Experte zu SVP-Forderung «Asylverfahren im Ausland sind kaum umsetzbar»

Von Monique Misteli

1.2.2023

SVP pocht mit Positionspapier auf neu ausgerichtete Asylpolitik

SVP pocht mit Positionspapier auf neu ausgerichtete Asylpolitik

Die SVP fordert vom Bundesrat, «umgehend Szenarien zu prüfen, wie Asylverfahren ins Ausland ausgelagert und vor Ort Hilfs- und Schutzzentren geschaffen werden können». Auch andere Länder verfolgten solche Projekte, etwa Grossbritannien. Der Bundesrat hält Asylverfahren im Ausland für nicht durchführbar. Daran änderte sich nach Bekanntwerden der umstrittenen britischen Pläne nichts, wie er in der Antwort auf eine Interpellation aus der SVP-Fraktion festhielt. Die Zahl unbegründeter Asylgesuche sei dagegen dank Massnahmen klar zurückgegangen. SVP-Nationalrat Gregor Rutz entgegnet dem mit dem Argument der «Gesprächsverweigerung»: «In ganz Europa findet ein Umdenken statt, die Schweiz sollte solche Möglichkeiten ausloten.»

31.01.2023

Die SVP will die Schweizer Asylpolitik mit einem Systemwechsel umkrempeln. Doch eine ihrer Kernforderungen könne kaum funktionieren, erklärt Migrationsexperte Eduard Gnesa.

Von Monique Misteli

Asylverfahren in den jeweiligen Heimatländern abwickeln, zum Beispiel in Afrika – das fordert die SVP in ihrem aktuellen Positionspapier zur Schweizer Asylpolitik. Damit soll Europa entlastet und die Schleppertätigkeiten eingedämmt werden.

Die Idee ist nicht neu und kursierte bereits während der Nullerjahre in Bundesbern. Damals, als noch SVP-Magistrat Christoph Blocher Justizminister war. Nun wittert die SVP eine neue Gelegenheit, das Anliegen vorzubringen, nachdem Ende vergangenen Jahres ein britisches Gericht erklärt hatte, dass die umstrittene Praxis mit der UNO-Flüchtlingskonvention vereinbar sei.

Abkommen zwischen Grossbritannien und Ruanda

Die britische Regierung unterzeichnete 2021 unter dem damaligen Premierminister Boris Johnson ein solches Abkommen mit Ruanda. Konkret: Nach Grossbritannien illegal eingereiste Flüchtlinge werden in den ostafrikanischen Staat abgeschoben, um das Asylverfahren dort zu durchlaufen. Fällt der Entscheid positiv aus, erhalten die Gesuchsteller ein Aufenthaltsrecht für Ruanda.

Ein Verfahren, umsetzbar für die Schweiz?

«Asylverfahren im Ausland abzuwickeln, das ist kaum umsetzbar», sagt Eduard Gnesa, ehemaliger Direktor des Bundesamtes für Migration (SEM) zu blue News. Was auf den ersten Blick vielsagend klinge, scheitere in der Praxis. Gnesa verweist denn auch auf das Abkommen zwischen Grossbritannien und Ruanda, das von der SVP gern als positives Beispiel angeführt wird.

Symbolik bei den Briten, Dänemark lässt die Finger davon

Zwar sei das Urteil, dass Asylverfahren im Ausland nicht gegen die Flüchtlingskonvention verstosse, in Ordnung. Aber man müsse beachten, dass sämtliche Beschwerden von Asylsuchenden, die sich gegen den Entscheid wehrten, vom Gericht wiederum gutgeheissen worden seien.

Gnesa sieht das Abkommen vor allem als Symbolakt der beiden Vertragspartner. Für Ruanda, um sich als verlässlicher Partner Europas zu positionieren. Für die britische Regierung, um Entschlossenheit zu demonstrieren. In Wirklichkeit lenke man damit von den hausgemachten Problemen im eigenen Asylsystem ab, so Gnesa.

Dass das Abwickeln von Asylanträgen ausserhalb des Schengen-Dublin-Raumes kompliziert ist und viele offene Fragen birgt, veranlasste Dänemark dazu, ähnliche Pläne auf Eis zu legen.

