Schwere Verluste auf der Krim Putin muss lügen, um nicht das Gesicht zu verlieren

Von Philipp Dahm

14.9.2023

Russland meldet Verletzte nach Angriff auf Sewastopol

Russland meldet Verletzte nach Angriff auf Sewastopol

STORY: Die Ukraine hat nach russischen Angaben die Hafenstadt Sewastopol auf der Krim mit Raketen beschossen. Dabei sei eine Werft in Brand geraten, mindestens 24 Menschen seien verletzt worden, teilte der von Russland eingesetzte Gouverneur Michail Raswo schajew mit. In der Werft in Sewastopol werden Schiffe der russischen Schwarzmeerflotte gebaut und repariert. Reuters konnte den Bericht von unabhängiger Seite nicht überprüfen. Von der Regierung in Kiew war zunächst keine Stellungnahme zu erhalten. Nach ukrainischen Angaben soll es einen russischen Drohnenangriff auf den Hafen von Ismail an der Donau gegeben haben. Dabei wurden nach Behördenangaben mindestens sechs Menschen verletzt.

13.09.2023

Nachdem sich der Rauch über Sewastopol verzogen hat, wird das ganze Ausmass der ukrainischen Attacke sichtbar. Und schon knallt es wieder auf der Krim, während Wladimir Putin flunkert, um sein Gesicht zu wahren.

Von Philipp Dahm

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Am 13. September hat die Ukraine Sewastopol auf der Krim in mehreren Wellen angegriffen.
  • Drei Storm-Shadow-Marschflugkörper sind in die Docks von Sewastopol eingeschlagen.
  • Bei der Attacke wird neben der kriegswichtigen Infrastruktur ein U-Boot und ein Landungsboot zerstört. Die Schäden gehen in die Hunderten von Millionen.
  • Weil westliche Waffen gegen die Krim eine der vielen «Roten Linien» Wladimir Putins ist, spricht der Kreml von einem Einsatz von S-200-Raketen sowjetischer Bauart.
  • Am 14. September legt Kiew nach und trifft angeblich ein teures, hochmodernes S-400-Flugabwehrsystem auf der Krim.

Ukrainische Streitkräfte richten schwere Schäden auf der Krim an: Eine klug koordinierte Drohnen- und Raketen-Attacke trifft zwei der drei Docks im Hafen von Sewastopol.

Die Schwarzmeer-Flotte verliert so nicht nur die Fähigkeit zur Wartung ihrer Schiffe – auch ein Landungsschiff der Ropucha-Klasse und ein U-Boot der Kilo-Klasse werden zerstört. Es ist der erste Kriegsverlust eines russischen U-Boots seit dem Zweiten Weltkrieg. Der Coup am 13. September gelingt in mehreren Wellen.

Zunächst greifen drei Seedrohnen zur Ablenkung an. Sie werden abgefangen, ein Patrouillenboot wird womöglich versenkt. Es folgen laut Reporting from Ukraine zwei S-200-Raketen, die von der gegnerischen Luftabwehr ebenfalls zerstört werden können. Nun erfolgt der Einsatz der Anti-Radar-Rakete Harm.

Der Kreml lügt – wegen der «Roten Linie»

Sie zwingen gegnerische S-300- und S-400-Systeme, ihr Radar auszuschalten – andernfalls würden sie zerstört. Nun kommen fünf ukrainische Su-24M zum Zug: Sie feuern zehn Raketen ab. Mindestens drei davon sind Storm-Shadow-Marschflugkörper, die folgenschwer einschlagen.

