Mega-Deal mit RusslandWie läuft ein so grosser Gefangenenaustausch ab?
dpa/toko
1.8.2024 - 18:30
Grösster Gefangenenaustausch zwischen Russland und dem Westen seit Ende des Kalten Krieges
Neben Gefangenen aus Russland und den USA waren nach türkischen Angaben Inhaftierte aus Deutschland, Polen, Slowenien, Norwegen und Belarus beteiligt. Insgesamt 13 Personen würden nach Deutschland gebracht und drei in die USA.
01.08.2024
Ein Austausch von Inhaftierten kann nur gelingen, wenn jede Seite profitiert. Da dieses Mal mehrere Staaten beteiligt sind, waren komplexe Verhandlungen und umfangreiche Vorbereitungen nötig.
dpa/toko
01.08.2024, 18:30
01.08.2024, 18:39
dpa
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
Russland und westliche Staaten haben im Rahmen eines gross angelegten Deals insgesamt 26 Gefangene ausgetauscht.
Dass die Operation bevorstand, hatte sich seit einigen Tagen angedeutet.
Die Dimension gilt von der Zahl der ausgetauschten Inhaftierten und der Anzahl der beteiligten Länder als aussergewöhnlich.
Die USA und Russland hatten trotz ihrer gespannten Beziehungen in der Vergangenheit immer wieder Gefangene ausgetauscht.
So kam die wegen eines Drogenvergehens verurteilte US-amerikanische Basketballspielerin Brittney Griner frei, im Gegenzug entliessen die USA einen Waffenhändler.
In einer Zeit grosser Spannungen tauschen Russland und der Westen Gefangene aus, darunter nach Angaben Joe Bidens fünf deutsche Staatsbürger, drei US-Amerikaner. Auch prominente Kremlgegner liess Russland frei. Der in Deutschland inhaftierte sogenannte Tiergarten-Mörder kommt ebenso frei.
Dass die Operation, die über die türkische Hauptstadt Ankara abgewickelt wurde, bevorstand, hatte sich seit einigen Tagen angedeutet – spätestens nachdem Machthaber Alexander Lukaschenko in Belarus am Dienstag die Todesstrafe gegen den Deutschen Rico K. aufhob. Wichtige Fragen und Antworten rund um den Deal:
Wie läuft so ein Austausch praktisch ab?
Da alle einander misstrauen, muss nach der Einigung darüber, wer freikommt, ein von den Beteiligten akzeptierter Ort für die Übergabe der Gefangenen gefunden werden. Die Türkei ist Nato-Mitglied und hatte mit Russland auch schon schwierige Phasen, beispielsweise weil Moskau und Ankara im Syrien-Konflikt über Jahre auf unterschiedlichen Seiten standen.
Zuletzt war aber eine Annäherung zu erkennen. Kremlchef Wladimir Putin traf den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan Anfang Juli zu einem Gespräch am Rande des Gipfels der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit.
Ein Russe, der laut Urteil in der Parkanlage Kleiner Tiergarten in Berlin am 23. August 2019 im Auftrag staatlicher russischer Stellen einen Georgier tschetschenischer Abstammung heimtückisch erschossen hatte. Er liess im Prozess vor dem Berliner Kammergericht über seine Anwälte erklären, er heisse Wadim S., sei 50 Jahre alt und Bauingenieur. Verbindungen zum Geheimdienst bestritt er.
Doch das Gericht war nach rund 14 Monaten Verhandlung überzeugt: Bei dem Angeklagten handelt es sich um den am 10. August 1965 geborenen Wadim K., der als Tourist getarnt am Tag vor der Tat nach Berlin gereist ist. Spätestens im Juli 2019 hätten «staatliche Stellen der Russischen Föderation» den Entschluss gefasst, den Georgier zu liquidieren, so die Richter. Den Auftrag dazu habe Wadim K. erhalten und dafür eine neue Identität bekommen.
Die Urteilsverkündung im Dezember 2021 verfolgte Wadim K. nahezu regungslos. Auf Rechtsmittel verzichtete er. Weil der Mann als hochgefährdet galt, blieb er nicht in einem Hochsicherheitstrakt des Berliner Gefängnisses Tegel, sondern wurde mehrfach in andere Haftanstalten in Deutschland verlegt.
Gab es schon mal einen internationalen Gefangenenaustausch in diesem Ausmass?
