Boliviens Ex-PräsidentEvo Morales verschanzt sich bei Kokabauern – und plant sein Comeback
AP/toko
31.12.2024 - 00:00
Für seine Anhänger ist der Sozialist und ehemalige Kokabauer Evo Morales immer noch ein Heilsbringer. Anderswo verfangen seine Botschaften weniger.
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31.12.2024, 00:00
dpa
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Der ehemalige bolivianische Präsident Evo Morales arbeitet derzeit an seinem politischen Comeback. Von seinen Anhängern wird er noch immer verehrt.
Seit Gerüchte über einen Haftbefehl kursieren, hat sich Morales inmitten loyaler Anhänger in Boliviens Koka-Anbauregion Chapare verschanzt.
Das Verfassungsgericht hat Evo Morales eine erneute Kandidatur für für die bolivianische Präsidentschaft verboten und ihm das Amt des Vorsitzenden der MAS entzogen, jener Partei, die er in den 1990ern mitgegründet hatte.
Boliviens ehemaliger Staatschef Evo Morales will zurück an die Macht und wirbt mit einem bekannt Rezept für sich. Andere Politiker in den vergangenen Jahren hätten den Menschen im Land nichts als Misere gebracht, sagt er. Es sei Zeit für eine Rückkehr zur Vergangenheit.
Seine Anhänger versprechen sich von ihm Rettung – nach fünf turbulenten Jahren, die seinem erzwungenen Rücktritt 2019 folgten. Morales, der erster indigener Präsident des Landes war, wird vor allem für seine Wirtschafts- und Sozialpolitik gelobt. In seinen fast 14 Jahren im Amt sorgte er für starkes Wachstum und nutzte den Rohstoff-Reichtum des Landes, um die Lage der Armen, die Gesundheitsversorgung und andere soziale Leistungen zu verbessern.
Seine Kritiker lasten ihm vor allem seine Versuche an, länger als die von der Verfassung erlaubten zwei Amtsperioden Staatschef zu bleiben. Auch habe er die Wirtschaft zu stark von Erdgasreserven abhängig gemacht. Morales, so sagen sie, sei für das von ihm beklagte Chaos in den Jahren nach seinem Sturz zu einem grossen Teil selbst verantwortlich.
Zu Morales' stärksten Gegnern zählt sein früherer Wirtschaftsminister und einstiger Schützling, der heutige Präsident Luis Arce. Die Beiden liefern sich einen erbitterten Kampf darum, wer ihre seit Langem dominierende Partei, die Bewegung zum Sozialismus (MAS) in die Wahl im August 2025 führt. Das Verfassungsgericht hat Morales – nicht zuletzt auf Betreiben Arces – eine Kandidatur verboten und ihm das Amt des Vorsitzenden der MAS entzogen, jener Partei, die er in den 1990ern mitgegründet hatte.
Und kürzlich klagte die Staatsanwaltschaft Morales wegen Geschlechtsverkehr mit einer Minderjährigen an: Er hatte ein Kind mit einer 15-jährigen, als er 56 und Präsident war. Er bestreitet die Beziehung nicht, wirft Arce aber vor, eine üble Schmutzkampagne gegen ihn zu organisieren.
Verschanzt in Koka-Anbauregion
Seit im September Gerüchte über einen Haftbefehl gegen ihn auftauchten, hat sich Morales in Boliviens Koka-Anbauregion Chapare verschanzt, umgeben mit loyalen Unterstützern. Von hier aus plant der 65-jährige feurige Chef der Gewerkschaft der Kokabauern, zu denen er selbst einst zählte, sein politisches Comeback. Nur wenige Aussenstehende dürfen seine Hochburg in Boliviens feucht-heissem Tiefland betreten, aber die Nachrichtenagentur AP war im November zu einem Besuch hinter den Barrikaden eingeladen. «Wir befinden uns in einem Zustand totaler Belagerung, moralisch, rechtlich und politisch», sagte Morales der AP damals. Die Mächtigen wollten seine Kandidatur verhindern.
