Afghanistan taumelt ins ElendProvinzen fallen Taliban wie Dominosteine in die Hände
phi/AP
12.8.2021
Gestern waren es noch sechs, nun haben die Taliban bereits zehn Provinzen erobert. Die internationale Gemeinschaft ruft ihre Bürger zurück, und nach Deutschland setzt auch die Schweiz Ausschaffungen ins Krisengebiet aus.
phi/AP
12.08.2021, 13:19
12.08.2021, 14:20
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Provinz nach Provinz fällt den Taliban in die Hände – und der Fall Kabuls scheint unausweichlich: Spätestens wenn die Hauptstadt keinen Korridor mehr zu den regierungsfreundlichen Gebieten im Norden hat, ist eine Eroberung durch die Taliban nur noch eine Frage der Zeit.
Ghasni, nur rund 130 Kilometer südwestlich der Hauptstadt Kabul, sei in der Hand der Aufständischen, bestätigte der Provinzrat heute entsprechende Siegesmeldungen der Taliban, schreibt die Nachrichtenagentur «AP». In Laschkarga in der südafghanischen Provinz Helmand gewannen die Fanatiker nach heftigen Kämpfen ebenfalls an Boden.
Ghasni ist die zehnte Provinzhauptstadt, die die selbsternannten Gotteskrieger unter ihre Kontrolle gebracht haben – gestern waren es noch sechs. Mit der Eroberung rückten die Taliban auch vom Süden her gefährlich nahe an Kabul heran: Ghasni liegt an der strategisch wichtigen Strasse nach Kandahar, die Kabul mit den südlichen Provinzen verbindet.
Mehrere der zuletzt eroberten Provinzhauptstädte befinden sich weiterhin im Nordosten des Landes, wodurch die Hauptstadt von zwei Seiten belagert oder angegriffen werden kann. Angesichts dieser Lage hat nach Deutschland, den Niederlanden und Frankreich auch der Bund Ausschaffungen ins Krisengebiet vorerst eingestellt.
Deutliche Warnung des EDA
Die internationale Gemeinschaft fordert ihre Bürger auf, das Land zu verlassen und zieht auch ihre Diplomaten ab. Das EDA warnt: «Schweizer Bürger, die im Land bleiben oder entgegen der Empfehlung des EDA nach Afghanistan reisen, müssen sich bewusst sein, dass die Schweiz nur eng begrenzte oder überhaupt keine Möglichkeiten zur Hilfeleistung hat.»
Am Rande Ghasnis in der gleichnamigen Provinz werde heute zwar noch in der Nähe von zwei Stützpunkten gekämpft, und diese würden noch von Regierungskräften gehalten, sagte der Abgeordneter Amanullah Kamrani zu «AP». Im Zentrum Ghasnis selbst sei nach stundenlangen heftigen Kämpfen aber wieder Ruhe eingekehrt. An zahlreichen Gebäuden wehten nun Taliban-Flaggen.
Als die Taliban herrschten: Das Islamische Emirat von Afghanistan
Kabul, 9. August 2021: Afghanen fliehen vor den Taliban in die Hauptstadt. Und das aus gutem Grund: Der alte Mann wird sich noch daran erinnern, wie es in seinem Land zwischen 1996 und 2001 zugegangen ist, als die Fanatiker das Sagen hatten.
Bild: Keystone
Ihr Terrorregime beginnt im September 1996 nach dem Fall von Kabul. Die Taliban etablieren strenges Rechtssystem, in dem Diverses verboten ist, von Musik, Film und Fernsehen über Malerei und Fotografie bis hin zu Fussball oder Schach.
Bild: KEYSTONE
Besonders hart trifft es die Frauen, die sich verhüllen müssen, aber nicht mehr am gesellschaftlichen Leben teilhaben dürfen. Sich zu bilden wird ihnen explizit verboten. Sie werden quasi unter Hausarrest gestellt.
Bild: KEYSTONE
Sexueller Missbrauch ist an der Tagesordnung, Verfehlungen werden streng bestraft: Im Februar 1998 erhält beispielsweise eine Frau wegen «Ehebruchs» öffentlich 100 Peitschenhiebe, weil sie in Kabul mit einem Mann unterwegs ist, der nicht ihr Ehemann ist.
Bild: KEYSTONE
Amnesty International schätzt, dass 80 Prozent der Ehen unter Zwang eingegangen werden. Dabei verheiraten die Fanatiker auch minderjährige Mädchen. Seit 1998 müssen Mieter und Hausbesitzer ihre Fenster schwärzen, damit Frauen nicht sichtbar sind.
Bild: KEYSTONE
Taliban beim Zerstören von Alkohol: Frauen aus ethnischen Minderheiten wie etwa Usbekinnen werden von den Taliban entführt und entweder als Sex-Sklaven ins pakistanische Ausland verkauft oder in die Trainingscamps der Gotteskrieger gebracht werden.
Bild: KEYSTONE
Die Vereinten Nationen werfen den Taliban immer wieder vor, Gräueltaten gegen die Bevölkerung zu begehen. Sie zählen zwischen 1996 und 2001 15 Massaker, die «hochgradig systematisch» durchgeführt werden, so die UN.
Bild: KEYSTONE
Einen unrühmlichen Platz in der Geschichte der Taliban-Herrschaft nimmt das Stadion von Kabul ein, das immer wieder für Hinrichtungen genutzt werden, zu denen Tausende Menschen kommen. Bereits der Besitz von Waffen kann ein Todesurteil sein.
Bild: Commons/Masoud Akbari
Die Vereinten Nationen versuchen in jener Zeit, die Not der Bevölkerung zu lindern, die nach dem afghanischen Bürgerkrieg zwischen 1992 und 1996 ohnehin schon gross ist. Die Taliban behindern jedoch aus «politischen und militärischen Gründen» die Verteilung von Hilfsgütern, kritisieren die UN.