Die Dimension gilt von der Zahl der ausgetauschten Inhaftierten und der Anzahl der beteiligten Länder als aussergewöhnlich. Russische Kommentatoren sprechen auch von der ersten grossen Freigabe politischer Gefangener durch den Kreml seit Ende des Kalten Krieges. Allerdings galt aus westlicher Sicht auch der unter deutscher Vermittlung nach zehn Jahren Straflager 2013 vorzeitig entlassene frühere Ölmanager Michail Chodorkowski als politischer Gefangener.
Die USA und Russland hatten trotz ihrer gespannten Beziehungen in der Vergangenheit immer wieder Gefangene ausgetauscht. Im Dezember 2022 und damit während des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine kam die wegen eines Drogenvergehens verurteilte US-amerikanische Basketballspielerin Brittney Griner frei. Moskau erhielt dafür den in den USA verurteilten russischen Waffenhändler Viktor But.
Hat der Zeitpunkt etwas mit dem US-Wahlkampf zu tun?
Dass in den USA in drei Monaten die Präsidentschaftswahl ansteht, ist ein wichtiger Faktor für das Timing. Die Vorbereitungen für einen Gefangenenaustausch, vor allem in dieser Grössenordnung, sind aufwendig und langwierig. Monatelange Geheimgespräche gingen voraus. Putin dürfte kein Interesse daran gehabt haben, die dabei erzielten Fortschritte aufs Spiel zu setzen für den Fall, dass der Republikaner Donald Trump zurück an die Macht kommen könnte.
Trump wird zwar einige Nähe zu Putin nachgesagt, der 78-Jährige ist aber extrem unberechenbar und sprunghaft. Und er hat bislang getönt, er würde rein gar nichts anbieten im Gegenzug für eine Freilassung inhaftierter Amerikaner.
Die US-Regierung hat seit dem Amtsantritt von Präsident Joe Biden Anfang 2021 bereits die Freilassung mehrerer Amerikaner aus Russland ausgehandelt, trotz der extremen Spannungen wegen des Ukraine-Krieges. Dass nun kurz vor Bidens Abschied aus dem Amt zwei so prominente gefangene Amerikaner freikommen, ist für ihn ein grosser Erfolg – und wird Teil seines politischen Vermächtnisses. Bidens Stellvertreterin Kamala Harris, die bei der Wahl im November gegen Trump antreten will, helfen die positiven Nachrichten wiederum in ihrem Wahlkampf.
Was hat Kremlchef Putin von dem Austausch?
Als ehemaliger Geheimdienstchef will Putin vor allem zeigen, dass Russen, die im Ausland im Interesse Moskaus arbeiten, mit dem Gesetz in Konflikt kommen und in Haft landen, nicht vergessen werden. «Wir lassen unsere Leute nicht im Stich», lautet ein russischer Spruch.
Der Kremlchef nahm den «Tiergartenmörder» wiederholt in Schutz. In Russland gilt Wadim K. vielen als Held, weil er aus Sicht des Machtapparats den Tod Dutzender russischer Sicherheitskräfte gerächt hat. Schon einige Russen, denen Mord und andere schwere Taten im Ausland zur Last gelegt werden, haben nach Rückkehr in ihre Heimat Ehrungen und lukrative Posten erhalten.
Zwar hat Russland nie zugegeben, einen Killer auf den Georgier angesetzt zu haben. Allerdings nannte Putin den Getöteten öffentlich einen «Banditen» und «Mörder». Das Aussenministerium in Moskau kritisierte das Berliner Urteil als «absolut ungerecht, nicht objektiv». Der getötete Georgier wurde als einer «der früheren Anführer terroristischer Gruppierungen im Nordkaukasus» bezeichnet.
Welche Bedeutung hat der Austausch für die internationalen Beziehungen?
Trotz des beinahe kompletten Abbruchs der Beziehungen zwischen dem Westen und Russland als Folge des Angriffskriegs gegen die Ukraine hat es auch in der Vergangenheit etwa Kontakte wie zum Beispiel bei Gefangenenaustauschen gegeben.
Der aus Russland geflohene Oppositionelle Dmitri Gudkow meinte, der Austausch sei ein erster Schritt hin zu Verhandlungen auch über einen Frieden in der Ukraine. Beide Seiten hätten den Krieg inzwischen satt. Sie hätten einander durch die Ruhe des Verhandlungsprozesses und das Dichthalten gezeigt, dass sie sich an Vereinbarungen hielten. Das sei ein wichtiger Vertrauenstest. Für die US-Demokraten sei das ein wichtiger Erfolg im Präsidentenwahlkampf.