61 Milliarden eingefroren Verlieren die USA das Interesse am Krieg in der Ukraine?

Lisa Marcaro, AP/phi

27.11.2023 - 07:43

Trump stichelt mit Arztbrief gegen US-Präsident Biden

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US-Präsidenten müssen die Menschen im Land regelmässig über ihre Gesundheit informieren. Der mittlerweile 81 Jahre alte Amtsinhaber Joe Biden hat einige Zipperlein.

27.11.2023

Ein Biden-Paket mit weiteren Hilfen für Kiew im Krieg gegen die Russen hängt im Kongress fest. Die Republikaner machen ihre Zustimmung von schärferen Massnahmen an der US-Grenze zu Mexiko abhängig – ein Schachzug mit womöglich fatalen Folgen für die Ukraine.

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Joe Biden hat ein 93,4 Milliarden Dollar für die Ukraine, Israel und weitere Projekte beantragt.
  • Die Republikaner wollen die Mittel im Repräsentantenhaus erst frei geben, wenn Biden Forderungen etwa nach stärkere Kontrollen an der Grenze zu Mexiko erfüllt.
  • Der rechte Flügel der Republikaner sieht die andauernde Unterstützung Kiews kritisch. Auch in der Bevölkerung sinkt der Wille zu Unterstützung der Ukraine.
  • Biden hat in seinem Paket 14 Milliarden für Massnahmen an der Grenze und für Geflüchtete vorgesehen, doch das reicht seinen Kritikern nicht aus.
  • Der Schwund der Mittel besorgt jene in Washington, die es mit der Ukraine halten.

Die kommenden Tage «werden hart sein», sagte ein Topberater des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj bei einem kürzlichen Besuch in Washington mit Blick auf den Krieg gegen die Russen in den kalten Wintermonaten voraus – womit er unterstrich, wie dringend sein Land andauernde US-Unterstützung benötigt.

Tatsächlich hat Präsident Joe Biden beim Kongress ein Hilfspaket im Umfang von fast 106 Milliarden Dollar (93,4 Milliarden Franken) für die Ukraine, Israel und andere Anliegen beantragt. Aber es hängt im Kapitol fest – ohne Zustimmung, ohne Ablehnung.

Die Sorgen stehen ihm ins Gesicht geschrieben: Wolodymyr Selenskyj am 21. September in Washington.
Die Sorgen stehen ihm ins Gesicht geschrieben: Wolodymyr Selenskyj am 21. September in Washington.
AP

Die Sache durch den Kongress zu bringen, war von vornherein kein Spaziergang für Biden. Aber es ist mittlerweile noch komplizierter geworden  – wegen neuer politischer Forderungen von Republikanern, die auf schärferen Massnahmen gegen den illegalen Zustrom von Migranten über die mexikanisch-amerikanische Grenze beharren und das mit einer etwaigen Zustimmung zu weiteren Militärhilfen für die Ukraine verknüpfen.

Die Grenzpolitik ist indes eine der polarisierendsten Fragen in den politisch tief gespaltenen USA. Die Kongressmitglieder sind nach einer Thanksgiving-Feiertagspause zurück in Washington, und Bidens Antrag wird eines der Topthemen auf ihrer abzuarbeitenden Aufgabenliste sein. Es steht enorm viel auf dem Spiel.

Amerikas Standing untergraben

Gibt es nicht bald einen gemeinsamen Nenner, droht eine gefährliche Verzögerung von US-Militärhilfe sowohl für die Ukraine als auch für Israel sowie von humanitärer Unterstützung für die Zivilbevölkerung in Gaza, inmitten von zwei Kriegen – was Amerikas Stellung in der Welt untergraben könnte.

Joe Biden (rechts) mit Wolodymyr Selenskyj am 21. September in Washington.
Joe Biden (rechts) mit Wolodymyr Selenskyj am 21. September in Washington.
AP

So spricht Luke Coffey von der in Washington ansässigen Denkfabrik Hudson Institute von einem «kritischen» Zeitpunkt. «Uns geht das Geld aus», sagt er in einem Interview mit Blick auf den sich leerenden Washingtoner Finanztopf.

Die grosse Mehrheit der Kongressmitglieder unterstützt zwar weiter die Ukraine, steht genauso hinter Selenskyj wie im Dezember vergangenen Jahres, als man ihm bei einem Überraschungsbesuch in Washington einen Heldenempfang bereitete. Aber die fortgesetzten Hilfen der USA für das Militär und die Regierung der Ukraine verlieren unter Parlamentariern auf dem knallharten rechten Flügel der Republikaner zunehmend an Rückhalt.

