Abflug aus Kabul«Es sah aus wie in einem dieser Zombie-Filme»
Von Lolita C. Baldor, AP/uri
3.9.2021 - 10:22
Von den letzten Stunden in Kabul behalten die US-Militärpiloten erschreckende Bilder im Kopf. Sie berichten von einem Abflug aus der Apokalypse.
03.09.2021, 10:22
03.09.2021, 10:35
Von Lolita C. Baldor, AP/uri
Beim letzten Start der US-Militärmaschinen in Afghanistan erleuchtete Freudenfeuerwerk der Taliban den Himmel über Kabul. Kämpfer auf der Rollbahn winkten den Amerikanern zum Abschied, bedrohlich anmutend beim Blick durch die Nachtsichtgeräte der Abfliegenden. Dazwischen streunende Hunde auf dem Flugfeld und überall Teile zerstörter Flugzeuge und Ausrüstung.
Die letzten fünf Boeing-C-17-Militärtransporter verliessen Kabul am Montagabend zum Abschluss eines chaotischen und tödlichen Evakuierungseinsatzes. Eine ernüchternde Marke am Ende des 20 Jahre währenden Einsatzes im Afghanistan-Krieg. In den letzten Stunden waren die US-Soldaten auf sich allein gestellt. Es gab keine Raketenabwehr mehr, die sie auf dem Rollfeld hätte schützen können, niemanden, der sie vom Kontrollzentrum aus leitete.
«Es sah einfach apokalyptisch aus»
«Es sah einfach apokalyptisch aus», sagt Oberstleutnant Braden Coleman, der vor dem Abflug auf dem Flughafen von aussen über seine Maschine wachte und auf mögliche Angriffe achten musste. «Es sah aus wie in einem dieser Zombie-Filme», beschreibt er die Bilder aus Kabul. «Alle Flugzeuge waren zerstört, ihre Türen waren offen, die Räder kaputt.» Eine der Maschinen sei ausgebrannt gewesen. «Man konnte sehen, dass das Cockpit da war, und der ganze Rest des Flugzeugs sah aus wie die Gräten eines Fisches.»
Den Druck und Stress der letzten Stunden habe die Tatsache verstärkt, dass die Maschinen auf einem Teil des Flughafens gewartet hätten, der schon mehrfach angegriffen worden war, sagt die Pilotin Kirby Wedan im Gespräch mit der Nachrichtenagentur AP. Zwischendurch sei auch eine Gruppe von Zivilisten auf das Flugfeld gelangt und habe versucht, zum Flieger zu kommen. Sie sei aber gestoppt worden.
«Es war auf jeden Fall eng», berichtet Wedan, die mit ihrer Maschine als erste an den Start ging, über den Abend in Kabul.
Im nächsten Flugzeug sass Coleman, der kurz vor dem Abheben noch einmal die Maschine verlassen musste. Er habe sein Nachtsichtgerät getragen, hinter ihm sei ein speziell für den Schutz der Luftwaffenangehörigen ausgebildeter Sicherheitsmann gewesen, erinnert sich Coleman. Die Spannung sei greifbar gewesen. «Aber ich glaube, man denkt in dem Moment gar nicht darüber nach. Man macht einfach das, was man in der Ausbildung gelernt hat.»
Jubel unter den Soldatinnen und Soldaten
Rund drei Stunden lang gingen die Verantwortlichen zuletzt noch ihre etwa 300 Punkte umfassenden Checklisten durch. Die letzten vier Hubschrauber wurden eingepackt, und es wurde sichergestellt, dass alle Soldatinnen und Soldaten an Bord waren. Vom Luftwaffenstützpunkt Scott in Illinois beobachtete Generalin Jacqueline Van Ovost auf Videobildschirmen, wie sich die Maschinen in Kabul zum Start aufreihten.
Auf einem Schirm verfolgte sie den Chat und sie konnte die Anweisungen von Alex Pelbath hören, wie der Oberstleutnant anwies, die Rampen einzuholen und die Türen zu schliessen und schliesslich die Order zum Start gab. Dann setzte Kirby Wedan ihre Maschine an der Spitze in Bewegung.
«Es war schon sehr anders», sagt die Kapitänin im Rückblick. «Ich war zuvor noch nie auf einem Rollfeld gewesen, wo ich nicht wirklich eine Starterlaubnis hatte.» Nach dem Abheben sei Jubel unter den Soldatinnen und Soldaten und Sondereinsatzkräften ausgebrochen. «Es war eine spürbare Erleichterung.» Manche der Militärangehörigen an Bord hätten seit zwei Wochen keine Dusche mehr gesehen, sie seien unglaublich müde gewesen. «Man konnte spüren, dass sie einfach nur erleichtert waren, draussen zu sein und dass ihr Auftrag erfüllt war.»
«Alle sassen irgendwie fast aufeinander»
Eng zusammengepfercht seien die Leute auf dem Boden gesessen. «Alle sassen irgendwie fast aufeinander», berichtet Wedan. Doch innerhalb einer halben Stunde seien fast alle eingeschlafen. «Da war einer, der eine Kiste Wasserflaschen als Kopfkissen benutzte», sagt Wedans Kollege Coleman. «Ich weiss nicht, wie das bequem gewesen sein soll. Aber, echt, er schlief tief und fest.»
Als Allerletzter ist Generalmajor Chris Donahue, der Kommandeur der 82. Luftlandedivision des Heeres, in den allerletzten Flieger gestiegen. «Job gut erledigt. Stolz auf euch alle», schickte er in die Runde, als die Flugzeuge in der Luft waren.
Das Gefühl dürften viele teilen: «Zu sehen, wie sich alle reinhängten, damit wir das in dieser Zeitspanne schafften, 124'000 Menschen in weniger als drei Wochen auszufliegen», erklärt Coleman. «Ich denke, ich könnte nicht stolzer sein, heute zu den C-17-Piloten zu zählen.»
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