Verschwörungstheorien «nach Corona»«Es brodelt auf diesem Niveau immer weiter»
Von Uz Rieger
25.7.2022
Ausgerechnet während der Corona-Pandemie sind die Anhänger von Verschwörungstheorien weniger geworden – das zeigt eine Studie. Wieso dieses Bild trügerisch ist, erklärt der Forscher Marko Kovic.
Von Uz Rieger
25.07.2022, 18:26
26.07.2022, 13:14
Von Uz Rieger
Verschwörungstheoretiker waren in der Corona-Pandemie auf massnahmenkritischen Demonstrationen und in den sozialen Netzwerken lange omnipräsent. Inzwischen hat sich die Aufregung scheinbar gelegt. Zu diesem Schluss kommt jedenfalls eine aktuelle Studie des Instituts für Delinquenz und Kriminalprävention der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW).
Laut der Untersuchung, über die zunächst SRF berichtete, glaubten im Jahr 2018 noch 36 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer an Verschwörungstheorien. Inmitten der Corona-Pandemie fiel ihr Anteil im Jahr 2021 dann aber deutlich auf 27 Prozent.
Über das Ergebnis überrascht zeigte sich nicht zuletzt ZHAW-Institutsleiter Dirk Baier. Immerhin sei in den letzten zwei Jahren viel über Verschwörungstheorien diskutiert wurden, führte er gegenüber SRF aus. Hierdurch sei auch der Eindruck entstanden, dass die Corona-Krise Verschwörungstheorien befördert habe.
Laut Baier wurden Verschwörungsgläubige durch ihre Proteste während der Corona-Krise wahrscheinlich einfach sichtbarer. Deshalb sei womöglich auch der Eindruck entstanden, sie seien mehr geworden. Auch erklärt Baier ihren zahlenmässigen Rückgang gerade durch ihre aggressiv geführten Proteste. Diese habe abschreckend auf viele Menschen gewirkt, die sich daraufhin distanziert hätten.
Zur Person
Foto: zvg
Marko Kovic forscht unter anderem über Verschwörungstheorien und wurde während der Corona-Pandemie medial bekannt. Der Politik- und Kommunikationswissenschaftler doziert an der Kalaidos Fachhochschule Schweiz in Zürich.
Zu einer anderen Einschätzung gelangt der auf das Thema spezialisierte Wissenschaftler Marko Kovic. Seiner Meinung nach ist das Potenzial von Verschwörungstheoretikern und -gläubigen weitgehend stabil. Auch habe sich ihr «Mindset» nicht notwendigerweise verändert. Sie seien nun in anderen Bereichen aktiv.
Wie ist das Ergebnis der Studie zu bewerten, Herr Kovic?
Der grundsätzliche Befund, dass zwischen einem Viertel und einem Drittel der Bevölkerung an Verschwörungstheorien glaubt oder ein ‹Verschwörungsmindset› hat, wird durch die internationale Literatur gestützt.
Es ist sehr wichtig, dass solche Studien durchgeführt werden, zumal wir in der Schweiz nicht allzu viele Untersuchungen zum Thema haben. Trotzdem habe ich auch Kritik. 2018 wurde in der Studie über eine Zufallsstichprobe physisch über Briefe befragt, 2021 dann über ein Online-Panel. Wir haben also zwei unterschiedliche Stichproben-Methoden. Wir können daher nicht ganz sicher sein, ob wir hier wirklich eine Entwicklung beobachten oder womöglich nur einen Effekt unterschiedlicher methodischer Zugänge.
Mehr als 27 Prozent der Schweizer*innen glauben demnach an Verschwörungstheorien. Ist das viel?
Es ist eine grosse Zahl, die uns auch zeigt, dass Verschwörungsglaube kein Randphänomen ist. Er betrifft grosse Teile der Bevölkerung und wir sind alle anfällig für Verschwörungserzählungen.
Was den Vergleich mit anderen Ländern angeht, befindet sich die Schweiz mit den ermittelten Zahlen aber wohl im Mittelfeld. Das Ausmass des Problems ist aber zweifellos gross und auch selbst dann noch da, wenn wir mal keine Pandemie haben. Es brodelt auf diesem Niveau eigentlich immer weiter – und selbst dann, wenn wir meinen, dass wir mit einem Thema durch sind.
Wenden sich Verschwörungsgläubige «nach Corona» einfach anderen Themen zu?
Psychologisch ist das sehr interessant. Wir wissen aus der Forschung, dass Menschen, die an Verschwörungstheorien glauben, nicht nur eine Sachfrage haben, die sie beantwortet haben wollen. Sie setzen sich eine Art Brille auf, ein Weltbild, mit dem man dann viele Dinge unterschiedlich sieht.
Momentan können wir beobachten, dass viele Menschen aus der Corona-Verschwörungsszene sich im Zuge des Kriegs in der Ukraine im Dunstkreis der Pro-Kreml-Verschwörungstheorien befinden. Das nicht unbedingt, weil diese Leute schon immer Putin-affin waren, sondern weil ihre verinnerlichten Deutungsmuster jetzt auch gut zu diesem Thema passen. Also etwa: Die Medien lügen. Sie haben uns in der Pandemie belogen und jetzt belügen sie uns wieder.
