Ukraine stark bei Drohnen Russlands Rüstung schwächelt, während Kiews überrascht 

Von Philipp Dahm

27.6.2023

Ukraine steigt zu drittgrösstem Rüstungsimporteur auf

Ukraine steigt zu drittgrösstem Rüstungsimporteur auf

Die Ukraine ist in Folge des russischen Angriffskriegs innerhalb eines Jahres zu einem der grössten Importeure von Rüstungsgütern weltweit geworden.

13.03.2023

Die russische Rüstungsindustrie ist im Sinkflug: Es fehlt an Technik und der Krieg diskreditiert die Ware. Die Folge: Grosskunde Indien wendet sich ab. Und die Ukraine? Schlägt sich besser als von vielen erwartet.

Von Philipp Dahm

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Russland Rüstungsindustrie hat sich zwischen 2015 und 2022 fast halbiert.
  • Das Fehlen von Chips, optischen Geräten und westlicher Technik bremst Moskau aus.
  • Grosskunde Indien wendet sich westlichen Waffenherstellern zu.
  • Die ukrainische Rüstungsindustrie ist ungleich kleiner, aber beweglicher.
  • Kiew überzeugt bei der Produktion von Drohnen und Triebwerken.

Russlands Rüstungsumsätze haben sich durch den Krieg in der Ukraine fast halbiert: Während Moskau 2015 noch Waffen im Wert von 15 Milliarden Dollar verkauft hat, waren es 2022 nur noch 8 Milliarden. Und das, obwohl es «klar ist, dass heutzutage das Gros der Waffen für den heimischen Bedarf der Streitkräfte» gebraucht werde, frohlockte Wladimir Putin.

Doch dieser Wert wird 2023 weiter sinken. Zum einen wird das entsprechende Gerät nicht mehr exportiert, zum anderen harzt die Produktion. Wegen der Sanktionen fehlen Halbleiter, optische Geräte und anderes Material für die Herstellung, die bisher aus dem Ausland kamen.

Bild aus besseren Zeiten: eine russische Rüstungsausstellung in Moskau im August 2014.
Bild aus besseren Zeiten: eine russische Rüstungsausstellung in Moskau im August 2014.
EPA

Hinzu kommt, dass viele qualifizierte Arbeitskräfte an die Front abgezogen worden sind: Angeblich fehlen der Rüstungsindustrie deshalb rund 20'000 Arbeitende. Und es wird bis Jahresende noch schlimmer: «2023 werden dem militärisch-industriellen Komplex 50'000 Spezialisten fehlen», prophezeit Alexander Safonow von der Kasanen Föderalen Universität.

Tatsächlich ist die Krise der Branche so gross, dass Russland Rüstungsgüter zurückkauft, die es bereits ausgeliefert hat. «Nikkei» berichtet unter Berufung auf Handelsstatistiken, dass etwa der Panzer-Produzent UralVagonZavod im Dezember Teile im Wert von 24 Millionen Dollar re-importiert hat. Konkret gehe es um 6775 Sicht-Teleskope und 200 Kameras.

Indien kauft jetzt Waffen im Westen

«Optische Geräte sind ein grosses Problem für Russlands militärisch-industriellen Komplex», weiss Oleg Ignatow von der Brüssler International Crisis Group. «Es ist plausibel, dass sie versuchen, auf diesem Weg optische Geräte zu bekommen.» Aus Indien sollen Komponenten zurückgeholt worden sein, mit denen Boden-Luft-Raketen bei Nacht ihr Ziel finden.

Apropos: Indien zählte lange zu den grössten Kunden der russischen Rüstungsindustrie, doch diese Zeiten sind offenbar vorbei. Ihr Anteil an den indischen Waffen-Importen sank zwischen 2017 und 2022 von satten 62 Prozent auf 45 Prozent. Neu-Delhi wendet sich offenbar von Moskau ab, weil andere Länder zuverlässiger Ware liefern, die qualitativ besser ist.

Französische Rafale statt russische Su-24: Indien reduziert den Anteil russischer Waffen.
Französische Rafale statt russische Su-24: Indien reduziert den Anteil russischer Waffen.
AP

So hat Frankreich seinen Anteil an den Waffen-Importen zwischen 2013 und 2022 um 489 Prozent gesteigert. Indien hat Paris zum Beispiel 62 Flugzeuge und vier U-Boote abgekauft. Auch Deutschland profitiert: Der Konzern ThyssenKrupp baut für 4,8 Milliarden Euro sechs weitere U-Boote für Indiens Marine. Das letzte U-Boot aus Russland, die INS Sindhurakshak, ist dagegen 2013 bei einem Unfall im Hafen von Mumbai gesunken.

