Fragen und Antworten Wer steckt hinter dem Anschlag auf die Tochter von «Putins Hirn»?

Von Andreas Fischer

22.8.2022

Russland: Anschlag auf Tochter von Kreml-Ideologe gibt Rätsel auf

Russland: Anschlag auf Tochter von Kreml-Ideologe gibt Rätsel auf

Die Tochter des kremlnahen Ideologen Alexander Dugin ist bei einem Autobomben-Anschlag in Russland getötet worden. Medienberichten zufolge war wohl Duginas Vater, der als wichtiger Vordenker von Präsident Wladimir Putin gilt, das eigentliche Ziel

22.08.2022

Die Tochter eines kremlnahen Ideologen stirbt bei einem Anschlag in der Nähe von Moskau. Der Tod von Darja Dugina gibt viele Rätsel auf: Was wirklich bekannt ist und was wilde Theorie.

Von Andreas Fischer

Attentate auf Kreml-Kritiker kommen in Russland häufiger vor – Unterstützer von Präsident Wladimir Putin werden hingegen selten zur Zielscheibe. Doch seit dem Wochenende können sich auch die Moskauer Eliten nicht mehr sicher fühlen: Darja Dugina, die Tochter des rechtsnationalistischen Ideologen Alexander Dugin, starb am Samstagabend bei einem Anschlag mit einer Autobombe.

Das Kreml-Umfeld ist seither aufgeschreckt, insbesondere weil sich die Explosion in der Nähe des Moskauer Nobelvororts Rubljowka ereignete. Dort residieren ranghohe Funktionäre und Oligarchen in weitläufigen Villen – und wähnten sich bislang in Sicherheit.

Der Anschlag vom Wochenende bringt Putin in Verlegenheit: Zuletzt schaffte es die russische Armee nicht, die von ihr annektierte Krim zu schützen, und nun ist Russlands Krieg offenbar in Moskau angekommen. Die Explosion der Autobombe hat die heile Welt der Kriegsbefürworter zerstört, wie Russland-Experten einschätzen.

Auch wenn der Angriff zeigt, dass Moskau im selbst entfesselten Krieg nicht unverwundbar ist, bleibt vieles unklar. Es kursieren mehr wilde Theorien als Fakten. Das sind die wichtigsten Fragen und Antworten zum Autobomben-Anschlag auf Darja Dugina.

Was ist passiert?

Darja Dugina ist am Samstagabend bei der Explosion eines Autos in der Nähe von Moskau getötet worden. Das russische Ermittlungskomitee teilte mit, die Bombe sei an dem von ihr benutzten Auto angebracht gewesen.

Dugina war die Tochter des einflussreichen rechtsnationalistischen Ideologen Alexander Dugin, der von Medien immer wieder als Putins «Gehirn» bezeichnet wird. Die 29-Jährige galt als glühende Verfechterin des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine.

Die Explosion ereignete sich, als Dugina von dem patriotischen Festival «Tradition» zurückkehrte, an dem sie mit ihrem Vater teilgenommen hatte. Einige russische Medien berichteten, das Auto habe ihrem Vater gehört, mit dem sie gemeinsam wegfahren wollten. Dugin habe sich aber in letzter Minute entschieden, mit einem anderen Auto zu fahren. Er könnte also durchaus selbst Ziel des Attentats gewesen sein.

Russische Ermittler sichern nach dem Anschlag auf Darja Dugina am Ort der Explosion Spuren. 
Russische Ermittler sichern nach dem Anschlag auf Darja Dugina am Ort der Explosion Spuren. 
Uncredited/Investigative Committee of Russia/AP/dpa

Wer ist Alexander Dugin?

Dugin gilt als ideologischer Wegbereiter von Putins Expansionspolitik. Er ist seit langem einer der sichtbarsten Verfechter der Idee eines imperialen Russlands an der Spitze einer «eurasischen» Zivilisation, die sich in einem existenziellen Konflikt mit dem Westen befindet. Der ultranationalistische Randbereich, den er einst vertrat, ist in den letzten Jahren Teil von Russlands politischem Mainstream geworden.

