Mobbing, Lügen, Video Wie Tucker Carlson toxisch wurde

Von Philipp Dahm

25.4.2023

Tucker Carlson verlässt Fox News

Tucker Carlson verlässt Fox News

Der US-Sender und sein umstrittener Star-Moderator haben sich laut Angaben des Medienkonzerns darauf geeinigt, getrennte Wege zu gehen. Die genauen Hintergründe waren zunächst unklar.

25.04.2023

Masken, Russland, Wahlbetrug: Tucker Carlson hat Fox News durch Polarisierung ein Millionenpublikum beschert. Doch Millionen könnte er vor Gericht nun auch kosten: Rupert Murdoch zieht die Reissleine.

Von Philipp Dahm

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Fox News hat seinen Quotenkönig Tucker Carlson gefeuert, der als Zugpferd der Rechten in den USA gilt.
  • Über die Hintergründe wird spekuliert: Eine Mobbing-Klage gegen Carlson und Kollegen liegt vor, weitere sollen angeblich folgen.
  • 2016 und 2017 musste Fox News ebenfalls hochrangige männliche Angestellte entlassen – damals wegen Sex-Vorwürfen.
  • Die Entlassung wird in den liberalen Late-Night-Shows gefeiert.

«Kommen wir zur grossen Story, die die Medienwelt heute erschüttert hat: Kennt ihr diesen bescheuerten Gesichtsausdruck von Tucker Carlson?», fragt Desi Lydic, die Gast-Moderatorin der «Daily Show». «Nun, heute hat er einen Grund dafür.»

Tucker Carlson wird nach CNN und MSNBC nun auch von Fox News gefeuert: Desi Lydic kann damit leben.
Tucker Carlson wird nach CNN und MSNBC nun auch von Fox News gefeuert: Desi Lydic kann damit leben.
Bild: YouTube/The Daily Show

Dass der Quoten-Star von Fox News gehen muss, wird von den Late-Night-Hosts des amerikanischen Fernsehens mit purem Genuss aufgenommen. «Tucker konnte für Anfragen nicht erreicht werden», meint etwa Jimmy Kimmel mit Blick auf den «Mother-Tucker». «Er sitzt bereits im Flieger nach Moskau, um mit seinem Manager zu sprechen.» 

«Wow, I can't believe that a network that's so opposed to gender-affirming surgery just cut off their own dick.»

Desi Lyydic

«Daily Show»-Gastmoderatorin

Seth Meyers fragt scheinbar besorgt, ob Fox News plötzlich «woke» geworden sei: «Wer wird uns jetzt aufklären, ob M&Ms noch vögelbar sind?» Und weiter: «Er dachte, er könnte den Trumpismus einspannen und Trump für seine Zwecke benutzen und dabei völlig unversehrt bleiben. Seine Masche war es, rassistische, verschwörerische Scheisse anzusprechen – in einem ‹Ich stelle nur Fragen›-Stil, ohne Verantwortung zu tragen.»

Hinweis zum obigen Clip: Hinter dem «Lincoln Project» steckt eine Gruppe moderater Republikaner.

Diese Kommentare fassen Tucker Carlsons Agenda gut zusammen. Der 53-Jährige ist bei Fox News zur Ikone der identitären Rechten aufgestiegen. Er hat vor der Kamera den treuen Donald-Trump-Anhänger gegeben, regelmässig gegen die Gender-Bewegung agitiert und «woke»-Politik gebrandmarkt – etwa weil die Stilettos einer M&M-Figur gegen bequeme Schuhe ausgetauscht worden sind.

«Trumps gestörte Wahl-Lügen»

Carlson hat Russlands Politik erstaunlich offen verteidigt, den ungarischen Rechtspopulisten Victor Orban in höchsten Tönen gelobt und ist auf einschlägigen politischen Veranstaltungen in Europa aufgetreten. Öffentlich hat der Kalifornier den Sturm aufs Kapitol verteidigt – privat jedoch scheint der Moderator Donald Trump «leidenschaftlich [zu] hassen».

Dass er gefeuert wird, hat Carlson nicht erwartet, als er sich am Freitag, den 21. April, «bis Montag» lächelnd verabschiedet. Er soll angeblich erst am Montagmorgen von seiner Demission erfahren haben, die den Zuschauern von Fox News mehr als nüchtern mitgeteilt wurde: Man habe sich im gegenseitigen Einvernehmen getrennt. «Ich habe überzeugendere Vorträge im nordkoreanischen Staatsfernsehen gesehen», lästert Meyers.

Was ist der Grund für die überraschende Entlassung? Auffällig ist die zeitliche Nähe zur aussergerichtlichen Einigung, die Fox News mit dem Wahlmaschinen-Hersteller Dominion Voting Systems erreicht hat: 787 Millionen Dollar wechseln den Besitzer, weil Carlson und Kollegen «Trumps gestörte Wahl-Lügen verbreitet haben», wie es Meyers ausdrückt.

«Und sie lassen Wallace und Vittert alles zerstören»

Doch Carlson war beileibe nicht der einzige Moderator, der Trump und seinen Kurs verteidigt hat. Warum muss er also wirklich gehen? Laut «Los Angeles Times» haben Lachlan Murdoch, der Sohn des Sender-Besitzers Rupert Murdoch, und Fox-News-Media-CEO Suzanne Scott am Freitag beschlossen, den Moderator zu feuern.

