Rechtsradikale Kampfsportler «Diese Leute lassen sich an halbautomatischen Waffen ausbilden»

Von Bruno Bötschi

27.5.2021

«Wir reden von einer europaweit gut organisierten Szene von militanten Neonazis, die sich sowohl im Kampfsport als auch mit Waffen wehrhaft machen»: Robert Claus, Rechtsextremismus-Experte. (Symbolbild)
«Wir reden von einer europaweit gut organisierten Szene von militanten Neonazis, die sich sowohl im Kampfsport als auch mit Waffen wehrhaft machen»: Robert Claus, Rechtsextremismus-Experte. (Symbolbild)
Bild: Getty Images/EyeEm

Seit Jahren betreiben Neonazis professionellen Kampfsport, um sich auf den Strassenkampf vorzubereiten – auch in der Schweiz. Der Rechtsextremismus-Experte Robert Claus beobachtet die Szene seit langem.

Von Bruno Bötschi

Herr Claus, können Sie noch ruhig schlafen?

Ja, warum?

Nun, ich nehme an, rechtsextreme Kampfsportlerinnen und -sportler haben keine Freude an Ihrem Buch ‹Ihr Kampf – wie Europas extreme Rechte für den Umsturz trainieren›.

Seit das Buch erschienen ist, gab es einige Reaktionen aus der Szene, darunter ein paar bedrohliche Mails. Aber ich schlafe nach wie vor ruhig.

Erlebten Sie während der Recherchen Situationen, in denen Sie Angst hatten oder gar fürchten mussten, man tue Ihnen etwas an?

Während meiner Nachforschungen im Netz ist das nicht passiert. Hingegen kam es mehrmals zu brenzligen Situationen, als ich in Deutschland auf Recherche für das Buch Neonazi-Aufmärsche und Querdenker-Demos besuchte.

Die Szene kennt Sie demnach.

So ist es. Mir ist durchaus bewusst, dass ich mich auf solchen Demos vorsichtig bewegen muss.

Während ich Ihr Buch las, dachte ich manchmal: Sollen sich die Neonazis doch gegenseitig verhauen, dann tun sie sonst nichts Schlimmeres.

Es ist leider naiv zu denken, dass diese Gewalt- und Kampffähigkeit im Sportbereich verbleiben wird. Neonazis verhauen sich nicht nur gegenseitig, sondern nutzen ihre Gewaltfähigkeiten immer auch für politische Gewaltakte. Die Liste rassistischer Übergriffe ist in den letzten Jahren länger und länger geworden.

Zur Person: Robert Claus

Soziologe Robert Claus, Jahrgang 1983, forscht und publiziert zu den Themen Fan-Kultur, Hooligans, Rechtsextremismus. Am Donnerstag, 27. Mai, 18 Uhr, hält er an der Uni Oldenburg einen Vortrag zum Thema «Vorbereitung für den Strassenkampf? Kampfsport in der rechten Szene». Die Veranstaltung wird als Livestream übertragen.

Den Neonazis geht es nicht nur um ihre persönliche Fitness, sondern …

… es geht ihnen vor allem darum, sich im nationalsozialistischen Sinne wehrhaft zu machen. Dafür gibt es unzählige Bildbelege. Sie trainieren nicht nur Boxen oder andere Kampfsportarten, sondern besuchen in Ost- oder Zentraleuropa Schiessanlagen, um sich dort an halbautomatischen Waffen ausbilden zu lassen. Die Grenzen zwischen Kampfsport bei Neonazis und Rechtsterrorismus sind durchaus fliessend.

Über die Kampfsportszene der extremen Rechten in Europa war bisher nur wenig bekannt. Warum?

Sprechen wir über politische Probleme im Sport in Deutschland und wahrscheinlich auch in der Schweiz, liegt der Fokus meist auf dem Fussball. Andere Sportarten finden dagegen kaum Beachtung. Ich glaube jedoch, dass in der Forschung und Debatte um die extreme Rechte bisher unterschätzt wurde, welche Rolle insbesondere der Kampfsport für die Szene spielt. Fakt ist: Der Kampfsport hat in der extremen Rechten eine jahrzehntelange Geschichte, die bis in den historischen Nationalsozialismus zurückreicht.

Gab es noch andere Gründe für die Veröffentlichung des Buches?

In den letzten zehn, zwölf Jahren sind viele neue Firmen, Events und Netzwerke entstanden. Man kann sagen, die europäische Neonazi-Szene hat gezielt investiert im Bereich Kampfsport. Es wurden zudem durchaus strategische Organisationen und länderübergreifender Vertrieb aufgebaut. Dazu zählen Neonazi-Bekleidungsfirmen namens White Rex und Greifvogel oder Veranstaltungen wie «Kampf der Nibelungen» in Deutschland. Dazu gehören aber auch eine Reihe neuer Neonazi-Gruppen, die eigentlich Nazi-Kameradschaften sind, sich aber als Fightclubs oder Kampfsportgruppen verstehen – erwähnen möchte ich da unter anderem auch die Schweizer Gruppe ‹Junge Tat›.

