Wegen VaterschaftsklagenBlauhelmsoldaten im Visier – doch die UNO ist machtlos
twei
14.1.2025
Unrühmlicher Rekord für die UNO-Blauhelmtruppen: Nie gerieten mehr Soldaten ins Visier von Vaterschaftsklagen als 2023. Nicht nur Generalsekretär Guterres schlägt deswegen Alarm. Doch der UNO fehlt eine wichtige Handhabe.
twei
14.01.2025, 19:38
Julian Weinberger
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
Eigentlich sollte die Blauhelmsoldaten der UNO auf ihren Friedensmissionen in aller Welt Menschen beschützen.
Doch eine Minderheit von Soldaten nutzt ihre privilegierte Situation aus, um Frauen auszubeuten. Wie eine Untersuchung der UNO zeigt, bleiben diese oft mit ihren Kindern zurück.
Entschädigungsmechanismen funktionieren schlecht, die Klagen haben selten Aussicht auf Erfolg. Doch der UNO fehlt schlichtweg die Handhabe.
29 von 750: Dass das ein verschwindend geringer Anteil ist, dafür braucht es keine grossartigen mathematischen Fähigkeiten – gerade einmal 3,9 Prozent. Dieser Anteil umfasst die erfolgreichen Vaterschaftsklagen gegen UNO-Blauhelmsoldaten. Seit 2006 werden die Zahlen von den Vereinten Nationen erfasst. Seit kurzem sind sie in einem öffentlich zugänglichen Dashboard aufbereitet.
Dieses verdeutlicht nicht nur, dass besonders in afrikanischen Ländern – allen voran Südafrika – Frauen betroffen sind. Es offenbart auch, dass knapp 69 Prozent der Verfahren mit noch offenem Ausgang laufen, teilweise seit mehr als einem Jahrzehnt.
Eine weitere Erkenntnis: Seit Beginn der Aufzeichnungen wurden nie so viele Fälle erfasst wie 2023, wo 109 Frauen juristischen Beistand ersuchten.
«Katastrophenopfer» klagt ihre Leidensgeschichte
«Ich habe alles verloren und wurde zu einem Katastrophenopfer», schilderte nun eine der Frauen dem Blog «Passblue» ihre Leidensgeschichte. In einem Friedencamp der UNO in der Demokratischen Republik Kongo wurde sie von einem Friedenssoldaten geschwängert. Das ist 20 Jahre her.
Als «Wiedergutmachung» erhielt Agnès (anonymisiert) gerade einmal 100 US-Dollar von der UNO, mit denen sie ein Restaurant eröffnete. Dort arbeitet heute auch das Kind, das unter der Vaterlosigkeit leidet: «Das Fehlen dieser Zuneigung bereitet mir Schmerzen.»
Fälle wie der von Agnès stehen exemplarisch für ein krankendes System, das eine Minderheit seit Jahren ausnutzt. Bei den obersten UNO-Entscheidern ist das Problem identifiziert. «Es ist unentschuldbar, wenn UNO-Vertreter ihre Rolle missbrauchen, um jene auszunutzen, die sie schützen sollten», zeigte UNO-Generalsekretär António Guterres laut «SRF» klare Kante. «Kinder aus solchen Beziehungen werden oft stigmatisiert, leben in Unsicherheit und Armut.»
Guterres klagt: «Allein kann die UNO zu wenig ausrichten»
Christine Besong von der UNO-Blauhelmmission im Südsudan schliesst sich dem ohne Einwände an: «Potenzielle sexuelle Übeltäter müssen wissen, dass die UNO hart gegen sie vorgehen würde.» Doch der Konjunktiv in ihrer Aussage nimmt das eigentliche Problem schon vorneweg: So alarmistisch die Aussagen auch tönen mögen, fehlt der UNO eine konkrete Handhabe.
Da nutzen auch Nulltoleranzvorschriften, die sich die Institution seit langem auf die Fahnen geschrieben hat, nur bedingt etwas. Die UNO selbst kann keine Gerichtsverfahren einleiten. Das obliegt den Entsenderländern. Gleiches gilt für die vielfach geforderten DNA-Tests aller Blauhelmsoldaten bereits vor ihren Einsätzen.
«Allein kann die UNO zu wenig ausrichten. Die Regierungen müssen kooperieren», mahnt Guterres deswegen die Staaten zur Mithilfe. Problem: Die wenigsten davon lassen sich von dessen Worten beeindrucken, so eindringlich sie auch sein mögen. Ein Zwang ist einerseits nicht möglich, andererseits würde dieser die Bereitschaft der Staaten, überhaupt noch Blauhelmsoldaten zu entsenden, wohl negativ beeinflussen.
«Kärglich dotierter» UNO-Fonds kann Problem nicht lösen
Immerhin: Die UNO hat die Bildung eines Fonds angekündigt, der betroffenen Frauen und ihren Kindern finanziell unter die Arme greifen. Allein damit ist es aber nicht getan, was auch UNO-Vizegeneralsekretärin Catherine Pollard betont: «Der Fonds ist zu kärglich dotiert, um in allen Fällen zu helfen.»
Dem stimmt auch Alexandra Filiippova zu und nimmt die UNO in die Pflicht. Die Anwältin leitet das Institute for Justice and Democracy in Haiti und ist dort immer wieder mit Vaterschaftsklagen konfrontiert. «Die Hilfe wird unter dem Deckmantel der Wohltätigkeit geleistet», kritisierte sie gegenüber «Bluepass».
«Sie ist sehr begrenzt und behandelt diese Frauen nicht als Inhaberinnen von Rechten oder als Personen, die ein Recht auf elterliche Beiträge und Unterstützung haben.» Die geringen finanziellen Hilfen der UNO seien nicht mehr als «paternalistische Almosen», die die Wurzel des Problems nicht anpacken würden.