Finnland will in die Nato «Putin unterlag einer gewaltigen Fehleinschätzung»

Von Gabriela Beck

12.5.2022

Russland – Finnlands Beitritt zur Nato ist definitiv eine Bedrohung

Russland – Finnlands Beitritt zur Nato ist definitiv eine Bedrohung

Eine Ausweitung des westlichen Militärbündnisses werde Europa und die Welt nicht stabiler machen, sagt der Sprecher des russischen Präsidialamtes, Dmitri Peskow.

12.05.2022

Mit einem Nato-Beitritt Finnlands verschiebt sich das Machtgefüge zwischen dem westlichen Militärbündnis und Russland. Was die Ursachen und die Konsequenzen sind, erklärt ein ETH-Experte.

Von Gabriela Beck

Wladimir Putin hat sich schwer verkalkuliert. Der russische Präsident rechnete mit einem Blitzkrieg im Nachbarland Ukraine und erwartete, dass ihn ein überrumpelter Westen ungeschoren davonkommen lassen würde. Zur Kriegsstrategie gehörte die Uneinigkeit der Nato-Mitgliedstaaten. Das Gegenteil ist eingetreten. Der Westen zeigt sich ungewohnt geeint.

Aus Sicht von Putin kommt es noch schlimmer: Nun wollen auch noch Finnland und Schweden dem westlichen Militärbündnis beitreten. Die Länder waren bisher stets bündnisfrei.

Dabei liegt ein Erstarken der Nato nicht im Geringsten im Interesse Putins. Wie kann es sein, dass er die Folgen seines Krieges nicht vorausgesehen hat?

«Putin unterlag einer gewaltigen Fehleinschätzung», sagt Lars-Erik Cederman, Politikwissenschaftler und Professor am Lehrstuhl für Internationale Konfliktforschung an der ETH Zürich, im Gespräch mit blue News. «Das rührt unter anderem daher, dass er in der Führungsschicht von aggressiven Nationalisten umgeben ist und gemässigte Stimmen nicht mehr zu ihm durchdringen.»

Allerdings müsse sich der russische Machthaber über die Reaktionen der Nordeuropäer auch nicht wundern, so Cederman weiter. Schliesslich habe Putin selbst wiederholt die Grenzen ausgetestet.

Wiederholte Verletzung des Luftraums

So drang erst Anfang Mai ein russisches Militärflugzeug kurzfristig in den schwedischen Luftraum ein. Das Verteidigungsministerium in Stockholm verurteilte den Vorfall als «vollkommen inakzeptabel». Kurz darauf verletzte ein russischer Militärhelikopter den Luftraum Finnlands, nachdem bereits Anfang April ein Transportflugzeug der russischen Armee kurz in den finnischen Luftraum vorgestossen war.

Putin hatte in der Vergangenheit stets vor einer Abkehr der nordischen Länder von ihrer Neutralität gewarnt und im Fall einer Bedrohung Russlands auch unverhohlen mit dem Einsatz von Atomwaffen gedroht.

Ein Nato-Beitritt Finnlands wäre nach Einschätzung der Führung in Moskau «eindeutig» eine Bedrohung für Russland. Wie Kreml-Sprecher Dmitri Peskow am Donnerstag erklärte, würde eine Ausweitung des Militärbündnisses und eine Nato-Annäherung an die russischen Grenzen «die Welt und unseren Kontinent nicht stabiler und sicherer machen».

«Schaut in den Spiegel», hielt der finnische Präsident Sauli Niinistö während eines Besuchs des britischen Premiers Boris Johnson in Helsinki dagegen. Russland habe sich den finnischen Nato-Beitritt selbst zuzuschreiben.

Unterschiedliche Ansichten der Experten

Konfliktforscher Cederman sieht das Säbelrasseln eher gelassen: «Die Spannungen werden geopolitisch zwar zunehmen, aber an der bestehenden Lage wird sich nicht viel ändern. In Kaliningrad sind ja bereits allem Anschein nach Nuklearwaffen stationiert.»

Wohingegen Matti Kari, ehemaliger stellvertretender Chef des finnischen Verteidigungsgeheimdienstes, beim Sender CNN weitere Übertretungen des finnischen Luftraums, eine Störung der Schifffahrt sowie gesteigerte Geheimdienstaktivitäten von russischer Seite als Reaktion auf einen Nato-Beitritt Finnlands prognostiziert. Russland habe bereits eine Fehlinformationskampagne gestartet: «Das Leitnarrativ bezeichnet Finnland als Nazi-Land, weil wir im Zweiten Weltkrieg an der Seite von Nazideutschland gegen die Sowjetunion gekämpft haben.»

Håkon Lunde Saxi, ausserordentlicher Professor am Norwegian Defence University College, schätzt, dass ein Nato-Beitritt Finnlands in einer militärischen Verstärkung entlang der Grenze zwischen Russland und dem dann zweitnördlichsten Nato-Mitglied resultieren würde, was «weder der europäischen noch der finnischen Sicherheit zuträglich wäre».

Schweden muss sich solidarisch zeigen

Der finnische Beschluss zum Nato-Beitritt hätte auch direkte Auswirkungen auf das Nachbarland Schweden, das nun seine Beitrittsdebatte intensiviert. «Schweden muss sich dem Nato-Beitritt Finnlands aus historisch bedingten Solidaritätsgründen anschliessen», erklärt Lars-Erik Cederman. Für die übrigen neutralen Länder Europas – die Schweiz, Österreich und Irland – gelte das nicht. «Dort ist die Lage entspannter, da sie nicht direkt an Russland angrenzen. Ich sehe deshalb keine Sogwirkung.»

Allerdings werden die Mitglieder der Nato nach Einschätzung des ETH-Experten ihre Zusammenarbeit in Zukunft intensivieren, zum Beispiel «indem sie fortfahren, ihre Waffen- und Kommunikationssysteme kompatibel zu machen». Zudem müssten sich Finnland und Schweden die Frage stellen, ob sie künftig Nato-Truppen oder gar Atomwaffen auf ihrem Territorium tolerieren werden. Das sei für viele Skandinavier weiterhin nicht vorstellbar.