Warum werden Leute überhaupt verschwörungsgläubig?
Es gibt drei wesentliche Motive. Das erste ist das epistemische Motiv. Wenn etwas Schlimmes passiert, dann wollen wir wissen: Wer steckt dahinter? Zweitens das existenzielle Motiv. Hier geht es um das Gefühl des Kontrollverlusts. Das Gefühl der Fremdbestimmung und der Wunsch nach Autonomie, nach dem Motto: «Ich weiss was läuft, mir kann niemand etwas vormachen.» Beim dritten Motiv geht es um Gemeinschaft, die soziale Komponente. So glauben viele Menschen eben nicht isoliert für sich an eine Verschwörung. Sie tun sich online zusammen in ihren Communities. Und hier fühlen sie sich bestätigt und bestärken sich gegenseitig. Zugleich grenzt man sich so gegen eine Aussengruppe, die «Bösen», ab.
Handelt es sich oft um vereinsamte Menschen?
Es gibt die These, dass vor allem auch «Verlierer» anfällig für Verschwörungstheorien sind. Also Menschen, die im Leben Pech hatten, materiell depriviert sind, denen es nicht gut geht. Sie suchen sich hier die Antworten für ihre schlechte Lebenssituation zusammen.
Umfrage
Gibt es in deinem Umfeld Verschwörungsgläubige?
Wie gross ist die Gefahr, die von Verschwörungstheorien ausgeht?
Wenn wir in die USA blicken, sehen wir, wohin das führen kann. Ein grosser Teil der US-Bevölkerung glaubt etwa nach wie vor, dass Donald Trump die letzten Präsidentschaftswahlen gewonnen hat. Dass dabei eine grossangelegte Verschwörung der Demokraten stattfand und auch, dass einzelne Demokraten auch Kinder schänden, pädophil sind und Blut trinken. Lauter verrückte Dinge, die noch vor zehn Jahren als komplett absurd abgetan worden wären, inzwischen aber Mainstream sind und auch grossen politischen Schaden anrichten.
Ich weiss nicht, ob die Demokratie in den USA unter diesen Zuständen überleben können. Diesen schlimmsten Fall müssen wir aber auch in Europa sehr ernst nehmen. Wir haben hier zwar meist bessere politische Systeme, also Proporzwahlen und mehr Pluralismus bei den Parteien, weshalb die Gegensätze weniger scharf sind. Trotzdem besteht auch die Gefahr der Polarisierung und der gesellschaftlichen Fragmentierung bei uns.
Muss eine liberale Gesellschaft verschwörungstheoretische Strömungen aushalten können?
Hier gibt es sicher zwei Seiten, etwa dort, wo wir rote Linien haben und juristisch und polizeilich durchgreifen muss. Beispielhaft ist hier zuletzt etwa der Fall in Deutschland, wo der Plan einer Gruppe bekannt wurde, dass sie den Gesundheitsminister Karl Lauterbach entführen wollen – und auch die Regierung stürzen. Solche Aktivitäten müssen natürlich beobachtet und unterbunden werden.
Gleichzeitig bin ich aber auch der Meinung, dass eine Demokratie liberal sein und auch bestimmte Dinge aushalten können muss. Das beste Mittel gegen schlechte Argumente müssen gute Argumente sein. Dazu können etwa Fakten-Checks zählen, Präventivarbeit an den Schulen oder auch Debatten in den journalistischen Medien.
Worin unterscheiden sich eigentlich Fake News von Verschwörungstheorien?
Fake News ist ein schwammiger Begriff. Im engeren Sinn ist das eigentlich etwas, was sich als Journalismus präsentiert, wobei es sich um Falschinformation handelt. Ein Beispiel dafür sind etwa die vor allem früher bekannten «Clickbait-Seiten». Hier gab es coole Überschriften, die aber frei erfunden waren. Man hat draufgeklickt und die Leute haben Geld damit verdient.
Im heutigen Kontext denkt man mit Fake News vieles und auch je nach politischer Ausrichtung Unterschiedliches. Wenn Donald Trump etwa von Fake News spricht, dann meint er wahre Fakten, die ihm nicht genehm sind. Und das sind natürlich keine Fake News.
Ich spreche deshalb lieber von Verschwörungstheorien und vielleicht der schärferen Kategorie «Desinformation». Wenn politische Akteure beispielsweise bewusst falsche Informationen streuen, etwa Verschwörungstheorien, um politische Ziele zu erreichen. Dann haben wir es mit Desinformation zu tun und das ist politisch sicher nochmals heikler als Verschwörungstheorien.
Wenn jemand aufrichtig von sich aus etwas glaubt, dann kann man mit dieser Person immer noch reden. Wenn aber etwas andere Staaten unsere politische Debatte mit Verschwörungstheorien fluten, um uns zu manipulieren, kann man da nichts mehr mit guten Argumenten anrichten. Dann wird es wirklich verdammt schwierig