US-WahlenTaiwan hofft weiter auf einen Sieg von Trump – und fürchtet sich vor Biden
Von Sven Hauberg
23.12.2020
Ein Präsident Biden als Angstszenario: Was in Europa absurd anmutet, ist in Taiwan Realität. Denn die Inselrepublik hat Donald Trump einiges zu verdanken.
Donald Trump hat die Wahl gewonnen. Glaubt zumindest Donald Trump. Und mit ihm verbreiten Millionen seiner amerikanischen Landsleute das Lügenmärchen von der gestohlenen Wahl. Ausserhalb der USA aber muss man lange suchen, um Unterstützer des abgewählten US-Präsidenten zu suchen. Nur in Taiwan, der Inselrepublik vor der Küste Chinas, ist die Erzählung vom falschen Wahlsieg Joe Bidens seltsam präsent. Am vergangenen Wochenende etwa, meldete die «Taipei Times», gingen in der Hauptstadt Taipeh Tausende Menschen auf die Strasse, um für Trump zu demonstrieren.
«Taiwan kämpft für Trump» ist auf einem Plakat zu lesen, auf einem anderen prangt der Spruch «Make America Great Again». Nun ist Taiwan nicht irgendeine Bananenrepublik, sondern eine gefestigte Demokratie mit freier Presse. Wie also erklärt sich diese Unterstützung für einen Politiker, der sich allen Gerichtsurteilen zum Trotz wie ein Despot an sein verlorenes Amt klammert?
Die Liebe vieler Taiwaner zu Donald Trump begann am 2. Dezember 2016. Wenige Wochen zuvor hatte Trump die Präsidentschaftswahlen gewonnen, Regierungschefs aus aller Welt gratulierten dem Republikaner – wenn auch bisweilen eher widerwillig – zum Wahlsieg. An jenem 2. Dezember erhielt Trump auch einen Anruf aus Taipeh. Am Telefon: Tsai Ing-wen, die einige Monate zuvor zur neuen taiwanischen Präsidentin gewählt worden war. Tsai, so schrieb Trump kurz nach dem Telefonat auf Twitter, habe ihm zur gewonnenen Wahl gratuliert – «Danke!»
Zehn Minuten, die Geschichte schrieben
Zehn Minuten dauerte das Gespräch zwischen den beiden Politikern – zehn Minuten, die Geschichte schrieben. Denn erstmals seit 1979 hatten zwei Präsidenten beider Länder wieder miteinander gesprochen. Als Trump wenig später offenbar klar wurde, was er da getan hatte, rechtfertigte er sich. Wenn die USA Rüstungsgüter im Wert von vielen Milliarden Dollar an Taiwan verkaufen, so Trump, warum dürfe er dann nicht auch einen Anruf mit Glückwünschen entgegennehmen?
Das Gespräch war der Auftakt zu mehreren hochrangigen Kontakten zwischen den beiden Ländern. Vor allem in den letzten Monaten reisten immer wieder US-Politiker auf die Insel, zuletzt Gesundheitsminister Alex Azar und Aussenstaatssekretär Keith Krach. Und dann wagte auch noch Aussenminister Pompeo die Behauptung, Taiwan sei kein Teil von China.
Nun sieht das freilich auch die Mehrheit der Taiwaner selbst so: Man sei ein von Peking unabhängiger Staat, entstanden nach der Niederlage der Nationalisten gegen die Kommunisten im Jahr 1949. Da könne Peking noch so oft behaupten, die Insel sei lediglich eine abtrünnige Provinz. Nur: Die amerikanische Staatsräson ist seit Jahrzehnten eine andere. 1971 erkannten die Vereinten Nationen Peking als rechtmässiges Mitglied an und setzen Taipeh vor die Türe, ohne nennenswerten Widerstand der USA. Ein Jahr später besuchte dann Präsident Nixon das kommunistische Regime.
Blosse Lippenbekenntnisse?