Bild: AP
Ein weiterer Eckpunkt der Taliban-Herrschaft ist der kulturelle Krieg: Museen werden zerstört oder in Moscheen umgewandelt. Hinweise auf frühere Zivilisationen sind passé – weshalb zum Beispiel die 2000 Jahre alte Buddha-Statue von Bamiyan gesprengt wird.
Bild: KEYSTONE
Opferzahlen jener Zeit gibt es nicht. Fakt ist, dass in den fünf Jahren des Taliban-Regimes sehr viele afghanische Kinder zu Waisen werden.
Bild: KEYSTONE
Als die Taliban herrschten: Das Islamische Emirat von Afghanistan
Kabul, 9. August 2021: Afghanen fliehen vor den Taliban in die Hauptstadt. Und das aus gutem Grund: Der alte Mann wird sich noch daran erinnern, wie es in seinem Land zwischen 1996 und 2001 zugegangen ist, als die Fanatiker das Sagen hatten.
Bild: Keystone
Ihr Terrorregime beginnt im September 1996 nach dem Fall von Kabul. Die Taliban etablieren strenges Rechtssystem, in dem Diverses verboten ist, von Musik, Film und Fernsehen über Malerei und Fotografie bis hin zu Fussball oder Schach.
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Besonders hart trifft es die Frauen, die sich verhüllen müssen, aber nicht mehr am gesellschaftlichen Leben teilhaben dürfen. Sich zu bilden wird ihnen explizit verboten. Sie werden quasi unter Hausarrest gestellt.
Bild: KEYSTONE
Sexueller Missbrauch ist an der Tagesordnung, Verfehlungen werden streng bestraft: Im Februar 1998 erhält beispielsweise eine Frau wegen «Ehebruchs» öffentlich 100 Peitschenhiebe, weil sie in Kabul mit einem Mann unterwegs ist, der nicht ihr Ehemann ist.
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Amnesty International schätzt, dass 80 Prozent der Ehen unter Zwang eingegangen werden. Dabei verheiraten die Fanatiker auch minderjährige Mädchen. Seit 1998 müssen Mieter und Hausbesitzer ihre Fenster schwärzen, damit Frauen nicht sichtbar sind.
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Taliban beim Zerstören von Alkohol: Frauen aus ethnischen Minderheiten wie etwa Usbekinnen werden von den Taliban entführt und entweder als Sex-Sklaven ins pakistanische Ausland verkauft oder in die Trainingscamps der Gotteskrieger gebracht werden.
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Die Vereinten Nationen werfen den Taliban immer wieder vor, Gräueltaten gegen die Bevölkerung zu begehen. Sie zählen zwischen 1996 und 2001 15 Massaker, die «hochgradig systematisch» durchgeführt werden, so die UN.
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Einen unrühmlichen Platz in der Geschichte der Taliban-Herrschaft nimmt das Stadion von Kabul ein, das immer wieder für Hinrichtungen genutzt werden, zu denen Tausende Menschen kommen. Bereits der Besitz von Waffen kann ein Todesurteil sein.
Bild: Commons/Masoud Akbari
Die Vereinten Nationen versuchen in jener Zeit, die Not der Bevölkerung zu lindern, die nach dem afghanischen Bürgerkrieg zwischen 1992 und 1996 ohnehin schon gross ist. Die Taliban behindern jedoch aus «politischen und militärischen Gründen» die Verteilung von Hilfsgütern, kritisieren die UN.
Bild: AP
Ein weiterer Eckpunkt der Taliban-Herrschaft ist der kulturelle Krieg: Museen werden zerstört oder in Moscheen umgewandelt. Hinweise auf frühere Zivilisationen sind passé – weshalb zum Beispiel die 2000 Jahre alte Buddha-Statue von Bamiyan gesprengt wird.
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Opferzahlen jener Zeit gibt es nicht. Fakt ist, dass in den fünf Jahren des Taliban-Regimes sehr viele afghanische Kinder zu Waisen werden.
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Nach wochenlangen Kämpfen gewannen die Taliban auch in der Stadt. Am Donnerstag übernahmen sie die Kontrolle über ein Polizeirevier in der Hauptstadt der Provinz Helmand, die als Taliban-Kerngebiet gilt. Laschkarga, eine der grössten Städte, könnte ebenfalls kurz davor stehen, den Taliban komplett in die Hände zu fallen.
Schicken die USA jetzt Gunships?
Im Internet veröffentlichten die Taliban Videos und Fotos aus Ghasni. Zu sehen war auch, wie offenbar ein Autokonvoi mit dem Provinzgouverneur ungehindert an den Taliban vorbeifuhr. Der Abgeordnete Kamrani sagte, der Gouverneur und der Polizeichef Ghasnis hätten sich in einer Vereinbarung mit den Taliban ihre Freiheit erkauft.
Der afghanische Abgeordnete Nassima Niasi berichtete von schweren Luftangriffen der Regierung auf Laschkarga mit vermutlich vielen zivilen Opfern. «Die Taliban nutzten die Häuser von Zivilisten, um sich zu schützen, und die Regierung verübte Luftangriffe, ohne sich um die Zivilisten zu kümmern», sagte sie.
Weil die afghanische Luftwaffe kaum dazu imstande ist, wird davon ausgegangen, dass US-Kampfflugzeuge teilweise für die Luftangriffe verantwortlich sind. Das Zentralkommando der US-Luftwaffe in Katar reagierte zunächst nicht auf Anfragen. Beobachter spekulieren nun, dass Washington Kabul zumindest mit Gunships und B-52-Bombern unterstützen könnte – siehe englischsprachiges Video unten.