Das abstürzende Flugzeug, in dem Wagner-Chef Prigoschin gesessen haben soll
Im Video ist zu sehen, wie ein Flugzeug fast senkrecht in Richtung Boden rast. Angeblich handelt es sich um Jewgeni Prigoschins Privat-Jet, in dem sich dieser und weitere Wagner-Kader befunden haben sollen.
24.08.2023
Gerade noch lagen in Bachmut Russlands Hoffnungen alleine auf Jewgeni Prigoschin und seiner Gruppe Wagner, nun ist der Söldner-Boss angeblich tot. Ein militärischer Verlust ist auch der Wegfall von Sergei Surowikin.
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
- Vor wenigen Monaten galt Jewgeni Prigoschin noch als einzige Hoffnung, um Bachmut endlich für Russland erobern zu können.
- Seit Juni spielt Prigoschins Gruppe Wagner in der Ukraine aber keine Rolle mehr.
- General Sergei Surowikin soll seit Wochen unter Hausarrest stehen. Er war im Zuge des Wagner-Aufstands in Ungnade gefallen, weil er als Unterstützer Prigoschins gilt.
- Surowikin war zwischen dem 8. Oktober 2022 und 11. Januar 2023 Oberbefehlshaber der russischen Truppen in der Ukraine.
- Er hat die Surowikin-Verteidigungslinie hochgezogen und den Rückzug aus Cherson organisiert, der so gut war, dass er Lehrstoff für angehende Militärs werden wird, schätzt ein Experte.
- Zum Verlust der beiden Militärführer sagt ein Yale-Professor: «So gewinnt man keinen Krieg.»
Vor einem Jahr sieht die Welt für Jewgeni Prigoschin und seine Gruppe Wagner noch ganz anders aus. Im August 2022 macht die Privatarmee Schlagzeilen, weil sie in der Schlacht um Soledar und in jener um Bachmut an vorderster Front steht.
Die militärische Führung hält offenbar die Gruppe Wagner für fähiger als die reguläre Armee, entscheidende Ergebnisse und entsprechende Erfolgsmeldungen zu produzieren, die Moskau in jenen Tagen so dringend braucht. Die Gegenseite feiert zum Beispiel, dass ukrainische Streitkräfte am 14. August ein Wagner-Hauptquartier in Popasna zerstören, nachdem ein Russe auf Telegram Bilder davon gepostet hat.
Heute spielt Wagner in der Ukraine keine Rolle mehr, obwohl sich Prigoschins Taktik in Bachmut letztendlich ausgezahlt hat: Der 62-Jährige hat jede Menge Sträflinge als Schocktruppen eingesetzt, um die ukrainischen Verteidiger zu zermürben. Auch wenn die Privatarmee augenscheinlich schlagkräftiger ist als andere Kreml-Truppen, ist sie schon im Juni von der Front abgezogen worden.
Der steile Abstieg von «General Armageddon»
Bei dem Absturz von Prigoschins Business-Jet hat Russland also einen fähigen Militär-Führer verloren, der offensichtlich für den Aufstand seiner Söldner exakt zwei Monate später bezahlen musste. Am 23. August wird gleichzeitig bekannt, dass General Sergei Surowikin seines Amtes enthoben wird: Er ist bis dato noch Chef der Luft- und Weltraumkräfte. Generaloberst Viktor Afsalow übernimmt nun kommissarisch.
Der 56-Jährige ist wie Prigoschin im Kontext des Wagner-Aufstandes in Ungnade gefallen. Der Mann aus Nowosibirsk hat mit Blick auf seine Karriere einen bemerkenswerten Abstieg hingelegt, nachdem er am 8. Oktober 2022 zum Oberbefehlshaber der russischen Streitkräfte in der Ukraine ernannt wird. In dieser Funktion ist Surowikin erstaunlich effektiv.
Der General befiehlt konstante Angriffe auf das ukrainische Stromnetz. Gleichzeitig lässt er im Oblast Cherson weitsichtig Verteidigungsgräben ausheben: Diese «Surowikin-Linie» wird nun bei der aktuellen ukrainischen Gegenoffensive erreicht – und erfüllt ihren Zweck.
Cherson-Rückzug «wird in West Point gelehrt werden»
In den wenigen Wochen, in denen Surowikin am Ruder ist, gelingt ihm in Cherson auch sein grösster Coup: Es geht um den Rückzug der russischen Armee vom rechten, westlichen Ufer des Dnjepr. «General Surowikins Überquerung des Flusses wird in den kommenden 20 Jahren in [der amerikanischen Militärakademie] West Point gelehrt werden», ordnet der US-Sicherheitsexperte Ryan McBeth den Vorgang ein.
Warum? «Der Typ war in der Lage, den Fluss zu überqueren und eine Passage of lines durchzuziehen – das sind die beiden schwersten Dinge, die eine Einheit tun kann.» Passage of lines meint den Vorstoss oder Abzug einer sich bewegenden Einheit durch ein Gebiet mit einer stehenden Einheit. «Sie haben das geschafft und damit viele Leben und Ausrüstung gerettet», so McBeth.
Dass die russische Armee beim Rückzug über den Fluss im November 2022 nicht sehr viel mehr Einheiten verloren hat, ist im Nachhinein wirklich eine Glanzleistung. Doch der Kreml sieht das augenscheinlich anders: Am 11. Januar 2023 – keine drei Monate nach seiner Beförderung – übernimmt Oberbefehlshaber Waleri Gerassimow die Führung der Invasionstruppen.
Surowikin soll «vergessen» werden
Danach wird es still um Surowikin, der wegen seines rücksichtslosen und brutalen Vorgehens in Tschetschenien und Syrien «General Amargeddon» genannt wird. Während des Wagner-Aufstandes meldet er sich zum bisher letzten Mal öffentlich zu Wort – und beschwört darin Prigoschin, von seinem Vorhaben abzurücken.
Nun berichtet der Telegram-Kanal VChK-OGPU, der Quellen im Sicherheitsapparat haben soll, dass Surowikin schon seit Wochen unter Hausarrest stehe. Nur sein Adjutant hat ihn demnach besuchen dürfen. «Er selbst und seine Verwandten sind jetzt im ‹Schweigemodus›, denn Surowikin wurde geraten, dafür zu sorgen, dass er ‹vergessen› wird.» Putin selbst soll das veranlasst haben.
Während die Vorgänge der Macht des Präsidenten zuträglich sein könnten, verliert Putin mit Prigoschin und Surowikin militärisches Spitzenpersonal. «So gewinnt man keinen Krieg», glaubt der Historiker Timothy Snyder von der Universität Yale. Nicht zuletzt weil beiden Russen Kriegsverbrechen vorgeworfen werden, wird sich die Ukraine über diese Verluste freuen.