Die Äusserungen des Kreml spiegeln immer wieder die Rhetorik aus Schriften und Auftritten Dugins im Staatsfernsehen wider. Er half, das Konzept «Noworossija» («Neurussland») zu verbreiten, das Russland benutzte, um die Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim und die Unterstützung der Separatisten in der Ostukraine zu rechtfertigen.

Wie gross ist Dugins Einfluss auf Putin wirklich?

Dugins exakte Verbindungen zum russischen Präsidenten sind unklar. Der für die deutsche Heinrich-Böll-Stiftung arbeitende Osteuropa-Experte Sergej Sumlenny bezeichnet ihn auf Twitter als «berühmt, aber nicht so wichtig, wie er uns glauben machen wollte». Anders als seine Ideen habe Dugin selbst nie Zugang zum inneren Zirkel des Kremls gehabt.

Zu einer ähnlichen Einschätzung kommt auch Andreas Umland bei SRF. «Dugin und seine Anhänger sind nur ein Teil des antiwestlichen Diskurses in Russland», sagt der Analyst vom Stockholmer Institut für Osteuropa-Studien. Sein Einfluss auf den Kreml sei schwer zu messen: «Es ist nicht bekannt, dass er jemals Putin getroffen hätte.»

Dugin sei zwar «kein Sprecher für den Kreml und er ist auch kein direkter Ideologe des Kremls». Allerdings habe er sich seit 30 Jahren diesen Krieg, der jetzt stattfindet, gewünscht und ihn mit seiner Rhetorik in der Öffentlichkeit, im akademischen Bereich, im intellektuellen Diskurs, in den Buchläden vorbereitet.

Der russische Faschist Alexander Dugin, hier auf einem Foto aus dem Jahr 2016, gilt als ideologischer Wegbereiter von Putins Expansionskrieg.
Der russische Faschist Alexander Dugin, hier auf einem Foto aus dem Jahr 2016, gilt als ideologischer Wegbereiter von Putins Expansionskrieg.
KEYSTONE

Wer hat sich zu dem Anschlag auf Darja Dugina bekannt?

Zu dem Anschlag hat sich am Montag die bislang unbekannte Partisanenbewegung «Nationale Republikanische Armee» bekannt. «Dieser Anschlag schlägt eine neue Seite des russischen Widerstands gegen den Putinismus auf», erklärte der in der Ukraine lebende Russe Ilja Ponomarjow in einem am Sonntagabend veröffentlichten Youtube-Video.

Laut Ponomarjow sollen die russischen Partisanen in den vergangenen Monaten bereits mehrere Aktionen verübt haben, etwa kleinere Brandanschläge auf Verwaltungsgebäude. Ob es die «Nationale Republikanische Armee» tatsächlich gibt, war zunächst nicht überprüfbar.

Ponomarjow ist ein ehemaliger Abgeordneter der russischen Staatsduma und hat 2014 als einziger Parlamentarier gegen den Anschluss der Krim an Russland gestimmt.

Wer steckt wirklich hinter dem Anschlag?

Trotz des Bekennervideos der «Nationalen Republikanischen Armee» (NRA), ist es nicht klar, wer für den Tod von Darja Dugina verantwortlich ist. Einer improvisierten Partisanenbewegung, von der noch niemand etwas gehört hat, wird ein solch ausgeklügeltes und aufwendig geplantes Attentat nicht zugetraut.

Einige Kommentatoren, vor allem in der Ukraine, sehen darin eher die Handschrift russischer Sicherheitsbehörden. Ein Ziel könnte es demnach sein, Wladimir Putin mit dem Anschlag einen Vorwand für die Generalmobilmachung zu liefern und ihn zu einem noch härteren Vorgehen in der Ukraine zu zwingen.

Eine weitere, äusserst perfide Theorie bringt Sergej Sumlenny ins Spiel: Alexander Dugin könnte den Mord an seiner Tochter selbst in Auftrag gegeben haben – als Opfer für seine Sache. «In einem Artikel von 2020 schreibt Dugin, dass Teile der Elite für nur einen Zweck herangezüchtet werden sollen – um in herausfordernden Zeiten getötet und geopfert zu werden, um der Gesellschaft die verlorengegangene Unterstützung zurückzubringen», begründet Sumlenny seine These.

