Putin ist 70Darum wurde aus dem kleinen Spion ein grössenwahnsinniger Kriegsverbrecher
Von Philipp Dahm
7.10.2022
Wladimir Putin – die ersten 35 Jahre
Als am 30. März 2000 dieses Foto von Wladimir Putin (rechts) und General Anatoli Kwaschnin entsteht, ist der St. Petersburger noch amtierender Präsident Russlands, nachdem Boris Jelzin zurückgetreten ist. Hand drauf: Hier erfährst du alles Wichtige über die ersten 35 Jahre seines Lebens.
Bild: KEYSTONE
Wladimir Wladimirowitsch Putin wird am 7. Oktober 1952 in St. Petersburg geboren. Sein Vater ist Wladimir Spiridonowitsch Putin (im Bild) – ein Fabrikarbeiter und KP-Mitglied, das im Zweiten Weltkrieg für die Marine kämpft.
Seine Mutter arbeite ebenfalls in einer Fabrik und überlebt die Schlacht um Stalingrad. Das Paar verliert seine ersten beiden Söhne. Als Wladimir 1952 geboren wird, sind die Eltern beide 41 Jahre alt. Hier Mutter Maria mit Sohn im Juli 1958.
Bild: Commons/Kremlin.ru
Putin 1965: Einerseits wird Putin in einer St. Petersburger Kommunalka gross – die Stadt heisst damals Leningrad – und prügelt sich als Kind häufig. Andererseits hat er bereits als Bub eine Uhr und als Student ein Auto, weil seine Eltern «ihr einziges überlebendes Kind vergötterten und bedingungslos verwöhnten», zitiert Wikipedia die «Weltwoche».
Bild: Commons/Kremlin.ru
1969: Der junge Wladimir beim Schultanz mit einem Mädchen namens Elena. In dieser Zeit erscheinen in Russland patriotische Thriller wie «Schild und Schwert», die in Putin den Wunsch wecken, Agent zu werden. Die Angaben zu seiner Jugend entspringen übrigens seiner Autobiografie.
Bild: KEYSTONE
Judo-Training 1971: Schon früh übt sich Putin zudem im Boxen und dem russischen Kampfsport Sambo. Er bewirbt sich in der 9. Klasse beim KGB, der Geheimdienst lässt ihn vorerst Jura in Leningrad studieren und postiert ihn ...
Bild: KEYSTONE
... von 1975 bis 1982 bei der Auslandsspionage. Das Bild zeigt ihn circa 1980 im Rang eines Hauptmanns. Von 1984 bis 1985 studiert er an der KGB-Hochschule in Moskau, bevor er bis 1990 nach Dresden in der DDR versetzt wird. Dort erlebt er den Mauerfall ...
Bild: Commons/Kremlin.ru
... und nach seinem Rückruf nach Russland den Zerfall der Sowjetunion, der für ihn eine «historische Katastrophe» ist. Gut, dass er Ljudmila Schkrebnewa kennenlernt und die Deutschlehrerin 1983 heiratet. Hier sitzt das Paar im Oktober 2000 vor dem Taj Mahal in Indien.
Bild: KEYSTONE
1985 wird in Leningrad Tochter Maria und 1986 in Dresden Katerina geboren. Die Ehe der Eltern wird – um es vorwegzunehmen – 2013 geschieden. Im Bild: Putin gibt im Januar 2000 im Kreml Autogramme.
Bild: KEYSTONE
Wladimir Putin – die ersten 35 Jahre
Als am 30. März 2000 dieses Foto von Wladimir Putin (rechts) und General Anatoli Kwaschnin entsteht, ist der St. Petersburger noch amtierender Präsident Russlands, nachdem Boris Jelzin zurückgetreten ist. Hand drauf: Hier erfährst du alles Wichtige über die ersten 35 Jahre seines Lebens.
Bild: KEYSTONE
Wladimir Wladimirowitsch Putin wird am 7. Oktober 1952 in St. Petersburg geboren. Sein Vater ist Wladimir Spiridonowitsch Putin (im Bild) – ein Fabrikarbeiter und KP-Mitglied, das im Zweiten Weltkrieg für die Marine kämpft.
