Reich, orthodox und pragmatisch So tickt der neue israelische Ministerpräsident Naftali Bennett

Von Sven Hauberg

14.6.2021

Die Ära Netanjahu ist Geschichte, der neue israelische Premierminister heisst Naftali Bennett. Wofür steht der rechte Multimillionär?

Von Sven Hauberg

Am gestrigen Sonntagabend ging eine Ära zu Ende: Nicht mehr Benjamin Natanjahu ist israelischer Ministerpräsident, sondern ein Mann, der international bislang kaum bekannt war: Naftali Bennett führt ab sofort die Regierung des Landes. Allerdings nur auf Basis einer hauchdünnen Mehrheit im israelischen Parlament, der Knesset. Bennett ist ein Ministerpräsident auf Zeit: Schon nach zwei Jahren will der 49-Jährige sein Amt an Jair Lapid abgeben, den wichtigsten seiner derzeitigen Koalitionspartner. 

Bennett gilt als pragmatisch. Eine Eigenschaft, die er brauchen wird in seinem neuen Job als Ministerpräsident des Staates Israel. Denn das Parteienbündnis, das ihn ins Amt gehoben hat, steht auf tönernen Füssen. Eine Koalition aus acht Parteien bildet die neue israelische Regierung, nur 60 der 120 Knesset-Abgeordneten gaben dem Bündnis von Bennett ihre Stimme. Aus Bennetts eigener Partei kamen sieben Stimmen – über mehr Sitze verfügt seine Jamina-Partei nicht.



Klarer Wahlsieger war hingegen die Likud-Partei von Benjamin Natanjahu, die sich trotz 30 Parlamentssitzen nun in der Opposition wiederfindet. Auf Platz zwei folgt die moderate Zukunftspartei Jesch Atid, deren Vorsitzender Jair Lapid das Ministerpräsidentenamt 2023 von Bennett übernehmen soll – so zumindest lautet der Deal der Koalitionäre. Viel Zeit hat Naftali Bennett also nicht, um sich im Amt zu profilieren.

Ein Ziehson Netanjahus

Bennett kam 1972 in Haifa zur Welt, der drittgrössten Stadt Israels. Zuvor waren seine Eltern aus den USA eingewandert. Heute lebt der Vater von vier Kindern in Raanana, einem noblen Vorort von Tel Aviv. Obwohl seine Jamina-Partei dem ultrarechten Spektrum zugeordnet wird und sich Bennett als ultraorthodoxen Juden bezeichnet, sieht er sich nicht als Extremisten, sondern vielmehr als modernen Politiker. Darauf legt er Wert, wie er in mehreren Interviews beteuerte.

Naftali Bennett ist neuer israelischer Ministerpräsident.
Naftali Bennett ist neuer israelischer Ministerpräsident.
Bild: Keystone

Bennetts Ziehvater war lange Zeit Benjamin Netanjahu, jener Mann also, den er nun mit seinem heterogenen Regierungsbündnis aus dem Amt vertrieben hat. Netanjahu war 15 Jahre lang Ministerpräsident von Israel, zuletzt zwölf Jahre am Stück. Nachdem er 2006 am Libanon-Krieg teilgenommen hatte, wurde Bennett, seinerzeit Mitglied von Likud, Stabschef von Netanjahu und einer seiner engsten Vertrauten. Doch nur zwei Jahre später zerbrach diese politische Freundschaft. 

Seitdem galten Bennett und Netanjahu zwar als politische Rivalen, arbeiteten aber immer wieder auch zusammen. Mehrmals war Bennett Minister in von Netanjahu angeführten Regierungen, wechselte mehrmals die politische Heimat. Bei einem Thema aber blieb er sich treu: Er lehnt die Gründung eines eigenen Palästinenser-Staates ab und macht sich stattdessen für neue Siedlungen im Westjordanland stark. 

Der erste orthodoxe Regierungschef

Bennett ist der erste orthodoxe Jude im Amt des israelischen Regierungschefs, anders als seine Vorgänger trägt er die Kippa. Dennoch regiert er nun auch mit einer konservativ-islamischen Partei zusammen – ebenfalls ein Novum in Israel.

In seiner Antrittsrede am Sonntagabend kündigte Bennett eine Annäherung an weitere arabische Staaten an und ging gleichzeitig auf Distanz zum Iran. Eine Rückkehr zum internationalen Atomabkommen mit dem Land lehnt er ab, sein Land werde sich Iran gegenüber die «volle Handlungsfähigkeit» vorbehalten und dem Regime nie erlauben, Atomwaffen zu besitzen. Auch die Hamas, die vor wenigen Wochen erst heftige Angriffe auf Israel gestartet hatte, verurteilte Bennett scharf: «Wir werden Israel als jüdischen und demokratischen Staat bewahren», so der Politiker, der die Hamas vor einer «eisernen Mauer» warnte, sollte sie Israel erneut angreifen.



Die nun geschmiedete Koalitionsregierung könnte die zweieinhalb Jahre andauernde Dauerkrise in Israel beenden, sollte sie denn halten. Falls nicht: Tief fallen dürfte Naftali Bennett nicht. Der Mann, der die nächsten zwei Jahre die Geschicke Israels lenken soll, verfügt über ein beachtliches finanzielles Polster: Nach einem Jurastudium an der Hebräischen Universität und dem Militärdienst in der Elite-Einheit Sajeret Matkal gründete er zusammen mit anderen Geschäftsleuten ein Software-Unternehmen, das er 2005 erfolgreich verkaufte – für 145 Millionen US-Dollar.