61 der 106 Milliarden sind für Kiew vorgesehen

So auch bei vielen Bürgern: Laut einer Umfrage der Nachrichtenagentur AP und des Norc-Center for Public Affairs Research findet fast die Hälfte der Amerikaner, dass ihr Land zu viel für Ukraine-Hilfen ausgibt. Und so fordern Republikaner etwas im Gegenzug für eine etwaige Zustimmung zu weiteren Ukraine-Aufwendungen, die 61 Milliarden Dollar in Bidens Gesamtpaket ausmachen.

Änderungen in der US-Grenzpolitik zur Verringerung des Migrantenzustroms seien der «beste Weg» für den Präsidenten und dessen Demokraten, sich republikanische Unterstützung zu sichern, so der Führer der konservativen Minderheit im Senat, Mitch McConnell. «Es ist miteinander verbunden», sagt er der AP.

Lässt sich bitten: Mitch McConnell.
Lässt sich bitten: Mitch McConnell.
EPA

Eine Kerngruppe von Senatsmitgliedern beider Seiten hat in privaten Treffen an Lösungsvorschlägen in Sachen Grenzpolitik gearbeitet. Auf dem Tisch sind von den Republikanern angestrebte Änderungen, die es für Migranten schwerer machen würden, die USA zu betreten, auch wenn sie sagen, dass sie daheim in Gefahr seien.

«Schrecklich, dass wir in einer solchen Situation sind»

Republikaner wollen zudem weniger Freilassungen auf Bewährung, während Migranten auf die Abwicklung gerichtlicher Prozeduren warten, und dass der Bau von Grenzzäunen fortgesetzt wird. Demokraten weisen das als praktisch indiskutabel zurück, und die Gespräche über die Grenzpolitik verlaufen langsam. Jenen, die seit Jahren mit Fragen der Immigration beschäftigt sind, schwant Unheil, ein kommendes politisches Desaster für alle Seiten – die Ukraine eingeschlossen.

«Ich finde es schrecklich, dass wir in einer solchen Situation sind», beschreibt es der demokratische Senator Chris Murphy, der nach eigenen Angaben Zweifel daran hat, dass es zu einer Lösung kommt. Biden hat in seinem Gesamtpaket zwar etwa 14 Milliarden Dollar für Massnahmen an der Grenze vorgesehen, so etwa für mehr Grenzposten, mehr Einrichtungen zum Gewahrsam für illegal ins Land gekommene Migranten und mehr Richter zur beschleunigten Abwicklung von Prozeduren.

Aber das reicht in den Augen rechter Hardliner bei Weitem nicht aus. Und da die Konservativen im Repräsentantenhaus und die Demokraten im Senat jeweils nur eine knappe Mehrheit haben, ist es nahezu sicher, dass jedwede Vereinbarung parteiübergreifender Zustimmung bedarf, um verabschiedet zu werden.

Gelder für die Ukraine schwinden rapide

Pentagon-Gelder für die Ukraine schwinden rapide. Das Verteidigungsministerium ist befugt, Ausrüstung im Wert von ungefähr fünf Milliarden Dollar aus seinen Arsenalen zu nehmen und in die Ukraine zu schicken, aber verfügt nur über eine Milliarde Dollar, um diese Vorräte wieder aufzustocken.

So sind Militärführer besorgt über mögliche Auswirkungen auf die Einsatzfähigkeit und Ausstattung der eigenen Truppen im Fall der Fälle. Der Bedarf an einer Geldinfusion wachse «täglich», sagt Pentagon-Sprecherin Sabrina Singh. Insgesamt ist die Hälfte der 113 Milliarden Dollar, die der Kongress seit Beginn des Krieges Ende Februar 2022 für die Ukraine bewilligt hat, an das Verteidigungsministerium geflossen.

Die Mittel werden für den Aufbau der ukrainischen Streitkräfte – weitgehend durch Versorgung mit Waffen und anderer Ausrüstung – sowie für ein Wiederauffüllen der US-Arsenale ausgegeben. Ein grosser Teil der restlichen Gelder dient Not- und humanitärer Hilfe für die Ukraine und der Unterstützung für Regierung in Kiew via Weltbank.

Nationale Sicherheitsexperten berichten, dass die ukrainischen Kräfte mittlerweile in ihrem Kampf gegen die Russen auf veraltete US-Ausrüstung zurückgriffen, die auf dem Weg zur Einmottung war. Und so etwas, meint der Demokrat Jack Reed, der den Streitkräfteausschuss des Senats leitet, spiele genau den Russen in die Hände: Sie bauten darauf, «dass wir aufgeben und uns abwenden. Und dann handeln sie.»

Lisa Marcaro, AP/phi