Seedrohnen (1), S-200-Raketen (2), um die Luftabwehr zu testen und Anti-Radar-Raketen (3), um jene aus- oder abzuschalten – so wird laut Reporting from Ukraine der Weg für den Storm-Shadow-Angriff (4) freigemacht.
Seedrohnen (1), S-200-Raketen (2), um die Luftabwehr zu testen und Anti-Radar-Raketen (3), um jene aus- oder abzuschalten – so wird laut Reporting from Ukraine der Weg für den Storm-Shadow-Angriff (4) freigemacht.
YouTube/Reporting from Ukraine

Ein Storm-Shadow-Angriff auf Sewastopol? Wir erinnern uns: Wladimir Putin hat mit furchtbaren Konsequenzen gedroht, falls westliche Waffen gegen die Krim eingesetzt würden. Und nun? Der Kreml behauptet einfach, die drei Raketen, die getroffen hätten, wären ebenfalls S-200 sowjetischer Bauart gewesen. Putin muss lügen, um nicht das Gesicht zu verlieren, weil – mal wieder – eine «Rote Linie» überschritten worden ist.

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Viele der sieben anderen Raketen, die abgeschossen worden sind, dürften Täuschkörper gewesen sein. Der ADM-160 MALD (Miniature Air-Launched Decoy) kostet nur einen Bruchteil der Storm Shadow, die mit 2,5 bis drei Millionen Dollar pro Exemplar zu Buche schlägt.

Hunderte Millionen Schaden

Doch selbst wenn alle zehn Raketen drei Millionen Dollar teure Storm Shadow gewesen wären: Diese 30 Millionen Dollar hätten sich extrem rentiert. Das getroffene U-Boot, die Rostow am Don, wurde erst 2014 in Dienst gestellt und soll rund 300 Millionen Dollar gekostet haben. Sie kann nun keine Kalibr-Marschflugkörper mehr auf die Ukraine abfeuern.

Auch der Verlust der Minsk tut weh: Sie könnte um die 110 Millionen Dollar wert sein. Sie ist schon das dritte russische Landungsschiff, das die Schwarzmeer-Flotte verloren hat. Im März 2022 wurde die Saratow im Hafen von Brjansk zerstört. Im August 2023 wurde die Olenegorski Gornjak im russischen Noworossijsk getroffen.

Das brennende Landungsschiff Minsk in einem der drei Trockendocks von Sewastopol.
Das brennende Landungsschiff Minsk in einem der drei Trockendocks von Sewastopol.
Telegram/Krymskiy Veter

Hinzu kommen bei den Kosten die Schäden an der Infrastruktur, die für die russische Marine sehr wichtig ist. Diese scheinen beträchtlich zu sein: Sowohl das Landungsschiff als auch das U-Boot sind nach den Treffern in tobende Feuer aufgegangen.

Kiew setzt nach

Und als wäre dieser Angriff für Putin nicht schon schmerzhaft genug, legt Wolodymyr Selenskyjs Militär auch noch nach: Nur einen Tag später werden in Jewpatorija im Westen der Krim russische Flugabwehrstellungen angegriffen. Angeblich wird dabei eine S-400 Triumf getroffen, die das modernste ist, was der Kreml im Arsenal hat. 

Es ist Kiew am 23. August erstmals gelungen, eine Triumf zu zerstören – das war «Ein rabenschwarzer Tag für Putin – nichts als Ärger». Die S-400 wird von Moskau mit Blick auf den Exportmarkt als bestes System seiner Art angepriesen: Ein neuerlicher Verlust wäre alles andere als gute Werbung. Und teuer: Eine Batterie S-300 oder S-400 kostet Hunderte Millionen Dollar.

Angeblich lief der Angriff so: Eine ukrainische Kamikaze-Drohne schaltet zuerst das Radargerät der Einheit aus. Diese Drohnen können tief fliegen, sind sehr klein und somit für das Radar schwer zu erkennen. Dann schlagen zwei R-360 Neptun in die Raketen-Starter ein, die ohne Radar blind sind.

Zwei Neptun aus heimischer Produktion waren es übrigens auch, die im April 2022 Putins Flaggschiff Moskwa versenkt haben. Die Ukraine hat die günstige Anti-Schiffs-Waffe danach weiterentwickelt – und setzt sie nun erfolgreich als Marschflugkörper ein.