Rückzug, Putsch oder Machtübernahme So könnte der Krieg in der Ukraine enden

Von Anne Funk

3.3.2022

Getötete Zivilisten: russische Armee setzt Angriffe auf ukrainische Ziele fort

Getötete Zivilisten: russische Armee setzt Angriffe auf ukrainische Ziele fort

Aufnahmen von Bergungsarbeiten aus der zweitgrössten Stadt Charkiw nach russischem Beschuss zeigen Tote, die mit den Füssen voran aus den Trümmern ihrer Wohnungen getragen werden.

02.03.2022

Ein Krieg in Europa, angezettelt von Wladimir Putin. Was lange für unmöglich gehalten wurde, ist traurige Realität. Doch wie geht es nun weiter, ist ein Ende in Sicht? 

Von Anne Funk

Eine Woche ist es her, dass Wladimir Putins Truppen die Ukraine angegriffen haben. Schockiert blickt die Welt auf die Geschehnisse und fragt sich, wie ein Ende des Krieges, der schon jetzt so viel Leid mit sich gebracht hat, herbeizuführen ist.

Weltweit demonstrieren Menschen für den Frieden in der Ukraine. Doch wie wahrscheinlich ist ein baldiges Ende des Krieges?
Weltweit demonstrieren Menschen für den Frieden in der Ukraine. Doch wie wahrscheinlich ist ein baldiges Ende des Krieges?
Bild: Keystone/EPA/Sohail Shahzad 

Doch die Lage ist kompliziert. Experten und Beobachter vermuteten bald, dass man sich auf lange andauernde Kämpfe einstellen muss. Denn: Die Initiative, den Krieg zu beenden, liege eindeutig bei Russland, stellt Sicherheitsexperte Markus Kaim im Gespräch mit «BR24» klar.

Kann es zu einer baldigen Lösung des Konflikts kommen? Und falls ja, wie könnte diese aussehen? Folgende Szenarien wären denkbar.

Szenario 1: Es kommt zur Einigung 

Den Krieg mit einer Einigung zu beenden, vielleicht sogar alsbald einen Friedensvertrag zu unterschreiben, dieses Szenario ist wohl das Wünschenswerteste. Doch wie wahrscheinlich ist es, dass Moskau und Kiew tatsächlich zu einem Konsens kommen?

Bereits vier Tage nach Kriegsbeginn war man in Belarus zu ersten Gesprächen zusammengekommen, eine ukrainische und eine russische Delegation trafen sich zu Verhandlungen. Ein gutes Zeichen? Bedingt. Zumindest könnte man das Treffen als Indiz sehen, dass auch Putin an einem schnellen Ende interessiert ist.

Gerhard Mangott, Politikwissenschaftler an der Universität Innsbruck, enttarnt darin im Gespräch mit dem «Standard» aber politische Absicht. «Moskau will seiner Bevölkerung kommunizieren, dass man natürlich eine Verhandlungslösung suche und dass man diesen Krieg, der Russland aufgezwungen worden sei, eigentlich nicht wolle.» 

Dass es tatsächlich zu einer Einigung kommen könnte, schätzt Mangott als nicht sehr wahrscheinlich ein. Zumindest nicht, wenn Putin sein Gesicht wahren will. «Ich kann es mir nicht vorstellen, weil Putin am Ende jedenfalls mehr bekommen müsste, als er vor Beginn des Kriegs gehabt hat», so der Politologe. Bereits erreichte Territorialgewinne wieder aufzugeben, käme für Putin einer dramatischen Niederlage gleich. 

Szenario 2: Putin zieht sich zurück

Ein weiteres denkbares Szenario wäre, dass Wladimir Putin aufgrund der Aussichtslosigkeit seines Vorhabens den Rückzug seiner Truppen befiehlt. Doch der Rückzug wird an Bedingungen geknüpft sein, das machte der Kreml-Chef bereits vor wenigen Tagen deutlich. Seine Forderung: die vollständige Entmilitarisierung der Ukraine und die Anerkennung der Halbinsel Krim als russisches Territorium. 

Dass die Ukraine auf diese Forderungen eingehen wird, ist sehr unwahrscheinlich. Für den selbstständigen Staat käme dies der Kapitulation und Selbstaufgabe gleich.