Zwar gelobte man später, Taiwan vor einem möglichen Angriff aus Festlandchina schützen zu wollen. Dass die USA im Notfall aber einen Krieg gegen Peking führen würden, das glaubte in Taipeh lange Zeit niemand. Trump aber liess im Sommer Flugzeugträger ins Südchinesische Meer entsenden und erhöhte während seiner Amtszeit das Volumen der Rüstungsdeals zwischen Washington und Taipeh drastisch.
Darüber hinaus hat man in Taipeh durchaus registriert, wie Trump in den letzten Jahren mit Peking umgesprungen ist. Erratisch zwar, aber doch bestimmt. Washington hat einen Handelskrieg mit China vom Zaun gebrochen, während der Corona-Pandemie hat sich das Verhältnis zwischen den beiden Ländern weiter abgekühlt. Trump macht keinen Hehl daraus, wer seiner Meinung nach schuld ist an den vielen Corona-Toten in seinem Land – nicht er, sondern der chinesische Staats- und Regierungschef Xi Jinping. Da übersieht man in Taipeh gerne, dass sich Trump noch 2017 gegenüber Xi zur Ein-China-Politik bekannt hatte.
So überrascht es nicht, dass Präsidentin Tsai noch im August jubelte, die Beziehungen zwischen Taiwan und den USA seien «nie enger gewesen». Und einige Tagen vor der US-Wahl ergab dann gar eine Umfrage, dass mehr als die Hälfte der Taiwaner Donald Trump einen Sieg wünschten. Zum Vergleich: In der Schweiz drückten nur 13 Prozent der Bürger dem Amtsinhaber die Daumen.
Vorbildliche Corona-Politik
Nun glaubt Tsai Ing-wen wohl kaum, dass sich das Blatt noch zugunsten von Trump wenden könnte. Entsprechend wandte sich die taiwanische Präsidentin in den letzten Wochen mehrfach in Videoansprachen an hochrangige US-Politiker, um ihre Botschaft loszuwerden, dass ihr Land auch unter einem Präsidenten Biden bitte schön im Konflikt mit Peking unterstützt werden solle.
Tatsächlich steht Taiwan international derzeit so gut da wie selten zuvor. Während China als mutmasslicher Ausbruchsort des Coronavirus viele Sympathien verspielt hat, erhält Taiwan immer wieder Lob für sein entschlossenes Auftreten in der Krise. Das Land mit seinen 23,5 Millionen Einwohnern gilt als Musterbeispiel der Pandemiebekämpfung. Seit dem 12. April galt das Virus in dem Land als besiegt, zuletzt wurde nur ein neuer Fall bekannt. Anders als China hatte Taiwan die Pandemie mit den Mitteln eines demokratischen Staates in den Griff bekommen.
Joe Biden dürfte das wohl ähnlich sehen. Und auch im Handelskonflikt mit China setzt der 78-Jährige bisweilen auf scharfe Töne, bezeichnete Xi Jinping sogar als «Ganoven». Dennoch zweifelt manch Beobachter in Taiwan, dass sich der Demokrat als verlässlicher Partner erweisen wird. Als Senator hatte Biden mitgeholfen, dass China Mitglied der Welthandelsorganisation wurde, und so den wirtschaftlichen und politischen Aufstieg des Landes mit befördert. An seiner Seite damals und treibende Kraft bei dieser Aufwertung Pekings: Steve Ricchetti, den Biden nun in sein Beraterteam geholt hat.
Und dann ist da noch Antony Blinken, jener Mann, der im Januar wohl Bidens Aussenminister wird. Die Art und Weise, wie Washington und Peking die Taiwan-Frage in den vergangenen Jahrzehnten geregelt haben, sei eine «Erfolgsgeschichte», tönte Blinken im Sommer. In Taipeh kommen solche Äusserungen schlecht an – und treiben die Menschen in die Arme von Donald Trump.