T-90 auseinandergenommen

Nicht zuletzt macht auch die Ukraine Russland die Rüstungsgeschäfte kaputt. So haben Kiews Kräfte nicht nur die scheinbar unaufhaltsame Kinschal-Rakete entzaubert, sondern auch die neuesten russischen Panzer auseinandergenommen – und das Ergebnis genüsslich auf einer Pressekonferenz präsentiert.

Entzaubert: Ein T-90 Panzer im März in der Region Donezk.
Entzaubert: Ein T-90 Panzer im März in der Region Donezk.
EPA

Demnach liefert der Motor des T-90 nicht genug Kraft, um den 46-Tonnen-Koloss anzutreiben, die Elektronik bekommt bei Feuchtigkeit Probleme und die Feuerleitanlage funktioniert nur dank westlicher Technik, berichtet der ukrainische «Defense Express». Angeblich haben nun einige Kunden ihre millionenschweren T-90-Bestellungen storniert.

Und die Ukraine? Die ist total vom Westen abhängig, wenn man Wladimir Putin Glauben schenken will. Ihr eigenes Material sei praktisch aufgebraucht: «Da ist nichts übrig», weiss der 70-Jährige. «Alles, womit sie kämpfen, und alles, was sie benutzen, wird von aussen gebracht. Nun, so kann man nicht lange kämpfen.»

Ukrainische Rüstungsindustrie besser als erwartet

Doch da ist wohl der Wunsch Vater des Gedankens: Obwohl westliche Systeme wie die Panzerhaubitze 2000 aus Deutschland noch nicht lange im Einsatz sind, erfolgt die Wartung bereits im Land. Auch bei der Munition hat die ukrainische Rüstungsindustrie sich auf die neue Lage eingestellt.

Etwa bei Ukroboronprom: Die Firma will Geschossen im Nato-Fomat 155 Millimeter herstellen. «Wir arbeiten daran, zu lernen, wie man diese Munition macht, weil es kein Geheimnis ist, dass die Armee viele Artilleriesysteme dieses Kalibers hat», sagt Sprecherin Natalija Sad. 

Rheinmetall aus Deutschland könnte dem Unternehmen dabei helfen, heisst es. Ukroboronprom stellt nach eigener Aussage derzeit mehrere Zehntausend Projektile im Monat her und es würden stetig mehr. Die Ukraine ist ausserdem gut mit Drohnen: Erst Anfang Mai wird die neue Überwachungsdrohne Sirko vorgestellt.

Kiews Vorteil bei der Drohnen-Produktion

Ende des Monats stellen Ingenieure der 67. Mechanisierten Brigade die Kamikaze-Drohne Khrushch vor, die von einer Mutter-Drohne abgeworfen wird und eine Reichweite von 8 bis 10 Kilometer haben soll. Eine weitere Drohne, die 75 Kilogramm ganze 1000 Kilometer weit tragen kann, soll in der Entwicklung sein.

Die ukrainische Khrushch kann angeblich 3,5 Kilogramm Nutzlast tragen.
Die ukrainische Khrushch kann angeblich 3,5 Kilogramm Nutzlast tragen.
Brave Inventors

Und auch bei den grossen Drohnen mischt die Ukraine mit – und exportiert sogar: Der türkische Baykar-Konzern stattet einige seiner Drohnen mit ukrainischen Triebwerken aus. Die neue Akinci hat einen Antrieb der Firma Iwtschenko Progress aus Saporischschja. Die soll auch Ankaras geplanten Jet der 5. Generation, den TAI Kaan, aus der Türkei in die Luft bringen.

Die Kooperation mit Baykar geht noch weiter: Die Türken haben 2019 in der Ukraine die Tochterfirma LLC Avia Ventures gegründet, die bis 2025 eine Drohnen-Fabrik in dem Land bauen will. «Viel von der vorbereitenden Arbeit wird gerade gemacht», erklärt Baykar CEO Haluk Bayraktar «Defense News». «Im Juli soll die Baustelle Strom bekommen.» Knapp 100 Millionen Dollar würden investiert.

Das Beispiel macht Schule: Der britische Rüstungskonzern BAE Systems befindet sich offenbar in Gesprächen, um ebenfalls eine Produktion in der Ukraine einzurichten. «Wir sind bereit, ein regionales Zentrum für die Reparatur und Produktion verschiedener Typen von BAE Systems zu werden», wird Präsident Wolodymyr Selenskyj dazu zitiert.