Mershad, 19, und Sadaf, 17 Iranische Paramilitärs knüppeln erneut Jugendliche zu Tode

Von Philipp Dahm

31.10.2022

Proteste im Iran dauern trotz «ultimativer» Warnung an

Proteste im Iran dauern trotz «ultimativer» Warnung an

Im Iran halten die Proteste gegen die Obrigkeit der Islamischen Republik an – trotz einer ultimativen Warnung der mächtigen Revolutionsgarden. Auch am Sonntag kam es zu Kundgebungen, vor allem an Dutzenden Universitäten im Land. In auf Internet-Netzwerken geteilten Videos war der Einsatz von Tränengas zu sehen, teilweise auch Schüsse auf Demonstranten. Die Revolutionsgarden hatten am Samstag Regierungsgegner vor weiteren Protesten gewarnt. «Geht nicht mehr auf die Strassen. Heute ist der letzte Tag der Unruhen», sagte der Kommandeur der Revolutionsgarden, Hussein Salami.

31.10.2022

Im Iran müssen Demonstrierende weiterhin um ihr Leben fürchten. Für eine 17-Jährige und einen 19-Jährigen kommt jede Vorsicht zu spät: Sie zählen zu den jüngsten der bisher mindestens 253 Opfer.

Von Philipp Dahm

Es tönt nach Meldungen aus einem Kriegsgebiet. Die Basidsch-e Mostaz'afin – oder kurz Basidsch – schlägt wieder zu.

In Tschalus im Norden des Irans am Kaspischen Meer nimmt ein Scharfschütze der paramilitärischen Einheit eine Frau ins Visier, die dort eine Demonstration gegen die Regierung filmt.

Der Hilfspolizist drückt ab – und erschiesst am 22. Oktober die 35-jährige Shirin Alizadeh Khansari vor den Augen ihres siebenjährigen Kindes.

Und das Morden geht weiter: Am 26. Oktober wird Mershad Shahidi getötet. Kurz vor seinem 20. Geburtstag ergreifen Basidsch den jungen Koch, der als der Jamie Oliver des Irans gilt. Er wird bei einem Protest verhaftet und von den Paramiltärs erschlagen.

Und nun kommt heraus, dass auch eine 17-Jährige Opfer des brutalen Regimes geworden ist: Die Schülerin heisst Sadaf Movahedi. Sie soll am 24. Oktober von Polizisten abgefangen worden sein, als sie von der Schule nach Hause ging – und soll mit einem Schlagstock zu Tode geprügelt worden sein.

Analyse Regime wird durchgreifen

Auf die Familie werde Druck ausgeübt, berichtet «Daily Nation Pakistan»: Sie können nicht über die Details sprechen, wenn sie ihre Gesundheit nicht gefährden wollen, heisst es.

Diese jungen Menschen gehören zu den mindestens 253 Todesopfern, die die Unruhen bisher gefordert haben. Mindestens 34 von ihnen sollen Kinder sein, schreibt die norwegische Organisation Iran Human Rights. An eine Beruhigung der Lage ist nicht zu denken. Im Gegenteil: Eine weitere Eskalation ist abzusehen.

Angekündigt wird sie am 29. Oktober vom Kommandeur der Revolutionsgarden (IRGC): «Die Demonstranten sollten die Geduld des Systems nicht überstrapazieren», warnt General Hussein Salami. «Heute ist der letzte Tag der Unruhen. Kommt nicht mehr auf die Strassen.» Niemand werde erlauben, weiter Unsicherheit zu stiften und die Universitäten des Landes in ein «Schlachtfeld» zu verwandeln.

Trotzdem setzen Studierende in der Hauptstadt Teheran, der Pilgerstadt Maschhad im Nordosten sowie anderen Landesteilen ihre Protestaktionen fort. Für den 1. und 2. November sind weitere Demonstrationen geplant: «Das Regime wird wahrscheinlich ihr Durchgreifen in den kommenden Tagen weiter intensivieren», analysiert das Institute for the Study of War (ISW).

Mullahs erhöhen Löhne der Sicherheitskräfte

Das könne zwei Folgen haben, schlussfolgern die Washingtoner: Entweder der Protest werde ob der Gewalt abebben oder aber die Betroffenen würden selbst radikalisiert. Zugute kommt der Opposition in dem Moment, dass verstärkt zusammengearbeitet werde: So sind laut NBC etwa Zentren eingerichtet worden, in denen verletzte Demonstranten behandelt werden, die so das offizielle Gesundheitswesen umgehen können.

«Sie haben ein ganzes Netzwerk von Ärzten, und die behandeln [Demonstrierende] zu Hause», erklärt Aktivist Ramin Ahmadi dem US-Sender. Selbst wenn der Widerstand nun im Keim erstickt werden könne, sorge die Gewalt des Regimes gegen Schüler*innen und Studierende dafür, dass das Ressentiment gegen die Mullahs bleiben wird, schreibt das ISW.

Das Problem: Diese Aggressionen gegen Minderjährige wirkten sich auch auf die Moral der Sicherheitskräfte aus, heisst es weiter. Wohl aus diesem Grund hat das Parlament in Teheran am 30 . Oktober eine Erhöhung der Löhne von Militär und Polizei verfügt.

Über 14'000 Verhaftungen

Gleichzeitig sollen Demonstrierende an den Pranger gestellt werden: Rund 1000 Verhafteten soll wegen «subversiver Aktionen» in Teheran öffentlich der Prozess gemacht werden. «Diejenigen, die beabsichtigen, die Regierung zu konfrontieren und zu untergraben, sind von Ausländern abhängig und werden nach den gesetzlichen Standards bestraft», sagt der iranische Justizchef Gholamhossein Mohseni Edschehi.

Wo im Iran zuletzt demonstriert worden ist.
Wo im Iran zuletzt demonstriert worden ist.
Karte: ISW

Sprich: Ihnen wird wahrscheinlich auch Kooperation mit dem Ausland vorgeworfen werden. Edschehi kündigt an, die Staatsanwaltschaft wolle unterscheiden zwischen wütenden Iranern, die lediglich ihrem Unmut Luft gemacht hätten, und solchen, die die Regierung stürzen wollten. In anderen Regionen ist bereits Klage gegen Hunderte Menschen erhoben worden.

Sie werden unter anderem der Korruption und des «Krieges gegen Gott» beschuldigt – Taten, für die die Todesstrafe verhängt werden kann. Mindetens 14'000 Personen sollen im Rahmen der Proteste inhaftiert worden sein.