Spaltung als GeschäftsmodellWie Fox News Amerika Anstand und Vernunft ausgetrieben hat
Von Jan-Niklas Jäger
19.4.2023
Durch eine Schadensersatzzahlung entgeht Fox News der Fortsetzung des gegen den Sender laufenden Verleumdungsprozesses. Das einfluss- wie folgenreiche Geschäftsmodell bleibt damit unberührt.
Von Jan-Niklas Jäger
19.04.2023, 19:54
Von Jan-Niklas Jäger
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
Nach einer aussergerichtlichen Einigung leistet der Wahlmaschinen-Firma Dominion eine Schadensersatzzahlung von 787,5 Millionen Dollar.
Moderator*innen des Senders hatten behauptet, Wahlautomaten der Firma seinen manipuliert worden, um die Präsidentschaftswahl 2020 für den Demokraten Joe Biden zu entscheiden.
Fox News ist einst mit dem bewussten Ziel angetreten, objektive Berichterstattung mit meinungsbasierten, konservativen Inhalten zu ersetzen.
Damit ebnete der Sender nicht nur Donald Trump den Weg ins Weisse Haus. Auch den Demokraten nahestehende Medienhäuser berichten heute vor allem meinungsbasiert.
Der spektakuläre Prozess, in dem sich Fox News wegen Verleumdung verantworten musste, hat ein Ende ausserhalb des Gerichtssaals gefunden. 787,5 Millionen Dollar muss der ultrakonservative Nachrichtensender der Wahlautomaten-Firma Dominion laut einer aussergerichtlichen Vereinbarung zahlen.
Auslöser des Prozesses war die vor allem unter den Anhängern des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump beliebte Behauptung, dieser habe die Wahl 2020 nur wegen Wahlmanipulation – etwa an den von Dominion hergestellten Automaten – verloren. Diese Behauptung wurde auch von Fox-News-Moderator*innen wie Tucker Carlson oder Maria Bartiromo verbreitet.
Die Klage basierte auf dem Geschäftsmodell
Die Verbreitung dieser Theorie allein stellt allerdings kein Verbrechen dar. Sie ist von der Meinungsfreiheit gedeckt – allerdings nur, wenn es sich dabei um eine tatsächliche Meinungsäusserung handelt.
Zuletzt hatten sich die Hinweise verdichtet, dass Fox News selbst nichts von Trumps Anschuldigungen hielt – sie aber dennoch verbreitete, weil sich das als profitabel erweisen würde.
Diese Vorgehensweise entspricht dem Geschäftsmodell, mit dem Fox News einst in den Neunzigerjahren auf Sendung ging – und das bis heute weitreichende Konsequenzen für die US-Gesellschaft hat.
Politische Einflussnahme
Weder die Medienlandschaft noch der politische Diskurs blieben von der Geschäftspraxis des Senders unberührt, die die Polarisierung des Landes intensivierte und postfaktisches Denken in journalistischer Berichterstattung legitimierte.
Der australische Medienmogul Rupert Murdoch gründete Fox News 1996 als konservative Alternative zu als liberal geltenden Sendern wie CNN und MSNBC.
Als ersten Geschäftsführer heuerte Murdoch Roger Ailes an, einen ehemaligen Berater Ronald Reagans und George Bushs. «Die Nachrichten sind wie ein Schiff», hat Ailes einmal gesagt. «Wenn man das Steuer loslässt, driftet es nach links ab.» Diese Aussage lässt wenig Spielraum zu: Laut dem Fox-News-Chef muss ein Medienunternehmen das Steuer selbst in die Hand nehmen – und gegensteuern.
Mit subjektiven Berichten an die Spitze
Fox News hinterfragte unverblümt das journalistische Objektivitätsgebot. Tatsächlich gab es anfangs zahlreiche Bedenken Aussenstehender, ob ein Geschäftsmodell, das sich nur auf eine bestimmte Anzahl potenzieller Nachrichtenzuschauer*innen konzentriert – eben auf den konservativen Teil – sich als lukrativ erweisen könne.
Schliesslich standen hinter dem bisherigen Ansatz, die Nachrichten möglichst objektiv zu präsentieren, auch geschäftliche Überlegungen: Wer das komplette politische Spektrum anspricht, vergrössert sein potenzielles Publikum. Es einzuschränken, wirkte wie eine schlechte Idee auf viele alteingesessene Medienmacher*innen.