«Es kam mehrmals zu brenzligen Situationen, als ich in Deutschland auf Recherche für das Buch Neonazi-Aufmärsche und Querdenker-Demos besuchte»: Robert Claus. Das Bild zeigt die Querdenker-Demo, die am 3. April in Stuttgart stattfand. 
«Es kam mehrmals zu brenzligen Situationen, als ich in Deutschland auf Recherche für das Buch Neonazi-Aufmärsche und Querdenker-Demos besuchte»: Robert Claus. Das Bild zeigt die Querdenker-Demo, die am 3. April in Stuttgart stattfand. 
Bild: Keystone

Der ‹Kampf der Nibelungen› gilt als der grösste rechtsextreme Kampfsport-Event. 2018 waren Sie einmal selber vor Ort.

Ich war nicht in der Halle drin, sondern nur vor der Türe. Ich guckte mir das Gelände an, schaute wie die An- und Abfahrt organisiert wird.

Wollte man Sie nicht reinlassen oder wollten Sie gar nicht rein?

Ich wäre nicht reingekommen. Der ‹Kampf der Nibelungen› ist eine geschlossene Veranstaltung. Es gab im Vorfeld mehrere Presseanfragen, ob man reindürfe. Sie wurden meines Wissens alle abgelehnt.

Wirklich wahr, das am ‹Kampf der Nibelungen› handgemachte Stabhandgranaten der Wehrmacht aus dem Zweiten Weltkrieg als Pokale den Siegern überreicht wurden?

Im Jahr 2018 fanden in Deutschland insgesamt drei Events unter dem Titel ‹Kampf der Nibelungen› statt – einer davon im April 2018 während des Rechtsrock-Festivals ‹Schild und Schwert›. Bei diesem wurden Stabhandgranaten als Pokale verliehen. Ich nehme an, es waren Nachbauten, sicher bin ich allerdings nicht.



Auch die Schweiz ist Thema in Ihrem 220 Seiten starken Buch – auf einer knappen Seite. Hat dies damit zu tun, dass der rechtsextreme Kampfsport hierzulande noch weniger als anderswo verbreitet ist?

Dem ist nicht so. Die Gruppe ‹Junge Tat› habe ich ja bereits erwähnt. Die Hammerskins sind ebenfalls aktiv in der Schweiz. Es gibt zudem ein Netzwerk von deutschen Neonazis, das bis in die Schweiz reicht. Des Weiteren wollte das französische Label ‹Pride France› im Juni 2020 ein Kampfsport-Turnier organisieren. Der Treffpunkt dafür sollte in der Region Basel sein. Wegen der Corona-Pandemie wurde das Event abgesagt. Dieses Beispiel zeigt, wie gut das internationale Netzwerk militanter Neonazis im Bereich Kampfsport funktioniert.

Im Buch wird Florian Gerber erwähnt, ein Angehöriger des Schweizer Ablegers der Hammerskins und führender Kopf der extrem rechten Partei Pnos. Was gibt es zu diesem Herrn noch zu sagen?

Es sind Beispiele dafür, wie die Szene immer stärker grenzübergreifend agiert. Die Bekleidungsfirma White Rex hat sich seit ihrer Gründung 2008 durch Denis Nikitin aus Russland als Vorzeigeunternehmen für rechtsextreme Kampfsportlerinnen und -sportler entwickelt. Seit Jahren wird eine Schweizer Aktiengesellschaft für den Vertrieb auf der Homepage angegeben, welches offensichtlich zum Umfeld der Pnos gehört. Meiner Meinung nach sollte deshalb die Arbeit gegen den Rechtsextremismus künftig unbedingt mit einem europäischen Massstab geführt werden.

Das müssen Sie erklären.

Ich halte es für ein grosses Problem, dass die Behörden auf europäischer Ebene bis heute noch kein Lagebild vom bestehenden internationalen Kampfsport-Netzwerk haben.

Warum?

Schaut man sich die Situation nur immer in einem der Länder an, dann sind es vielleicht nur einzelne Menschen oder Gruppen, die dem rechtsextremen Kampfsport frönen. Hält man jedoch international Ausschau, wird das Ausmass des Ganzen erst richtig sichtbar.

Fast überall in Europa ist in den vergangenen Jahren eine populäre rechte Bewegung entstanden, in Deutschland etwa die AfD. Was bedeutet diese Entwicklung für die Kampfsport-Szene, die Sie beschreiben?

