Deutschland Razzia mit 25 Festnahmen – «Reichsbürger» wollten System stürzen

SDA/AFP/tgab

7.12.2022 - 13:49

Verdächtige nach Reichsbürger-Razzia beim Bundesanwalt vorgeführt

Verdächtige nach Reichsbürger-Razzia beim Bundesanwalt vorgeführt

Nach einer europaweiten Razzia im Reichsbürger-Milieu unter Leitung deutscher Behörden sind am Mittwoch die ersten Festgenommenen den Ermittlern der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe vorgeführt worden.

07.12.2022

In der deutschen sogenannten Reichsbürgerszene soll sich eine terroristische Vereinigung gebildet haben, die mutmasslich den Umsturz des politischen Systems im bevölkerungsreichsten EU-Land vorbereitet hat.

SDA/AFP/tgab

Sie sollen einen Umsturz geplant und dafür teilweise auch mit Waffen trainiert haben: Die Bundesanwaltschaft hat 25 Menschen aus der sogenannten Reichsbürgerszene in mehreren deutschen Bundesländern sowie in Italien und Österreich festnehmen lassen. Rund 3'000 Polizeibeamte seien am Mittwochmorgen in elf Bundesländern im Einsatz gewesen, sagte eine Sprecherin der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe der Deutschen Presse-Agentur. Mehr als 130 Objekte wurden durchsucht.

Die terroristische Vereinigung habe die staatliche Ordnung in Deutschland stürzen und durch eine eigene ersetzen wollen, die in Grundzügen schon ausgearbeitet sei. Dafür hätte sie auch Tote in Kauf genommen.

Umsturzpläne: Festnahmen bei Grossrazzia in Reichsbürgerszene

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Die deutsche Bundesanwaltschaft hat 25 Menschen aus der sogenannten Reichsbürgerszene festnehmen lassen. Sie sollen einen Umsturz geplant und dafür teilweise auch mit Waffen trainiert haben. 

07.12.2022

Bundesjustizminister nennt Razzia «Anti-Terror-Einsatz»

«Die Ermittlungen lassen in den Abgrund einer terroristischen Bedrohung aus dem Reichsbürger-Milieu blicken», sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD). Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) bezeichnete die deutschlandweite Razzia als «Anti-Terror-Einsatz».

Die Reichsbürger berufen sich nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes auf das Deutsche Reich (1871–1945) und lehnen das Rechtssystem der Bundesrepublik ab. Dabei sprechen sie demokratisch gewählten Politikern die Legitimation ab. Oft weigern sie sich, Steuern zu zahlen. Der Verfassungsschutz rechnet der Szene rund 21'000 Anhänger zu.

Einsatzkräfte der Polizei durchsuchen ein Gebäude in Thüringen.
Einsatzkräfte der Polizei durchsuchen ein Gebäude in Thüringen.
Bodo Schackow/Keystone

Bei etwa fünf Prozent von ihnen, also rund 1'150, handelt es sich nach Angaben der Behörde um Rechtsextremisten. Im Jahr 2021 rechnete der Verfassungsschutz der Szene «Reichsbürger und Selbstverwalter» 1'011 extremistische Straftaten zu.

Spätestens Ende November 2021 haben die Beschuldigten den Ermittlungen zufolge die Vereinigung gegründet. Sie wollten die staatliche Ordnung in Deutschland durch eine eigene ersetzen, wie die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe dazu mitteilte. Diese Strukturen hätten sie in Grundzügen schon ausgearbeitet – samt einer Art Ministerrat um ein Staatsoberhaupt. Für den Umsturz hätten sie auch Tote in Kauf genommen und gezielt Soldaten und Polizisten rekrutiert. Die Gruppe sei von Verschwörungsideologien getrieben.

Das aktuelle starke Wachstum der Szene hängt laut der Behörde mit den staatlichen Corona-Schutzmassnahmen zusammen. Diese hätten zu einer erhöhten «Dynamik und Aktivität» in Teilen der Szene geführt. «Die Pandemie wird fortwährend zur Verbreitung von Propaganda und Desinformation im Internet genutzt», heisst es in dem aktuellen Verfassungsschutzbericht.