Seine Mutter arbeite ebenfalls in einer Fabrik und überlebt die Schlacht um Stalingrad. Das Paar verliert seine ersten beiden Söhne. Als Wladimir 1952 geboren wird, sind die Eltern beide 41 Jahre alt. Hier Mutter Maria mit Sohn im Juli 1958.
Bild: Commons/Kremlin.ru
Putin 1965: Einerseits wird Putin in einer St. Petersburger Kommunalka gross – die Stadt heisst damals Leningrad – und prügelt sich als Kind häufig. Andererseits hat er bereits als Bub eine Uhr und als Student ein Auto, weil seine Eltern «ihr einziges überlebendes Kind vergötterten und bedingungslos verwöhnten», zitiert Wikipedia die «Weltwoche».
Bild: Commons/Kremlin.ru
1969: Der junge Wladimir beim Schultanz mit einem Mädchen namens Elena. In dieser Zeit erscheinen in Russland patriotische Thriller wie «Schild und Schwert», die in Putin den Wunsch wecken, Agent zu werden. Die Angaben zu seiner Jugend entspringen übrigens seiner Autobiografie.
Bild: KEYSTONE
Judo-Training 1971: Schon früh übt sich Putin zudem im Boxen und dem russischen Kampfsport Sambo. Er bewirbt sich in der 9. Klasse beim KGB, der Geheimdienst lässt ihn vorerst Jura in Leningrad studieren und postiert ihn ...
Bild: KEYSTONE
... von 1975 bis 1982 bei der Auslandsspionage. Das Bild zeigt ihn circa 1980 im Rang eines Hauptmanns. Von 1984 bis 1985 studiert er an der KGB-Hochschule in Moskau, bevor er bis 1990 nach Dresden in der DDR versetzt wird. Dort erlebt er den Mauerfall ...
Bild: Commons/Kremlin.ru
... und nach seinem Rückruf nach Russland den Zerfall der Sowjetunion, der für ihn eine «historische Katastrophe» ist. Gut, dass er Ljudmila Schkrebnewa kennenlernt und die Deutschlehrerin 1983 heiratet. Hier sitzt das Paar im Oktober 2000 vor dem Taj Mahal in Indien.
Bild: KEYSTONE
1985 wird in Leningrad Tochter Maria und 1986 in Dresden Katerina geboren. Die Ehe der Eltern wird – um es vorwegzunehmen – 2013 geschieden. Im Bild: Putin gibt im Januar 2000 im Kreml Autogramme.
Bild: KEYSTONE
Warum ist Wladimir Putin so geworden, wie er ist? Der Knackpunkt ist eine Nacht in Dresden am 5. Dezember 1989: Vom Agenten arbeitet er sich zum Präsidenten hoch, um eine Wiederholung jener Ereignisse zu verhindern.
Von Philipp Dahm
07.10.2022, 06:50
07.10.2022, 18:08
Philipp Dahm
Der Winter 1989 muss Wladimir Wladimirowitsch Putin besonders düster vorkommen. Glasnost und Perestroika weichen die Sowjetunion, seine Heimat, auf. Als am 9. November in Berlin die Mauer fällt, erlebt Putin den Zusammenbruch des Systems in Dresden mit.
Seit gut vier Jahren arbeitet der damals 37-Jährige schon als KGB-Agent in der DDR. Ein Job, auf den er seit seiner Jugend hingearbeitet hat (siehe obenstehende Bildergalerie). «Er war ein sehr ruhiger Mensch, der sich jedes Wort überlegt hat», wird sich später Schweisser Bernd Naumann in der «Süddeutschen Zeitung» erinnern.
Der Deutsche lernt Putin kennen, als er für die Russen arbeitet. Die beiden gehen nördlich von Dresden angeln, besuchen das russische Kaufhaus oder die Kneipe «Am Thor». Der KGB-Mann ist keiner, der gern die Kontrolle verliert: «Putin war sehr zurückhaltend mit dem Alkohol», weiss Naumann zu berichten.