Es zeigt, dass sich die rechtsextreme Bewegung in den letzten Jahren gut aufgestellt hat. Deshalb ist es auch so wichtig, die Bedrohung durch den Rechtsextremismus immer als Ganzes anzusehen. In Deutschland ist die AfD der wichtigste parlamentarische Arm der ganzen Szenerie, die die Grenzen zum Konservativismus gezielt aufweicht. Mit der Identitären Bewegung gibt es zudem ein akademisches Angebot für jüngere Rechtsextreme. Der Rechtsrock bietet ein kulturelles Angebot. Und dann gibt es Publikationen und Verlage wie die Junge Freiheit und Antaios, über deren Veröffentlichungen strategische Debatten geführt werden.

Der Untertitel Ihres Buches heisst: ‹Wie Europas extreme Rechte für den Umsturz trainiert›. Wie gefährlich respektive wie stark ist das europäische Netzwerk der rechtsextremen Kampfsportler wirklich?

Wir reden von einer europaweit gut organisierten Szene von militanten Neonazis, die sich sowohl im Kampfsport als auch mit Waffen wehrhaft machen. Das allein ist eine sehr gefährliche Entwicklung. Denn man muss immer im Hinterkopf behalten: Diese menschen- und demokratieverachtende Ideologie ist nicht nur extrem gewalttätig, sondern sie will auch die demokratische Ordnung erschüttern und ihre Institutionen bekämpfen.

«Es ist leider naiv zu denken, dass diese Gewalt- und Kampffähigkeit im Sportbereich verbleiben wird. Neonazis verhauen sich nicht nur gegenseitig, sondern nutzen ihre Gewaltfähigkeiten immer auch für politische Gewaltakte»: Robert Claus.
«Es ist leider naiv zu denken, dass diese Gewalt- und Kampffähigkeit im Sportbereich verbleiben wird. Neonazis verhauen sich nicht nur gegenseitig, sondern nutzen ihre Gewaltfähigkeiten immer auch für politische Gewaltakte»: Robert Claus.
Bild: Die Werkstatt

Neonazi-Kader reden immer wieder vom sogenannten ‹Tag X›: Was soll an diesem Tag genau passieren?

Der Code vom ‹Tag X› steht für den politischen Umsturz. Allerdings glaube ich nicht, dass militante Neonazis in nächster Zeit in einem europäischen Land die Macht übernehmen werden. Was ich jedoch sehe: Durch ihre Militanz sind diese Gruppierungen jederzeit fähig zu rechtsterroristischen Attentaten und brutalen Überfällen. Und Gewaltakte senden eben immer auch Zeichen.

Welche?

In der Wissenschaft wird Terrorismus immer auch als Akt der Kommunikation verstanden. Mit Terroranschlägen wird kommuniziert, dass insbesondere politische Feinde Angst haben sollen und die Gesellschaft durch die Eskalation politischer Konflikte bedroht ist.

Fordern Sie deshalb Behörden und Polizei auf, sich im Kampf gegen Rechtsextreme und Neonazis stärker international zu vernetzen?

So ist es. Im Kampf gegen Neonazis ist aber auch die Zivilgesellschaft gefordert. Damit dieser erfolgreich ist, braucht es nämlich Prävention und Intervention. Die Intervention beinhaltet Strafverfolgung und Verbote. Und bei der Prävention geht es etwa um die Frage: Was unternehmen die europäischen Kampfsportverbände im Kampf gegen Gewalt und Diskriminierung? Wie bauen sie eine Kultur der Vielfalt im Sinne es inklusiven Sports auf?

Ihr Buch heisst ‹Ihr Kampf›, eine Anspielung auf Adolf Hitlers Hetzschrift. Wessen Idee war der Titel?

Das war die Idee des Verlages. Wir hatten danach eine längere Diskussion, aber letztendlich muss ich sagen: Hätten wir das Buch ‹Neonazis im Kampfsport› genannt, wäre das viel zu harmlos gewesen. Eben, weil es nicht um Nazis geht, die nur Sport betreiben, sondern um eine hochgefährliche Szene, die Kampfsport für ihre nationalsozialistischen Ideale nutzt und sich wehrhaft machen will für künftige politische Kämpfe.

Sie stehen mit Ihrem Klarnamen hin, andere Autorinnen und Autoren, die am Buch mitgeschrieben haben, tun das nicht. Warum?

Ich arbeite seit mehreren Jahren in diesem Bereich und publiziere zu den Themen Fankultur, Vielfalt und Diskriminierung, Gewalt, extreme Rechte und Kampfsport. Das heisst, mein Name und mein Gesicht sind in Teilen der Öffentlichkeit bekannt. Die Leute, die im Buch unter Pseudonym arbeiten, sind Menschen, die bisher zu diesen Themen nicht in der Öffentlichkeit aufgetreten sind und das auch nicht wollen.

Hat es damit zu, dass diese Autorinnen und Autoren Angst haben, dass ihnen etwas zustossen könnte?

Auch, ja.

Bibliografie: Ihr Kampf – wie Europas extreme Rechte für den Umsturz trainiert, Robert Claus, 224 Seiten, Die Werkstatt, ca. 29.20 Fr.