Verschwörungstheorie vom «Deep State» und Geheimbund

Die Mitglieder seien der festen Überzeugung, dass Deutschland derzeit von Angehörigen eines sogenannten «Deep States» regiert werde, hiess es in einer Mitteilung der Bundesanwaltschaft. Sie erwarteten, dass eine «Allianz» sie befreie. Das sei ein technisch überlegener Geheimbund von Regierungen, Militärs und Nachrichtendiensten verschiedener Staaten, einschliesslich der Russischen Föderation sowie der Vereinigten Staaten von Amerika. Die Vereinigung gehe fest davon aus, deren Angriff stehe kurz bevor.

Die Begriffe «Deep State» oder «tiefer Staat» werden in Verschwörungsmythen verwendet. Dahinter versteckt sich die Idee, im Hintergrund von politischen Entscheidungen zögen geheime Mächte die Fäden.

Zentrales Gremium der Gruppe sei ein «Rat». Dieser verfüge ähnlich wie das Kabinett einer regulären Regierung über Ressorts wie Justiz, Aussen und Gesundheit. «Die Mitglieder des «Rates» haben sich seit November 2021 regelmässig im Verborgenen getroffen, um die angestrebte Machtübernahme in Deutschland und den Aufbau eigener Staatsstrukturen zu planen», teilte die Bundesanwaltschaft mit.

Mit den alliierten Siegermächten des Zweiten Weltkriegs hätte eine Übergangsregierung die neue staatliche Ordnung in Deutschland verhandeln sollen. «Zentraler Ansprechpartner für diese Verhandlungen ist aus Sicht der Vereinigung derzeit ausschliesslich die Russische Föderation.»

Beschuldigte versuchten gezielt Polizisten zu gewinnen

Ein «militärischer Arm» sollte den demokratischen Rechtsstaat auch auf Ebene der Gemeinden, Kreise und Kommunen «beseitigen», hiess es. Der Vereinigung sei bewusst, dass es dabei zu Toten kommen werde. «Sie nimmt dieses Szenario aber als notwendigen Zwischenschritt zur Erreichung des von ihr angestrebten ‹Systemwechsels auf allen Ebenen› zumindest billigend in Kauf.» Einige mutmassliche Mitglieder des militärischen Arms hätten aktiv Dienst in der Bundeswehr geleistet.

Vor allem hätten sie auch Angehörige der Bundeswehr und Polizei für den geplanten Staatsumsturz rekrutieren wollen. Bei mindestens vier Treffen in Baden-Württemberg im Sommer hätten mutmassliche Mitglieder für die terroristische Vereinigung und ihre Ziele geworben. Angehörige des «militärischen Arms» hätten Bundeswehrkasernen in Hessen, Baden-Württemberg und Bayern ausgekundschaftet, «um sie auf ihre Tauglichkeit für die Unterbringung eigener Truppen nach dem Umsturz zu inspizieren».

Ermittlungen gegen Soldaten, Prinz und Richterin

Die Ermittlungen der Bundesanwaltschaft richten sich auch gegen einen Soldaten des Kommandos Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr und mehrere Reservisten der Bundeswehr. Der aktive Soldat sei im Stab des KSK eingesetzt, sagte ein Sprecher des Militärischen Abschirmdienstes.

Reichsbürgers-Razzia: Kopf soll Adeliger aus Hessen sein

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Zu den Verdächtigen gehört auch Heinrich XIII. Prinz Reuss. Der 71-jährige Unternehmer aus Hessen steht laut Bundesanwaltschaft im Verdacht, ein Rädelsführer der mutmasslichen Terrorgruppe gewesen zu sein.

07.12.2022

Die ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete Birgit Malsack-Winkemann, die unter den Verdächtigen ist, sass von 2017 bis 2021 für die rechtspopulistische AfD im Bundestag, im März 2022 kehrte sie in den Richterdienst zurück und ist am Landgericht Berlin tätig. «Wir werden alle Instrumente ausschöpfen, um die Beschuldigte vollständig aus dem Richterdienst zu entfernen», sagte Berlins Justizsenatorin Lena Kreck (Linke).

SDA/AFP/tgab