Die Fahrt von Boliviens drittgrösster Stadt Cochabamba nach Chapare dauert vier Stunden, unterbrochen durch einschüchternd wirkende Wachposten – Gefolgsleuten von Morales – an mehreren Kontrollpunkten. Manche haben Schlagstöcke an ihren Gürteln. Als der Kleintransporter die steilen Wege entlang rumpelt, weist Pedro Cepita, ein mit der Begleitung der AP-Reporter beauftragt Führer, auf Morales' Errungenschaften im über Jahre stigmatisierten Chapare hin – Universitätsgebäude, Mobilfunkmasten, ein Flughafen, ein Fussballstadion mit 25'000 Sitzplätzen.
«Wir sind in la Tierra de Evo»
Das Gesicht des Expräsidenten - der als einer der letzten linksgerichteten Führungspersonen der «rosa Welle» gilt, die einst Lateinamerikas Politik beherrschten – schmückt viele Wandgemälde, neben Kulthelden wie Che Guevara und Fidel Castro. Auf Backsteinhäusern prangen «Evo 2025-2030»-Slogans. «Wir sind in la Tierra de Evo», sagt Cepita – im Land von Evo.
Reguläre Sicherheitskräfte kommen nur noch selten hierhin, Aktivisten von Morales' Koka-Gewerkschaft haben sie aus dem Gebiet verjagt. Die Kokabauern sind Morales treu ergeben, er ist einer von ihnen. «Bruder Evo war mit uns auf diesen Feldern», sagt der 39-jährige José Luis Calicho und weist auf eine Parzelle, die Morales gehört. «Er weiss, dass wir keine Kriminellen sind, keine Drogenhändler.»
Im Oktober haben bewaffnete Männer auf seinen Autokonvoi geschossen, seitdem schläft Morales – der unverletzt blieb – auf dem festungsähnlichen Anwesen seiner Kokabauern-Gewerkschaft. Er spricht von einem Attentatsversuch der Regierung. Die weist das zurück. Draussen vor den hohen Mauern liegen und sitzen Dutzende von Morales-Anhängern auf Planen, blockieren die Strasse. Einige ruhen sich nach ihrer Nachtwache aus, andere beobachten die Umgebung.
Die begeisterten Menschenmengen gibt es nicht mehr
Doch wie sieht es im Rest des Landes mit seinen 12 Millionen Einwohnern aus? «Als ich 2005 an die Macht kam, war die Nation am Leiden, und ich habe sie transformiert», sagt Morales. «Jetzt ist unsere Krise sogar noch grösser. Wir haben keinen Kraftstoff, wir haben keine Dollars.» Die meisten Bolivianer, die mit starker Inflation zu kämpfen haben, stimmen dem zu. Aber ansonsten unterscheidet sich ihre Haltung zu Morales krass von jener der Leute in Chapare. In den gehobenen Bezirken des Regierungssitzes La Paz sagen Einwohner, dass sie von Morales' Handlungen angewidert seien. «Würden sie für einen Pädophilen stimmen?», fragt ein frisch gemaltes Graffiti.
Lockere Umfragen in La Paz deuten darauf hin, dass zwei oder drei von zehn Bolivianern für den Ex-Präsidenten stimmen würden – wenn sie denn die Gelegenheit dazu erhielten. Jenseits seiner rechtlichen Probleme ist es unklar, ob Morales seine Position in der Partei oder sogar den Topjob im Land zurückerobern kann. Seine Unterstützer sagen, dass er einen Weg finden werde, das gerichtliche Verbot zu umgehen – vielleicht indem er eine neue Partei gründet.
Aber die begeisterten Menschenmengen von vor Jahren gibt es nicht mehr. Bei einem kürzlichen MAS-Kongress in Chapare wurde Morales zum «einzigen legitimen Kandidaten» erklärt, doch ein «Viva Evo!»-Sprechchor verhallte schnell im halb gefüllten Zuhörersaal. Dennoch: Boliviens rechtsgerichtete Opposition ist zersplittert, Proteste gegen Arces Unvermögen, den Zusammenbruch der Währung zu stoppen, nehmen immer mehr zu.
Morales selbst ist bekanntlich niemand, der leicht aufgibt. Unlängst, an einem heissen schwülen Tag, schnitt er Unkraut auf seinem Feld herunter, unermüdlich, auch dann noch, als längst alle anderen um ihn herum verschwunden waren. Seine Arbeit, so sagte er, sei bei weitem noch nicht erledigt.