Auch Dresden, wo Putins zweite Tochter Katerina geboren wird, wird nach Berlin vom Rausch der Revolution erfasst. Zunächst spült diese Welle am 5. Dezember die Bezirksverwaltung des Ministeriums für Staatssicherheit hinweg: Ohne Gewalt verhindert das Volk, dass Stasi-Agent*innen weiter Akten vernichten.
Die prägende Nacht in Dresden
Den KGB-Kollegen um die Ecke geht es nicht anders. In der Angelikastrasse 4 in rund drei Minuten Lauf-Entfernung verbrennen sie Akten. «Um das Leben der Menschen zu retten, deren Akten auf meinem Schreibtisch lagen», sagt Putin.
Die Aussenstelle versucht, die Rote Armee zu Hilfe zu rufen. Die will aber nur in Abstimmung mit Moskau ausrücken – und der Kreml antwortet nicht. «Wir waren ernsthaft bedroht», schreibt der spätere Präsident in seiner Autobiografie. «Aber uns würde niemand schützen.»
Als wütende Deutsche vom Stasi-Hauptquartier zum KGB-Gebäude ziehen, stellen sich Putin und ein Soldat der Menge. Dass er zum Geheimdienst gehört, verschweigt der St. Petersburger geflissentlich. «Ich sagte, ich sei der Dolmetscher», erklärt er später.
Es gelingt ihm, den Mob davon abzubringen, das Gelände zu stürmen. Es gibt Berichte, laut denen Putin mit der Waffe in der Hand gedroht hatte, jeden zu erschiessen, der das russische Territorium betrete. Als schliesslich doch sowjetisches Militär eintrifft, löst sich die Menschenmenge auf.
Aufstieg im russischem Niedergang
Im Frühjahr 1990 wird Putin zurück in die Heimat berufen, um im folgenden Jahrzehnt deren politischen und gesellschaftlichen Niedergang mitansehen zum müssen: Die Auflösung der Sowjetunion am 26. Dezember 1991 nennt er eine «humanitäre Tragödie» und «eines der grössten geopolitischen Desaster des 20. Jahrhunderts».
In seiner Geburtsstadt St. Petersburg ist sein früherer Professor Anatoli Sobtschak Bürgermeister – und der macht Putin zum Leiter des städtischen Komitees für Aussenbeziehungen. Eine Funktion, in der der nur 1,70 Meter grosse Mann Gelder zurück nach Russland transferieren soll. Schon 1992 wird er Vizebürgermeister.
1996 wechselt Putin nach Moskau und führt die Liegenschaftsverwaltung des Kremls. Er rast durch die Instanzen: 1997 wird er stellvertretender Kanzleileiter des Präsidenten Boris Jelzin, 1998 wird er stellvertretender Chef der Präsidialverwaltung und Direktor des Inlandsgeheimdienstes FSB. 1999 ist er bereits Premierminister.
Der in Russland höchst unpopuläre Jelzin wirft am 31. Dezember 1999 den Bettel hin. Putin übernimmt provisorisch das Amt – und entscheidet die Wahlen für die Jelzin-Nachfolge im Jahr 2000 mit 52,9 Prozent für sich. Es ist ein Amt, das er bis heute nur einmal loslassen wird, um seinen Gefolgsmann Dmitri Medwedew dort zu installieren, bis er sich selber wieder zum Präsidenten wählen lässt.
Putin bombt sich in die Herzen der Wähler
Warum gewinnt Putin die Präsidentschaftswahl? Sein Image ist vor allem von zwei Ereignissen geprägt: Nach dem gewonnenen Dagestankrieg marschiert die russische Armee am 1. Oktober 1999 erneut in Tschetschenien ein. Mit hartem Vorgehen will Premier Putin die Schmach aus dem verlorenen Ersten Tschetschenienkrieg zwischen 1994 und 1996 vergessen machen. Das kommt beim Wahlvolk an.
