Nach Brand Obdachlose von Moria sollen auf Schiffen und in Zelten unterkommen

SDA/tgab

9.9.2020

Nach dem Grossbrand im Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos sollen die obdachlos gewordenen Migranten zunächst auf Schiffen und in Zelten unterkommen. Hilfsangebote kommen von der Europäischen Union und Deutschland, die Niederlande lehnen eine Aufnahme von Flüchtlingen ab.

Das kündigte Migrationsminister Notis Mitarakis am Mittwoch an. Mitarakis war auf die Insel gereist, um sich ein Bild von der Lage zu machen, nachdem das Flüchtlingslager Moria nach Unruhen in der Nacht zum Mittwoch in Flammen aufgegangen war. Seither sind auf Lesbos, einer Insel mit rund 85'000 Einwohnern, mehr als 12'000 Migranten obdachlos.

Nach Unruhen in der Nacht zum Mittwoch ist das Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos in Flammen aufgegangen. Mehr als 12'000 Migranten sind obdachlos. Es wurde niemand verletzt oder getötet.
Nach Unruhen in der Nacht zum Mittwoch ist das Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos in Flammen aufgegangen. Mehr als 12'000 Migranten sind obdachlos. Es wurde niemand verletzt oder getötet.
Bild: Keystone/Petros Giannakouris 

Im Anschluss an seine Visite warnte der Minister die Migranten vor einer Missachtung des Gesetzes. «Das werden wir nicht dulden», sagte er mit Blick auf die Feuer. Die Regierung in Athen geht nach ersten Erkenntnissen davon aus, dass einige Migranten die Brände selbst gelegt haben – aus Angst vor den ersten Corona-Fällen im Lager.

Die einzige gute Nachricht des Tages konnte der Minister aber bis auf Weiteres bestätigen: Es seien keine Menschen verletzt, vermisst oder durch den Brand umgekommen.



Die Menschen, die das Lager wegen des Feuers fluchtartig verlassen mussten, seien nun von der Polizei ausserhalb der Ortschaften versammelt worden, sagte Mitarakis weiter. Ziel der Massnahme dürfte sein, Zusammenstösse zwischen Migranten und der Inselbevölkerung zu vermeiden. Athen kündigte kurzfristig eine Übergangslösung an: Bereits am Donnerstag sollen zwei Landungsschiffe der Kriegsmarine Migranten aufnehmen, auch eine griechische Reederei soll ein Schiff bereit gestellt haben. Zudem sollen rund 400 unbegleitete Kinder noch am Mittwochabend von Lesbos aufs Festland gebracht werden.

Erste Reaktionen der Europäischen Union

Im Namen der Europäischen Union versprach zunächst Innenkommissarin Ylva Johansson schnelle Hilfe. Sie sei in Kontakt mit den lokalen Behörden, schrieb die schwedische Politikerin auf Twitter. Sie habe zugestimmt, den unverzüglichen Transfer und die Unterbringung der verbleibenden 400 unbegleiteten Kinder und Jugendlichen aufs Festland zu finanzieren. Mitarakis bestätigte, die jungen Menschen sollten noch am Mittwoch abgeholt werden.

Deutsche Politiker drängen Kanzlerin zur schnellen Hilfe

Auf Bundesebene forderte die SPD vom Koalitionspartner Union, den Weg für die Aufnahme von Betroffenen nach Deutschland frei zu machen. «Wir dringen auch gegenüber der Bundeskanzlerin auf eine schnelle Lösung», sagte SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich in Berlin mit Blick auf die CDU-Kanzlerin Angela Merkel. Auch der Druck auf Innenminister Horst Seehofer wächst, vor allem von Länderseite.

Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) will bis zu 1'000 Flüchtlinge aus Moria aufnehmen. Rheinland-Pfalz forderte die sofortige Aufnahme von 1'000 Geflüchteten in Deutschland, 50 davon könnten nach dem Königsteiner Schlüssel in dem Bundesland untergebracht werden. Berlin will 300 Betroffene aufnehmen. Thüringen hatte schon vor Monaten die Aufnahme von rund 500 Geflüchteten beschlossen, scheiterte aber am Widerstand des Bundes.

Pro Asyl macht EU für den Brand direkt verantwortlich

Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl machte Bundesregierung und EU für den Brand direkt verantwortlich. "Die Katastrophe von Moria ist eine Folge der skandalösen und menschenverachtenden deutschen und europäischen Politik", sagte Geschäftsführer Günter Burkhardt am Mittwoch in Berlin. Anstatt für faire Asylverfahren zu sorgen, hätten alle EU-Staaten zugeschaut. Die EU versucht seit Jahren, sich auf eine gemeinsame Flüchtlingspolitik und vor allem Quoten zur Verteilung der Menschen zu einigen - bisher ohne Erfolg.

Ärzte ohne Grenzen kritisieren die griechische Regierung

Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen hingegen richtete ihre Kritik an die griechische Regierung: "Es reicht. Als Ärzte ohne Grenzen fordern wir die griechischen Behörden auf, unverzüglich einen Notfallplan zu entwickeln und alle diese Menschen an einen sicheren Ort auf dem Festland oder in andere europäische Länder zu bringen", sagte Marie von Manteuffel, Expertin für Flüchtlingspolitik bei der Hilfsorganisation, am Mittwoch laut einer Mitteilung.

Niederlande lehnen Aufnahme von Flüchtlingen aus Moria ab

Die Niederlande wollen keine Flüchtlinge aus Moria aufnehmen. «Die Niederlande haben immer den Standpunkt vertreten, dass wir keine Menschen übernehmen», sagte die Staatssekretärin im Justizministerium, Ankie Broekers-Knol, dem TV-Sender RTL Nieuws am Mittwoch. Den Haag hatte Griechenland zuvor humanitäre Hilfe zugesagt. «Aber Flüchtlinge zu übernehmen, wie Deutschland das tun will, da ist die Antwort: nein.»

Zahl der Infizierten stieg auf 35 – Unruhen als Folge

Am Dienstagabend war es zu Unruhen unter den Migranten gekommen, weil das Lager letzte Woche nach einem ersten Corona-Fall unter Quarantäne gestellt worden war. Bis zum Dienstag stieg die Zahl der Infizierten auf 35. Manche Bewohner hätten daraufhin das abgeriegelte Lager verlassen wollen, um sich nicht anzustecken, berichtete die griechische Nachrichtenagentur ANA-MPA. Einige Infizierte und ihre Kontaktpersonen, die isoliert werden sollten, hätten sich hingegen geweigert, das Lager zu verlassen und in Isolation zu gehen.



Moria gilt als Negativbeispiel der europäischen Flüchtlingspolitik und als grösstes Flüchtlingslager in der EU. Zuletzt lebten mehr als 12'000 Migranten in und um die Anlage herum, die eigentlich nur Platz für rund 2'800 Menschen bietet. In den vergangenen Jahren war es immer wieder zu Unruhen und Bränden gekommen. Hilfsorganisationen hatten längst gewarnt, dass die Situation eskalieren könne.

Lesbos ängstigt sich vor unkontrollierter Virusverbreitung

Lesbos selbst hat rund 85'000 Einwohner. Sie hätten nun Angst, was mit den Migranten geschehen werde – und auch, dass sich das Coronavirus unkontrolliert verbreiten könne, sagte der Bürgermeister von Ost-Lesbos, Stratos Kytelis, dem griechischen Staatssender ERT. Spannungen habe es in Moria immer gegeben, wegen der Corona-Problematik sei die Situation nun regelrecht explodiert. Man wisse nicht, wo die Menschen nun untergebracht werden sollten.

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