«Es gibt in Russland keine Gewinner» Seine eigenen Eliten werden Putin zusehends gefährlicher

tafi

16.8.2022

Muss sich Wladimir Putin vor den eigenen Leuten fürchten? Ja, sagt ein russischer Ökonom: Weil es im Krieg gegen die Ukraine in der Elite nur Verlierer gibt, bröckelt der Rückhalt des Kreml-Chefs.

tafi

16.8.2022

Allen Sanktionen zum Trotz ist die russische Wirtschaft noch nicht zusammengebrochen. Es gäbe zwar Anzeichen dafür, dass ihr nicht viel Zeit bleibt, bis sie implodiert, wie eine Studie der US-Universität Yale zuletzt voraussagte. Doch den schnellen Erfolg, den sich der Westen im Wirtschaftskrieg mit Putin erhoffte, blieb aus.

So unklar die Lage auch ist, offenbar wächst in Russlands Eliten der Unmut über Putins Krieg gegen die Ukraine, wie der Moskauer Ökonom Andrej Jakowlew in einem «Spiegel»-Interview sagt. Jakowlew forschte und lehrte jahrelang an der angesehenen Moskauer Higher School of Economics (HSE) und arbeitet mittlerweile an der Freien Universität Berlin.

Dem Wirtschaftsexperten zufolge gibt es in Russland im Gegensatz zu früheren Krisen keine Gewinner, sondern nur noch Verlierer. «Das wird zu Spannungen in der Elite führen», prognostiziert Jakowlew. Unzufriedene Eliten aber könnten für Putin gefährlich werden.

Russische Firmen rechnen immer mit dem Schlimmsten

Zuletzt hatte etwa der britische «Mirror» unter Berufung auf westliche Geheimdienste von der geheimen Kontaktaufnahmen eines hohen Kreml-Beamten berichtet. In dem Dokument hiess es: «Ein Vertreter des inneren Kreises von Putin hat dem Westen signalisiert, dass er verhandeln will. Die Stimmung in der Kreml-Elite ist panisch.»

Der Geheimdienstbericht würde sich mit dem Stimmungsbild decken, das Andrej Jakowlew zeichnet. «Um Putin herum trifft heute nur noch eine winzige Gruppe Entscheidungen. Dabei schaden sie den Interessen weiter Teile der Elite sehr», sagte er dem «Spiegel». Die Folge seien «ernsthafte Spannungen innerhalb dieser Elite». Diese werden wachsen in Abhängigkeit von der Dauer des Krieges und der Verschlechterung der Lage der Wirtschaft.

Die ökonomische Lage sei «sehr schwierig», auch wenn es auf den ersten Blick von aussen nicht so scheine, erklärt Jakowlew. Letzteres liege daran, dass «die kurzfristige Resilienz der russischen Wirtschaft einfach höher ist im Vergleich zu anderen Ländern. Russische Firmen sind es gewohnt, immer mit dem Schlimmsten zu rechnen.» Deswegen hätten sie etwa traditionell hohe Lagerbestände. Die meisten Sanktionen würden langfristig wirken, was sich im Herbst bemerkbar machen werde, so Jakwolew.

Putins Rückhalt wohl kleiner als gedacht

In Gesprächen mit russischen Firmenvertretern sei eines immer wieder deutlich geworden: «Diese Leute hätten den Krieg nicht begonnen. Das ist auch ein Problem in der westlichen Wahrnehmung: Viele Leute meinen dort, Russland und das Putin-Regime seien monolithisch, stabil, und es könne noch zehn Jahre so weiter existieren. Ich halte das für einen Trugschluss.»

Die meisten Geschäftsleute würden genau wissen, wer der Verantwortliche für ihre Probleme trägt. Sie hätten aber keinen Einfluss auf den politischen Kurs. Nun bliebe ihnen «nichts anderes übrig, als zu tun, was sie schon immer getan hat: irgendwie zu überleben».

Dass die russische Wirtschaft momentan davon profitiere, sei natürlich. «Man muss aber verstehen, dass das mit Rückhalt für Putin nichts zu tun hat», sagt Jakowlew. Natürlich würde es Leute geben, die den Krieg unterstützen. «Ich glaube aber nicht, dass es viel mehr als 25 bis 30 Prozent sind. Diese Gruppe ist nicht viel grösser als die Gruppe der Gegner des Kriegs. Wenn sich die wirtschaftliche Lage verschlechtert, werden diese Leute reagieren.»

Kommt hinzu, dass es auch in der Provinz gären könnte, wenn den Menschen das Geld ausgeht. «Solche sozialen Probleme können auch in Russland in politischen Druck umschlagen», so Jakowlew. Allerdings sei es mit Putin an der Spitze «sinnlos, auf Veränderungen zu hoffen. Der Präsident hat sich selbst alle Möglichkeiten für einen Rückzug abgeschnitten.»

Russlands Präsident Wladimir Putin, hier beim Tag der Seestreitkräfte in St. Petersburg am 31. Juli, kann sich der Unterstützung der Kreml-Eliten nicht mehr sicher sein, sagt der renommierte Wirtschaftswissenschaftler Andrej Jakowlew.
Russlands Präsident Wladimir Putin, hier beim Tag der Seestreitkräfte in St. Petersburg am 31. Juli, kann sich der Unterstützung der Kreml-Eliten nicht mehr sicher sein, sagt der renommierte Wirtschaftswissenschaftler Andrej Jakowlew.
AP Photo/Dmitri Lovetsky