Closeup US-WahlenSo mischt der Schweizer Vinz Koller in den USA die Politik auf
Von René Sollberger, Carmel-by-the-Sea
10.10.2020
Viele Auslandschweizer in den USA mögen Donald Trump. Nicht so Vinz Koller. Der Politologe lebt seit über 30 Jahren in den Staaten, ist längst Doppelbürger – und steckt als Mitglied der Parteileitung der Demokraten im kalifornischen Bezirk Monterey mitten im Wahlkampf.
«Ich mag keine Prognose abgeben, ich bin ein gebranntes Kind», sagt mir Vinz Koller. Er blickt zurück auf die Wahlen vor vier Jahren. Damals hat niemand mit dem Aussenseiter Donald Trump gerechnet, auch er nicht. «Ich bin mir nicht so sicher wie vor vier Jahren, dass Trump verliert, obwohl seine Umfragewerte heute noch schlechter sind als damals.»
Soeben hat er die Abstimmungs- und Wahlunterlagen aus dem Briefkasten geholt. Koller ist 57-jährig und wohnt in Carmel, wo einst der damals parteilose Clint Eastwood Gemeindepräsident war.
Mitglied des Wahlleute-Gremiums
Der malerische, wohlhabende Ort mit knapp 4’000 Einwohnern an der kalifornischen Küste gehört zum Bezirk Monterey, und dort war Koller jahrelang Parteichef der Demokraten. Der studierte Politologe ist aber auch einer der 55 kalifornischen Wahlmänner (Electoral College). Das Gremium übermittelt nach alter Väter Sitte das Wahlergebnis nach Washington. Derzeit hat Koller alle Hände voll zu tun. Aber er nimmt sich Zeit, um mit mir zu reden.
Im Fokus: US-Wahlen 2020
Amerika wählt: «blue News» begleitet die heisse Phase des Duells um das Weisse Haus nicht nur mit dem Blick aus der Schweiz, sondern auch mit Berichten von Schweizer Journalisten, die in den USA leben. Trump oder Biden? Am 3. November wird gewählt – nicht nur der Präsident, sondern auch ein Drittel des Senats, das komplette Repräsentantenhaus sowie in elf Staaten der Gouverneur.
In Kalifornien könnten die Demokraten eigentlich auf der faulen Haut liegen, denn sie verfügen über eine komfortable Mehrheit von rund 75 Prozent im Parlament. Aber sie sind aktiv, und wie. Unzählige Freiwillige rufen Menschen in den Swing-States, den Wackelstaaten, an, um sie zur Wahl zu bewegen. Aus Kalifornien kommen mehr solcher Anrufe als aus dem ganzen Rest der USA, weiss Koller. Zeigt die Aktion Wirkung? «Wir können die Menschen nicht umstimmen, aber wir wollen sie motivieren, überhaupt zu wählen.»
Die Namen und Telefonnummern stammen aus öffentlichen und kommerziellen Datenbanken sowie aus sozialen Medien. «Man macht über die politische Gesinnung gewisse Annahmen, die meistens zutreffen.» Das machen auch die Republikaner so. Früher gingen mehr Wahlhelfer von Haus zu Haus, aber das Telefon und die elektronischen Kanäle werden immer wichtiger, besonders in Zeiten von Corona.
In den sozialen Netzwerken, vor allem in Facebook-Gruppen, fällt mir auf, dass Auslandschweizer mehrheitlich Trump unterstützen. Wehe man postet dort etwas gegen ihn oder die Trump-Fans. Koller hat schon vor vier Jahren mit Schweizer Medien über die damaligen Wahlen gesprochen und Trump als «inkompetenten Staatsfeind» bezeichnet. Bei Trump seien «totalitäre Züge vorhanden, die für dieses Land gefährlich sind», sagte er damals. Die Reaktionen anderer Eidgenossen aus dem In- und Ausland waren harsch: «Ich war erstaunt über die gehässigen Kommentare.»
Koller sucht nach Erklärungen für die Trump-freundlichen Schweizer in den USA. Er ist Politologe, müsste es also wissen. «Vielleicht ist das Bild etwas verzerrt, weil die Trump-Leute einfach sind lauter als die andern.»
«Alle Immigranten in einen Topf – so wie die SVP»
Aber Einwanderer neigten generell zur konservativen Seite. «Sie haben die Idee im Kopf, dass sie früher einmal rechtmässig gekommen sind, während heute viele illegal in die USA kämen. Sie werfen alle Immigranten in einen Topf, genau so wie Trump – oder so wie die SVP in der Schweiz.» Auch mit der Verklärung der Schweiz durch die meisten Auslandschweizer hat er Mühe, mit diesem «Bild der heilen Schweiz», als ob es keine Probleme gäbe.
Zurück in seine alte Heimat will er nicht. Damals ist er fürs Studium in die USA gekommen – und geblieben, «das hat sich so ergeben». Er liebt zwar seine Heimat und findet, die Schweiz mache vieles sehr gut – und auch besser als seine Wahlheimat. Aber er empfindet die Schweiz als zu eng, immer schon, «alles ist vorgespurt». Die USA seien spannender, «da bewegt sich wenigstens etwas, wenn auch nicht immer in der richtigen Richtung».
René Sollberger lebt seit 2013 in den USA, zuerst zwei Jahre in Boston, danach fünf Jahre in San Francisco, seit 2020 in Las Vegas. Er ist mit einer Amerikanerin verheiratet und arbeitet als Journalist mit Fokus auf Wirtschaft und Politik, früher u. a. bei «Cash», «Berner Zeitung» und «Handelszeitung».