftliche Züge annehmen könnte.»
Gleichwohl prognostizierte eine Studie von Avenir Suisse bereits im Juni, dass eine Abkühlung der wirtschaftlichen Beziehungen mit China für die Schweiz gravierende volkswirtschaftliche Folgen haben könnte. Hier müsse man zwischen westlichen ethischen Werten, Neutralitätspolitik und wirtschaftlichen Interessen einen pragmatischen Mittelweg finden.
Das seit 2014 bestehende Freihandelsabkommen zwischen der Schweiz und China steht auf dem Prüfstand, seit Aussenminister Cassis 2020 unmissverständlich die Einhaltung der Menschenrechte von China gefordert hat.
Schweizer Firmen erwarten Rückgang des China-Geschäfts
Laut einer Umfrage erwarten etwa 22 Prozent der befragten Schweizer Firmen in diesem Jahr einen Rückgang des China-Geschäfts – massgeblich ist dafür die chinesische Covid-Politik verantwortlich. Auch bürokratische Hürden erweisen sich immer noch als Hemmschuh beim Aufbau von Standorten in China.
Dabei ist das Interesse Chinas an Schweizer Technologie durchaus gross. Dies betrifft vor allem die Bereiche Maschinenbau, Umwelttechnik und Gesundheit.
Eine unausgeglichene Handelsbilanz
Im Jahr 2021 erwarben chinesische Firmen in der Schweiz Beteiligungen an neun Unternehmen oder übernahmen diese vollständig. Laut einer Studie von Ernst & Young rangiert die Schweiz bei den chinesischen Unternehmenszukäufen in Europa damit auf Platz 6.
«In der näheren Zukunft sind jedoch sehr wahrscheinlich keine weiteren chinesischen Firmenübernahmen zu erwarten», führt Jiang aus. «Weil die Staatsführung schon vor dem Parteitag signalisierte, mehr Gewicht auf den inländischen Markt legen zu wollen.»
Dennoch kann sich das Handelsvolumen zwischen der Schweiz und China sehen lassen: Laut Wirtschaftsreport 2022 erreichten im Jahr 2021 die Importe von China in die Schweiz ein Volumen von 6234,2 Mio. US-Dollar und die Exporte 37'878,2 Mio. US-Dollar. Dabei machten 45,2 Prozent der Schweizer Exporte Chemie-Produkte und Pharmazeutika aus, 29,9 Prozent entfielen auf Präzisionsinstrumente, Uhren und Schmuck und 15,7 Prozent auf Maschinen und Elektronik-Bauteile.
Auch künftig wird die Wirtschaftsallianz mit China vermutlich nicht einschlafen. Dazu Yufan Jiang: «Auch wenn man in China immer die Selbständigkeit betont, ist man sich dort bewusst, dass man unter anderem im Hightech-Bereich auf internationale Kooperationen angewiesen ist.»
So könnte die Beziehung der Schweiz mit China künftig aussehen
Auf die Frage, wie er die künftigen wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der Schweiz und China einschätzt, antwortet Yufan Jiang: «Die Firmen, vor allem die multinationalen, die bereits in China sind, werden sich auf dem chinesischen Markt weiter behaupten. Andere werden anfangen, ihre Aktivitäten umzulagern», prognostiziert Jiang.
«Vor allem die KMU, die bereits in China sind, werden die Geschäfte weiterführen, diese jedoch mit Second Sourcing oder anderen Alternativen absichern. Viele kleine und mittelständische Unternehmen, die sich in China ein Geschäft aufbauen wollten, verbleiben jetzt zunächst in Wartestellung.»