Was du kaum über Putin gewusst hast
Ein Ex-Taxi-Chauffeur an der Macht bis 2036? blue News fasst verblüffende Fakten über den russischen Machthaber in 60 Sekunden zusammen.
06.10.2022
Möglich gemacht wird die Invasion Tschetscheniens durch eine Serie von Bombenattentaten auf russische Wohnhäuser, die 367 Menschen tötet und über 1000 verletzt. Der Kreml identifiziert tschetschenische Terroristen hinter den Anschlägen und rechtfertigt damit den Bruch des Friedensvertrages mit der Teilrepublik der Russischen Föderation.
Heute wird davon ausgegangen, dass der Inlandgeheimdienst FSB die Attentate inszeniert hat. Boris Jelzin ist im Sommer 1999 mit einer Zustimmung von 2 Prozent niemand, der Putin ein attraktives Empfehlungsschreiben für das Präsidentenamt ausstellen kann. Die Bombenattentate und Putins energische Reaktion wenden jedoch das Blatt – siehe obenstehendes «Business Insider»-Video mit dem US-Historiker David Satter.
Putin nutzt vor der Präsidentenwahl Taktiken, die wir heute wieder erkennen. Er bedient sich geheimdienstlicher Mittel, um die breite Öffentlichkeit zu täuschen. Gleichzeitig lenkt er die Aufmerksamkeit auf Nebenkriegsschauplätze und macht Minderheiten zum Sündenbock, um zu verhindern, dass sich die Wut über die allgemeine Korruption Bahn bricht.
Putins System: Mal lukrativ, mal knüppelhart
Apropos: Mit den Oligarchen schliesst Putin nach seiner Wahl einen Pakt. Solange diese sich nicht gegen das System stellen, dürfen sie Kasse machen. Diese Bonzen reissen sich funktionierende staatliche Firmen aus der Sowjetzeit unter den Nagel, kaufen günstig Lizenzen für den Rohstoff-Abbau und schliessen lukrative Verträge mit dem Staat ab, die sie den Beamten wiederum unter der Hand entgelten.
Putin zementiert derweil seine Macht, indem er den Föderalismus zurückdrängt und den Staat zentraler organisiert. Einen weiteren Zerfall Russlands darf es nicht geben. Der Militärhaushalt wird nach seiner Wahl um 50 Prozent angehoben, wichtige Rüstungsbetriebe werden erneut verstaatlicht. 2001 gründet er seine Haus- und Hof-Partei Einiges Russland.
Als nach zwei Amtszeiten 2008 Schluss mit dem Präsidieren ist, übernimmt Putins alter Freund Dmitri Medwedew – und hält ihm den Platz vier Jahre frei, in denen plötzlich der Premierminister mehr Macht als der Präsident hat. Und der heisst natürlich Putin. Der lässt die Zeit nicht ungenutzt verstreichen, lässt die Verfassung ändern und kann sich deshalb 2012 erneut zum Kreml-Chef krönen lassen – fortan für sechs statt vier Jahre.
Wegen mutmasslicher Wahlfälschung kommt es in Russland zu Protesten, bei denen es – wahrscheinlich angeheizt durch Provokateure – zu Ausschreitungen kommt, die brutal niedergeknüppelt werden. Gegner Putins werden in Schauprozessen zu Haft und Lagerarbeit verurteilt. Der Präsident zieht die Zügel an und geht auch im Ausland immer härter gegen Kritiker vor.
Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen
Im Westen dämmert es manchem, dass mit dem neuen, alten Kreml-Herrscher nicht gut Kirschen essen ist. Zuletzt hat Putin immer wieder gegen die Nato-Erweiterung gewettert. «Die Politik einer Annäherung an Europa, die in den 90er Jahren in West und Ost – wenn auch halbherzig – noch verfolgt wurde, ist längst vergessen», attestiert die «Zeit» 2013 dem russischen Präsidenten.
