Strengere RegelnDeutschland steuert auf den «Königsweg 2G» zu
Von Andreas Fischer
4.11.2021
Während die Politiker*innen über die Massnahmen streiten, befürwortet die Bevölkerung schärfere Regeln. Aber wo die gelten, weiss kaum jemand. Deutschland ist in der vierten Corona-Welle vor allem verwirrt.
Von Andreas Fischer
04.11.2021, 18:02
04.11.2021, 18:04
Von Andreas Fischer
Mehr Neuinfektionen mit dem Coronavirus hat Deutschland seit Beginn der Pandemie noch nie verzeichnet. Die zuständigen Behörden meldeten am Donnerstag 33'949 neue Fälle binnen eines Tages. Und es ist noch nicht einmal Winter. Während die Corona-Zahlen auf ein Allzeithoch steigen, streitet Deutschland mal wieder.
Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach etwa hält die Corona-Kontrollen vieler Gastronomen und Veranstalter in Deutschland für zu «läppisch». In vielen Restaurants werde nur unzureichend überprüft, ob Gäste geimpft seien oder einen aktuellen Schnelltest vorweisen könnten, sagte Lauterbach in einem Gespräch mit dem «Spiegel».
«2G bringt am meisten, das ist der Königsweg»
Lauterbach scheint nicht Unrecht zu haben. In Leipzig, das hat der Autor persönlich erlebt, kontrollieren Kinos sehr penibel. Auch die langjährige Coiffeuse lässt sich bei jedem Besuch das Zertifikat zeigen. Bei einigen Kneipen wiederum reicht eine mündliche Versicherung. Oder man wird gleich ganz von der Bedienung durchgewinkt, so als würde das Zertifikat den Betriebsablauf stören. Na dann mal: Prost!
Dass Lauterbach weitere Einschränkungen für unabdingbar hält, um der vierten Welle zu begegnen, scheint vor diesem Hintergrund nachvollziehbar. Der Politiker fordert von den Bundesländern klare Regelungen: «2G bringt am meisten, das ist der Königsweg», sagte er zum «Spiegel» und empfahl, Restaurants, Clubs und andere Veranstaltungsorte nur noch für Geimpfte oder Genesene zu öffnen.
Die Deutschen wollen strengere Regeln
Damit trifft Lauterbach im Prinzip auf offene Ohren. Die Deutschen befürworten mehrheitlich konsequentere Regeln. Laut einer aktuellen Forsa-Umfrage im Auftrag der Fernsehsender RTL und n-tv fänden es 61 Prozent der Bürger richtig, wenn im kommenden Winter Angebote wie Gastronomie, Einzelhandel oder Veranstaltungen ausschliesslich für Geimpfte und Genesene zugänglich wären. 36 Prozent sind gegen eine solche Ausweitung der sogenannten 2G-Regel. In einer anderen Umfrage haben sich zuletzt 60 Prozent der Befragten dafür ausgesprochen, dass nur noch Geimpfte und Genesene ins Fussballstadion dürfen.
Und was macht die deutsche Politik? Die ist sich noch uneins.
Der geschäftsführende Bundesgesundheitsminister Jens Spahn weiss zwar: «Die Pandemie ist alles andere als vorbei.» Gleichwohl möchte er Ende November die «epidemische Notlage von nationaler Tragweite» auslaufen lassen. Auch die möglichen künftigen Regierungspartner sprachen sich dafür aus, die Einstufung als Rechtsgrundlage für weitgehende Corona-Einschränkungen nicht mehr zu verlängern.
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Die Massnahmen werden schon wieder verschärft
Die Bundesländer sind davon nicht überzeugt – zumindest nicht alle. Im Gegenteil verschärfen einige die Massnahmen bereits. In Sachsen geht man dabei voran. Notlage hin oder her: Im Bundesland mit der geringsten Impfquote Deutschlands sollen auf Ungeimpfte schon ab 8. November stärkere Einschränkungen zukommen. Das sieht eine entsprechende Corona-Schutzverordnung vor, die am Freitag beschlossen werden soll.
Nur noch Geimpfte und Genesene sollen dann neben der Innengastronomie Zugang zu Veranstaltungen und Festen in Innenräumen im Kultur- und Freizeitbereich, in Diskotheken und Bars bekommen. Gleiches gilt für Grossveranstaltungen wie Konzerte und Fussballspiele.
Wenig überraschend zieht Markus Söder in Bayern ebenfalls die Zügel an. «2G wird so oder so ab einem bestimmen Zeitpunkt kommen», hatte er schon im August in einem Interview prophezeit. In Bayern wurden gerade die Regeln für Schutzmassnahmen bei steigender Belegung von Intensivbetten merklich verschärft. Vielerorts gilt dort ab Samstag die 2G-Regel.
Der höchste Tageswert bisher. Nur die Altersverteilung verhindert noch die Katastrophe. Das Hauptproblem: eine konsequente Anwendung und Überprüfung von 2G oder 3G findet nicht mehr statt. Die Impfzertifikate oder Tests werden kaum noch abgefragt. So gefährden wir Weihnachten https://t.co/Xjs4yt7RXf
Das benachbarte Bundesland Baden-Württemberg hat die Regeln ebenfalls verschärft. Wer nicht geimpft oder genesen ist, muss für zahlreiche Freizeitaktivitäten in geschlossenen Räumen einen negativen PCR-Test vorweisen.
Diese in Deutschland «3G Plus» genannte Regel stiftet vor allem eins: Verwirrung. Aber daran hat man sich gewöhnt: Seit Beginn der Pandemie im vergangenen Frühjahr weiss in Deutschland kaum jemand so recht, was wann und wo gilt.
So haben Hamburg als Vorreiter und weitere Bundesländer schon seit einigen Wochen das 3G-Modell um ein optionales 2G-Modell erweitert. Es steht Freizeiteinrichtungen dadurch offen, ob sie nur Geimpfte und Genesene einlassen oder auch Getestete. Ob man als nicht geimpfte Person mit einem Test in ein Theater oder ein Restaurant kann (und ob es ein PCR-Test sein muss oder ob ein Antigen-Schnelltest reicht), erfährt man im schlimmsten Fall erst am Eingang.
Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa und AFP.
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