Reissleine gezogen: Rupert Murdoch und sein Sohn Lachlan.
Reissleine gezogen: Rupert Murdoch und sein Sohn Lachlan.
Archivbild: AP

Die Zeitung spekuliert, dass Carlson seine SMS zum Verhängnis geworden sind, die im Rahmen des Dominion-Verfahrens öffentlich geworden sind. Darin kritisiert das Fox-News-Zugpferd frühere Kollegen wie Moderator Chris Wallace oder den Journalisten Leland Vittert, die sich kritisch über Trump und seine Bewegung geäussert haben.

«Wir verschreiben uns dem Aufbau eines Publikums, und sie lassen Wallace und Vittert alles zerstören», echauffiert sich Carlson über seinen Arbeitgeber. Doch ob das reicht, Medienmogul Murdoch dazu zu bringen, ihn zu entlassen? Denkbar ist auch, dass der Abgang mit der Klage einer Journalistin gegen Carlson zusammenhängt. 

Mobbing-Klage gegen Carlson und Co

Abby Grossberg ist als Produzentin im März bei Fox News geschasst worden und wirft dem Sender nun vor, sie sei bei der Arbeit gemobbt worden. Kollegen hätten regelmässig frauenfeindliche und antisemitische Witze gemacht: Carlson und seine Produzenten werden dabei namentlich erwähnt. Grossberg sei zudem gedrängt worden, Fake News zu verbreiten.

Der Sender streitet alles ab: «Wir werden Fox weiterhin energisch gegen Miss Grossbergs unbegründete Rechtsansprüche verteidigen, die von falschen Anschuldigungen gegen Fox und unsere Angestellten durchsetzt sind», wird eine Sprecherin zitiert. In anderen Fällen hat der Sender ähnlich reagiert, musste dann aber doch die Kehrtwende vollziehen.

Gefallene Star-Journalisten: Das frühere Fox News-Zugpferd Bill O’Reilly spricht über seinen Nachfolger Tucker Carlson und «die boshafteste Branche in Amerika».
Gefallene Star-Journalisten: Das frühere Fox News-Zugpferd Bill O’Reilly spricht über seinen Nachfolger Tucker Carlson und «die boshafteste Branche in Amerika».
Bild: YouTube/NewsNation

2017 etwa hiess das Zugpferd von Fox News noch Bill O’Reilly, dessen Quote auch ein Tucker Carlson nicht erreicht hat. Der heute 73-Jährige musste von einem auf den anderen Tag gehen, nachdem öffentlich wurde, dass sein Sender fünf Frauen mit 13 Millionen Dollar zum Schweigen bringen wollte, die dem Moderator sexuelle Belästigung vorwerfen. O’Reilly wurde erst beurlaubt und acht Tage später gefeuert.

«Die Tapes sind nicht gut für die Sache des Senders»

Ein Jahr zuvor hat es Roger Ailes erwischt: Der Fox-News-Produzent musste 2016 seinen Hut nehmen, nachdem ihm mehrere Frauen sexuelle Belästigung vorgeworfen haben. Die Geschichte wurde verfilmt: Nicole Kidman spielt die Moderatorin Gretchen Carlson, die den Stein ins Rollen bringt. Sie ist mit Tucker Carlson übrigens nicht verwandt.

Bill O’Reilly glaubt, Rupert Murdoch hat die Reissleine gezogen, weil weitere Klagen ins Haus stehen. «Jetzt kommt die Klage der eVoting-Firma Smartmatic und es gibt zwei Klagen von Einzelpersonen», sagt er «News Nation». «Jemand von Tucker Carlsons Produzenten-Team hat offenbar einiges gefilmt.»

Nun will die Produzentin Geld, oder sie klagt oder veröffentlicht die Aufnahmen, erklärt der 73-Jährige. «Und die Tapes sind nicht gut für die Sache des Senders.» Dann ist da noch der frühere Trump-Anhänger Ray Epps, der nun zur Zielscheibe rechter Anhänger von Verschwörungstheorien geworden ist. «Er versucht, mein Leben zu zerstören», sagt er bei «60 Minutes» über Tucker Carlson. Hier droht die nächste Klage.

CNN entlässt Don Lemon
FILE - Don Lemon attends the 15th annual CNN Heroes All-Star Tribute at the American Museum of Natural History on Sunday, Dec. 12, 2021, in New York. (Photo by Evan Agostini/Invision/AP, File)
Evan Agostini/Invision/AP

«Ich wurde heute Morgen von meinem Agenten informiert, dass ich von CNN entlassen wurde», teilt Don Lemon mit. «Ich bin fassungslos.» Nach 17 Jahren hat CNN den Moderator entlassen. Um ihn war zuletzt eine Sexismus-Diskussion entbrannt. Die dürftige Einschaltquote seiner Show dürfte ein weiterer Grund für die Demission sein.

Das alles könnte Rupert Murdoch, seine Fox Corp. und deren Aktionäre weitere Millionen kosten – und dafür muss jemand zahlen: Tucker Carlson ist prominent und beliebt, aber eben auch toxisch. Statt «Tucker Carlson Tonight» heisst es nun vorerst «Fox News Tonight», wobei wechselnde Moderatoren durch die Sendung führen sollen.

Deine Meinung interessiert uns

Schreib einen Kommentar zum Thema.