5 Imperative, die sich aus der jüngsten Vergangenheit für Russland ergeben
Die wichtigsten drei Pfeiler der russischen Aussenminister hat der Diplomat Jewgeni Primakow formuliert, der von 1996 bis 1999 russischer Aussenminister war. Er fordert, dass Moskau erstens den Bereich der früheren Sowjetunion politisch dominieren und seinen Einfluss im Nahen Osten und Zentralasien weiter ausbauen muss. Das beinhaltet auch das Baltikum, ...
Bild: University of Texas
... und eine Erweiterung der Nato nach Georgien und in die Ukraine ist somit ausgeschlossen. Das westliche Bündnis muss deshalb zweitens geschwächt und die unilaterale Herrschaft der USA durchbrochen werden – gut zu sehen am russischen Engagement in Libyen oder Syrien. Im Bild: die russische Basis in Latakia.
Bild: KEYSTONE
Drittens: Um die Alleinherrschaft der USA zu durchbrechen, die die Welt laut Primakow eher instabil macht, muss Russland mit China und Indien zusammenarbeiten. In jener Welt müssten sich die Grossmächte absprechen, wie in Europa ab 1815 der Fall war. Im Bild: Wladimir Putin, Indiens Premier Narendra Modi und Chinas Staatschef Xi Jinping 2016 im indischen Goa.
Bild: KEYSTONE
Die Schwächung der USA kann auf verschiedenen Wegen erfolgen: durch das Aufwiegeln interner Konflikte via Social Media oder die Online-Beeinflussung von Wahlen (Im Bild: Donald Trump nach seiner Wahl am 8. November 2016), durch Geschäfte mit Bündnis-Partnern (Türkei) oder das Einwirken auf EU-Staaten wie Ungarn, Rumänien der Bulgarien. Asymmetrische Konflikte stehen im Vordergrund, die auch durch Migrations- oder Energiepolitik befeuert werden können.
Bild: KEYSTONE
Der Ost-West-Konflikt geht weiter und tritt in der Ukraine offen zutage. Dort ist das Land an der Linie gespalten, wo zwischen 1764 bis 1917 das Gebiet Neurussland lag. Die ethnischen Folgen spiegeln sich in dieser Karte wieder. Sie zeigt, wer Russisch als Muttersprache beim Census 2001 angegeben hat. Die andauernde Krise in dem Gebiet beunruhigt besonders Estland und Lettland, wo es ebenfalls grosse russische Minoritäten gibt.
Bild: The Brookings Institution
5 Imperative, die sich aus der jüngsten Vergangenheit für Russland ergeben
Die wichtigsten drei Pfeiler der russischen Aussenminister hat der Diplomat Jewgeni Primakow formuliert, der von 1996 bis 1999 russischer Aussenminister war. Er fordert, dass Moskau erstens den Bereich der früheren Sowjetunion politisch dominieren und seinen Einfluss im Nahen Osten und Zentralasien weiter ausbauen muss. Das beinhaltet auch das Baltikum, ...
Bild: University of Texas
... und eine Erweiterung der Nato nach Georgien und in die Ukraine ist somit ausgeschlossen. Das westliche Bündnis muss deshalb zweitens geschwächt und die unilaterale Herrschaft der USA durchbrochen werden – gut zu sehen am russischen Engagement in Libyen oder Syrien. Im Bild: die russische Basis in Latakia.
Bild: KEYSTONE
Drittens: Um die Alleinherrschaft der USA zu durchbrechen, die die Welt laut Primakow eher instabil macht, muss Russland mit China und Indien zusammenarbeiten. In jener Welt müssten sich die Grossmächte absprechen, wie in Europa ab 1815 der Fall war. Im Bild: Wladimir Putin, Indiens Premier Narendra Modi und Chinas Staatschef Xi Jinping 2016 im indischen Goa.
Bild: KEYSTONE
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Bild: KEYSTONE
Der Ost-West-Konflikt geht weiter und tritt in der Ukraine offen zutage. Dort ist das Land an der Linie gespalten, wo zwischen 1764 bis 1917 das Gebiet Neurussland lag. Die ethnischen Folgen spiegeln sich in dieser Karte wieder. Sie zeigt, wer Russisch als Muttersprache beim Census 2001 angegeben hat. Die andauernde Krise in dem Gebiet beunruhigt besonders Estland und Lettland, wo es ebenfalls grosse russische Minoritäten gibt.