Asylverfahren im Ausland: Das Problem in die Zukunft verlagern

Warum ein ausgelagertes Asylverfahren in der Praxis schwierig ist, dafür sieht der Migrationsexperte vier Hauptgründe:

Erstens bezweifelt er, dass sich Asylsuchende durch solche Abkommen von einer Reise nach Europa abhalten lassen. Das Risiko sei sogar grösser, dass sich der Aufwand vergrössere, weil dadurch ein doppelspuriges System aufgebaut werde: eines, das über die Asylgesuche innerhalb des Dublin-Raumes entscheidet und eines für eine operative und finanzielle Unterstützung in Drittstaaten, so Gnesa.

Als zweiten Hauptgrund nennt Gnesa, werde die Migration nach Europa nur hinausgezögert. Zwar hätten die Asylsuchenden bei einem positiven Entscheid für eine gewisse Zeit Zugang zu Hilfsmassnahmen und finanzieller Unterstützung. Doch was nach Ablauf des Asylgesuchs mit den Menschen passiere, sei nicht geregelt, erklärt der Fachmann. Auch was mit den Menschen mit einem negativen Entscheid passiere, sei offen. Die dürften wohl weiterreisen nach Europa, so Gnesa. Konkret: Die Auslagerung von Asylverfahren ist nicht nachhaltig, sondern verlagert das Problem im besten Fall in die Zukunft.

Flüchtlingssituation «wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr»

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Drittens ist für den Experten das Durchführen von Asylverfahren in einem Drittstaat kaum vorstellbar. Denn je nach Abkommen mit dem Herkunftsland sei auch die Frage der Menschenrechte zentral. Beim Beispiel von Ruanda und Grossbritannien werden die Asylverfahren nach ruandischem Recht durchgeführt. Laut Gnesa sei dort die Menschenrechtssituation bedenklich, was zudem weder mit der UNO-Flüchtlingskonvention noch mit dem Schweizer Recht vereinbar wäre, erklärt Gnesa.

Und als vierten Hauptgrund sieht der Experte, dass sich die Schweiz erpressbar machen könnte, indem die Schweiz oder andere europäische Länder sich mit solchen Abkommen von den Herkunftsländern stark abhängig machen würden.

Als Beweis nennt er das Abkommen zwischen der EU und der Türkei. Dass die Türkei während des Höhepunkts der Flüchtlingskrise 2016 syrische Flüchtlinge zurückbehielt, liess sich die EU Milliarden kosten. Vier Jahre später setzte der türkische Präsident Erdogan Europa massiv unter Druck, indem er Geflüchtete an die griechische Grenze transportieren liess.

Was nun?

Angesichts der aktuellen Weltlage dürfte sich die Asylsituation kaum entspannen. Das Staatssekretariat für Migration SEM erwartet für dieses Jahr 24'500 Asylgesuche, hält aber bis zu 40'000 Gesuche für möglich. Hinzu kommen Geflüchtete aus der Ukraine. Bisher beantragten rund 75'000 von ihnen den Schutzstatus S.

Laut einem Bericht der NZZ setze das SEM auf schnelle und faire Asylverfahren. Auch für Gnesa ist dies momentan der einzig praktikable Weg. Die Asylstatistik des Bundes zeigt denn auch: Unbegründete Asylanträge sind in den letzten Jahren zurückgegangen.

Asyl, kurz erklärt

  • Das Wort Asyl stammt aus dem Griechischen und bedeutet Zuflucht oder Schutz.
  • Menschen, die aus einem anderen Land in die Schweiz fliehen, bekommen unter bestimmten Bestimmungen Asyl in der Schweiz.
  • Laut Artikel 1 der Genfer Flüchtlingskonvention aus dem Jahre 1951 sind das Menschen, die wegen begründeter Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung verfolgt werden.
  • Nach Ankunft in der Schweiz müssen die Geflüchteten in einem der sechs Bundes-Asylzentren ein Gesuch auf Asyl stellen, um ihren Status als Flüchtlinge anerkennen zu können. Denn dieser Status wurde ihnen formell noch nicht zugesprochen. Sie stehen unter dem Schutz der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, die in Artikel 14 (1) besagt: «Jeder Mensch hat das Recht, in anderen Ländern vor Verfolgung Asyl zu suchen und zu geniessen.»
  • Geprüft wird, ob die Gesuchsteller den Status «Asyl» (eigenes Leben bedroht), einen «vorläufigen Aufenthalt» (dürfen nur so lange in der Schweiz bleiben, bis das Herkunftsland von der Schweiz als sicher eingestuft wird) oder «kein Asyl» (keine Arbeit oder kein Geld) erhalten.
  • Die Gesuchsprüfung durch die Behörden kann mehrere Monate dauern. In dieser Zeit verbringen die Menschen die Zeit in den Asylzentren des Bundes oder der Kantone.