Szenario 3: Russland übernimmt die Macht in der Ukraine 

Putin ist die demokratisch gewählte Regierung der Ukraine ein Dorn im Auge, besonders auf Staatspräsident Wolodymyr Selenskyj hat er es abgesehen. Sein Ziel: die Regierung stürzen, das hat er mit seiner Rhetorik der «Entnazifizierung» mehr als deutlich gemacht.

Dass ihm das gelingen wird, sieht Herfried Münkler, emeritierte Professor für Theorie der Politik an der Humboldt-Universität, als sehr wahrscheinliches Szenario an, wie er im Interview mit der «Zeit» verdeutlicht. Die Ukraine sei seiner Meinung nach «verloren». «Die Russen werden sie besetzen.»

Gerhard Mangott sieht im Sturz der ukrainischen Regierung und in der Übernahme durch Russland dagegen keine langfristige Lösung. Sicher werde man versuchen, eine neue Regierung, die Moskau hörig ist, einzusetzen. Doch diese «Marionettenregierung» würde nur so lange funktionieren, wie die Besatzung andauere. In der Ukraine gebe es keine Mehrheit für eine russlandfreundliche Regierung. 

Szenario 4: Ein Sturz Putins

Ein Ende des Krieges wäre auch durch den Sturz des Aggressors möglich. Davon ist unter anderem der US-Historiker Aaron Astor überzeugt. «Es wird nicht durch eine externe militärische Invasion in Russland geschehen. Es wird eine Meuterei und ein interner Zusammenbruch sein, der Putins Regime zu Fall bringen wird. Es wird nicht über Nacht geschehen, aber es wird geschehen», schreibt Astor auf Twitter.

Doch eine tatsächliche Opposition gegen den Krieg, die gegen Putin tätig werden könnte, ist aktuell mehr Wunsch als Fakt. Zwar habe es vor dem Einmarsch der Truppen durchaus zwei Lager im Kreml gegeben, erklärt Mangott beim «Standard». Allerdings sei es dabei eher um die wirtschaftlichen Sanktionen gegangen, die man zu vermeiden versuchte. Der Sicherheitsapparat werde sich wohl kaum gegen Putin erheben. 

Druck könnte allerdings die russische Öffentlichkeit ausüben, die in der Mehrheit gegen diesen Krieg ist und das auch kundtut. Das wird sich laut Mangott auch weiter verstärken, doch «eine Revolte von unten sehe ich nicht».

Szenario 5: Die Lage eskaliert

An einen raschen Friedensschluss glauben einige Experten nicht, sogar von einem langwierigen Kräftemessen und einer Eskalation der Lage ist die Rede. 

Die Ukraine werde zwar vom Ausland unterstützt, könne gegen das russische Militär aber langfristig nicht zurückschlagen. Stattdessen würden die Kampfhandlungen in einen Guerillakrieg münden. Der frühere US-Generalleutnant Mark Hertling erklärte bei CNN, dass der Krieg seiner Meinung nach lang andauern werde. Doch: «Ob man es nun einen ‹Aufstand› oder einen ‹Guerillakrieg› nennt, die Ukraine wird den Feind zermürben.»

Auch Sicherheitsexperte Markus Kaim glaubt im Interview mit «BR24» nicht an einen raschen Friedensschluss. Von russischer Seite sei eine Intensivierung der Kampfhandlung inklusive des Einsatzes von aggressiven Waffensystemen denkbar. Doch durch die dadurch wachsende Zahl der Opfer würden sich die Bilder des Krieges weiter verbreiten, auch in Russland. Mehr und mehr Russen würden aufbegehren, das russische Vorgehen werde erst recht delegitimiert.

Dass es aber zu einem Angriff Putins auf Nato-Staaten kommen werde, damit sei laut Herfried Münkler nicht zu rechnen. Was allerdings im Bereich des Möglichen sei, wären Angriffe auf Finnland und Schweden, die nicht Teil der Nato sind. Russland läge seiner Aussage nach daran, dass die beiden Staaten neutral blieben und nicht dem nordatlantischen Verteidigungsbündnis angehören.