Bild: The Brookings Institution
Putin zerschneidet das Tischtuch 2014, als er in asymmetrischer Kriegsführung die Krim besetzt und annektiert. Es folgen Sanktionen und die russische Wirtschaft schmiert ab, doch der Kreml-Chef kann die Schuld für die sich verschlechternden Lebensbedingungen bequem auf den äusseren Feind im Westen schieben, während er im Inneren die Organisation weiter auf sich zuschneidet und strafft.
2015 greift Putin in den Syrischen Bürgerkrieg ein und stützt das Regime von Präsident Baschir al-Assad, wo sich seine Truppen vor allem durch Attacken auf Zivilisten und Kriegsverbrechen hervortun. Wer Moskau widerspricht, zahlt dafür den Preis. Im März 2017 wird der kritische Journalist Nikolai Andruschtschenko zu Tode geprügelt.
Am 10. Dezember 2019 begegnen sich Wolodymyr Selenskyj und Wladimir Putin in Paris zum ersten Mal persönlich.
Ein Jahr später entkommt der Doppelagent Sergei Skripal in London nur knapp einem Mordanschlag mit einem Nervengift. Ähnlich ergeht es Alexei Nawalny, der im August 2020 dem Tod knapp entkommt. Der Oppositionelle hat sich auch deshalb zu Putins Erzfeind gemacht, weil er dessen massive Korruption sichtbar macht.
Dass Putin am 24. Februar 2022 auch noch in die Ukraine einfällt, war – im Nachhinein – vorauszusehen. Wirklich büssen musste Russland für die Annexion der Krim nicht, Putins autokratischer Führungsstil bleibt weitgehend folgenlos. Europa hat seine Abhängigkeit von russischer Energie im Anschluss nicht gesenkt, sondern erhöht.
Plötzlich in Zugzwang
Der Kampfsport-Fan hat offenbar nicht damit gerechnet, dass sein Krieg den Widerstand in den USA und in Europa stärkt und eint, statt einen Keil in die Gemeinschaft zu treiben. Zum ersten Mal in über 20 Jahren scheint seine Regentschaft so etwas wie gefährdet zu sein, nachdem die Offensive in der Ukraine mehr und mehr zum Rohrkrepierer wird.
Ein Bericht über die russischen Silowiki von «Kaspian Report».
In den letzten drei Jahrzehnten hat Wladimir Putin mit seinem Konzept Erfolg gehabt. Ein System aus Oligarchen und Silowiki, wie sein innerster Kreis heisst, bilden eine politische Kaste, die sich bereichert und gegenseitig schützt.
Der Zerfall der Sowjetunion und die Prägung durch den KGB haben Putin zu dem gemacht, was er heute ist. An der Macht hält sich der frühere Geheimagent mit einem zentralisierten Staat und dem dazugehörigen Sicherheitsapparat. Seine Politik ist bestimmt von einem religiösen Nationalismus und der Idee des sowjetischen Kolonialismus.
Am 7. Oktober 2022, seinem 70. Geburtstag, sieht Wladimir Wladimirowitsch Putin sein von ihm erschaffenes System vor die Hunde gehen. Seine politische Situation war wohl noch nie so bedrängt wie heute. Dass er deswegen mit einem Atomschlag riskiert, sein eigenes Vermögen, seine Familie und seine Kamarilla auszulöschen, muss bezweifelt werden.
Sein unbedingter Wille zur Macht und seine Grausamkeit, die sich in den Taten seiner Truppen widerspiegeln, sind gleichzeitig unbestritten.
Gratulieren kann man an diesem 7. Oktober 2022 nicht.
Erklärt: Putins Problem mit der Nato
Die Ukraine verlangt Russlands Armee mehr ab als vom Kreml erwartet. Doch das eigentliche Ziel Wladimir Putins ist das Zurückdrängen der Nato: Die europäische Tiefebene ist der Schlüssel zu Moskaus Sicherheit.