Wie reagiert der Kreml?

Der Kreml hat zunächst ein paar Nebelkerzen gezündet und bezichtigte die CIA und die Ukraine. Es sei «komplett offensichtlich, dass die wahrscheinlichsten Verdächtigen der ukrainische Militärgeheimdienst und der Sicherheitsdienst der Ukraine sind», sagte Analyst Sergej Markow, ein früherer Berater des russischen Präsidenten Wladimir Putin.

Inzwischen machte Russlands Inlandsgeheimdienst FSB laut der Agentur Interfax die Ukraine direkt für den Mord an Dugina verantwortlich. «Das Verbrechen wurde von ukrainischen Geheimdiensten vorbereitet und begangen», teilte der FSB demnach am Montag mit. 

Auch Denis Puschilin, der Chef der selbst ernannten Volksrepublik Donezk in der Ukraine, erklärte, «Terroristen des ukrainischen Regimes, die versuchten, Alexander Dugin zu töten». 

Diese Behauptungen waren erwartbar. Eine Widerstandsbewegung würde nicht ins Narrativ passen, dass Russland geschlossen hinter dem Kremlchef steht. Keir Giles, Russland-Experte beim Thinktank Chatham House, sagte im «Guardian», es sei unklar, ob die Behauptungen über die NRA wahr seien: «Wie der Kreml reagieren wird, hängt davon ab, ob es sich um eine echte Widerstandsbewegung oder eher um eine komplexe Verschwörung handelt – und das werden wir wohl noch eine Weile nicht wissen.«

Was sagt Kiew?

«Die Ukraine hat natürlich mit der Explosion nichts zu tun, weil wir kein krimineller Staat sind – wie die Russische Föderation – und schon gar kein Terrorstaat», sagte der ukrainische Präsidentenberater Mychajlo Podoljak dem Internetportal «Ukrajinska Prawda» zufolge bei einem Fernsehauftritt am Sonntag.

Wie schätzen Experten die Sache ein?

Der Anschlag bedeute, dass es für die Russen nicht mehr ein abstrakter Krieg sei, den man im Fernsehen verfolge, sagte Abbas Galljamow, ein ehemaliger Redenschreiber von Kremlchef Wladimir Putin. Galljamaow sieht in dem Anschlag einen «Akt der Einschüchterung».

Ziel sei es, Kreml-Loyalisten zu verstören. Die mutmasslichen Täter wollten damit demonstrieren, dass die Feindseligkeiten heimlich auf russisches Territorium verlegt worden seien: «Dies passiert jetzt schon in Russland. Nicht nur die Krim wird bombardiert, sondern Terroranschläge werden bereits in der Region Moskau verübt.»

Welche Folgen hat der Anschlag für den Krieg?

Die Ukraine stellt sich auf verstärkte russische Raketenangriffe anlässlich ihres Unabhängigkeitstages am Mittwoch als Vergeltungsmassnahme ein. Das Militär des Landes warnte, dass Russland fünf mit Marschflugkörpern bestückte Kriegsschiffe und U-Boote ins Schwarze Meer entsandt habe und dass Moskau Luftabwehrsysteme in Weissrussland in Stellung gebracht habe. Grosse Versammlungen wurden in Kiew ab Montag für vier Tage verboten.

Schon vor dem Anschlag hatte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj davor gewarnt, dass «Russland in dieser Woche, in der das Land den 31. Jahrestag seiner Unabhängigkeit feiert, versuchen könnte, etwas besonders Böses, etwas besonders Grausames zu tun».

Mit Material der Nachrichtenagenturen Keystone-SDA, AP und dpa.

Russland: Tochter des Ideologen Dugin bei Anschlag getötet

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Regierungsmedien berichteten, Vater und Tochter hätten gemeinsam ein Festival besucht. Im letzten Moment habe Dugin sich entschieden, in ein anderes Auto zu steigen. Nach Angaben russischer Ermittler war unter dem Auto ein Sprengsatz angebracht.

21.08.2022