Doch der Erfolg gab Ailes und Murdoch recht: 2002 überholte Fox News die liberale Konkurrenz und wurde zum am meisten eingeschalteten Nachrichtensender der USA – diese Position konnte der Sender seitdem, von wenigen Unterbrechungen abgesehen, halten.
Aufreger statt politischer Berichte
Ein wichtiger Bestandteil der Fox-News-Strategie ist, dass ein Sender, der einen bestimmten Typ Zuschauer ansprechen will, diesem liefern muss, was er erwartet. Statt neue Informationen bereitzustellen, schickten sich Moderatoren wie Bill O’Reilly an, ihr Publikum in ihren bereits gefestigten Standpunkten zu bestärken.
Die Sendungen knüpften dabei an eine Dynamik an, mit der die Republikanische Partei bereits politische Erfolge erzielen konnte: Mit einer Verlagerung ihrer Wahlkampfthemen zu kulturellen Streitthemen wie Waffenrechten, Abtreibung oder der Ehe gleichgeschlechtlicher Paare sprachen Partei und Sender eine breite Masse von Amerikaner*innen an, die sich als von der liberalen Elite im Stich gelassen betrachteten. Handfeste politische Themen wurden ausgespart.
Gefühle verkaufen sich besser als Fakten
Während also die Republikaner Wirtschaftspolitik im Sinne der grossen Firmen und Unternehmer machten, konzentrierte sich Fox News auf die neuesten Exzesse des liberalen Establishments, um Empörung zu generieren.
Sensationalismus als Erfolgskonzept, ganz getreu eines weiteren Mottos von Ailes: «Wenn zwei Politiker auf einer Bühne stehen und der eine sagt: ‹Ich kann den Nahostkonflikt lösen› und der andere fällt in den Orchestergraben – wer, glauben Sie, wird in den Abendnachrichten landen?»
Fox News hatte verstanden, dass sich Gefühle besser verkauften als Fakten. Und antizipierte damit das Jahr 2016, in dem Donald Trump mit der Erkenntnis, dass das auch für den Wahlkampf gilt, die Präsidentschaftswahl für sich entschied. Trump machte aufsehenerregende Aussagen, nur um später zu bestreiten, sie getätigt zu haben.
Liberale Medien taten es Fox News gleich
Doch weil er sich gegen ein Establishment stellte, das das politische Narrativ bis dahin fest in der Hand hielt – selbst Fox News stellte sich ursprünglich gegen Trump –, überwog das Gefühl, dass er recht haben müsse. Der Postfaktizismus war vom sensationalistischen Fernsehstudio ins Weisse Haus gelangt.
Spätestens nach Trumps Wahl gaben auch liberale Medienhäuser das Objektivitätsgebot auf. «Ich glaube daran, ehrlich zu sein, aber nicht neutral», verkündete die internationale Chefkorrespondentin Christiane Amanpour.
Erst im vergangenen Jahr argumentierte die «Washington Post», dass Objektivität im Journalismus ausgedient habe, weil sie bestehende Machtstrukturen stärken würde. Um an Roger Ailes' Vergleich des Nachrichtenbetriebs mit einem Schiff anzuknüpfen: Die liberale Presse ist nun auch zu dem Schluss gekommen, gegensteuern zu müssen – nur eben in die andere Richtung.
Ein gespaltenes Land
Liberale Moderator*innen wie Rachel Maddow oder Mehdi Hasan ergreifen heute unverblümt Partei für die Demokraten, konservative wie Tucker Carlson und Sean Hannity sind mehr als je zuvor dem Fox-News-Modell verpflichtet, für die Republikaner einzustehen.
Konservative Gäste sind in liberalen Talkshows eine genauso grosse Rarität wie umgekehrt. Die Amerikaner*innen haben verlernt, miteinander zu sprechen – und Fox News leistete in dieser Hinsicht Pionierarbeit.
Dass Fox News mit der Schadenersatzzahlung nun einem öffentlichkeitswirksamen Gerichtsprozess sowie der Verpflichtung zu einer öffentlichen Entschuldigung entkommen ist, spielt dem Sender in die Hände: Das postfaktische Geschäftsmodell bleibt so unbefleckt.
Das Geld selbst ist lediglich eine besonders hohe Investition in dieses Modell – das weiterhin Top-Einschaltquoten generieren wird.