Proteste im Iran Mullahs jagen unverschleierte Frauen mit Gesichtserkennung

Von Philipp Dahm

29.1.2023

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23.01.2023

Auch wenn die Demonstrationen abgeflaut sind, schwelt der Widerstand im Iran. Die Mullahs setzen neben Gewalt auch auf Gesichtserkennung, um Frauen zu bestrafen, die die Kleiderordnung missachten.

Von Philipp Dahm

Der Protest gegen das Regime in Teheran geht weiter. Auch wenn die Demonstrationen im Iran zuletzt nicht mehr das Ausmass annahmen wie nach dem Tod von Mahsa Amini im September, ist der Widerstand noch nicht verebbt.

«Nachdem die Zahl der Demonstrationen seit Mitte November zurückgeht, scheint es eine Pattsituation zu geben, in der weder das Regime noch die Demonstrierenden in der Lage sind, die Gegenseite zu überwältigen», ordnet Ali Fathollah-Nejad von der American University of Beirut die Entwicklung in der «Japan Times» ein.

Wo im Iran zuletzt protestiert wurde.
Wo im Iran zuletzt protestiert wurde.
Karte: Institute for the Study of War

Einerseits gebe es zwar weniger Protest, doch der Iran-Experte gibt zu bedenken, dass «revolutionäre Prozesse normalerweise sowohl Phasen von Aufruhr als auch von relativer Ruhe beinhalten». Wegen der seit Anfang des Jahres «dramatischen» Inflation rechnet Ali Fathollah-Nejad weiterhin mit Protesten, deren wirtschaftliche Basis schnell ins Politische kippen könnte.

«Die Demonstrationen haben nicht wegen der gewalttätigen Verfolgung aufgehört», ergänzt Roya Boroumand vom Abdorrahman Boroumand Center. «Sie sind sicherlich abgeflaut. Wir beobachten auch Fälle von aussergerichtlichen Tötungen, und da sind die Bewohner natürlich vorsichtiger. Diese Proteste sind nicht vorüber.»

Terror gegen Kians Hinterbliebene

Das zeigen auch brutale Videos in den sozialen Netzwerken: Da wird ein zwölfjähriges Kind von einer Gruppe Polizisten zusammengeknüppelt. Da wird ein Mann namens Ashgar Nahvipour vor laufender Kamera in der U-Bahn von Teheran erschossen, weil er eine Frau gegen einen Mullah verteidigt haben soll. Für die abnorme Gewalt, die oft von der Iranischen Revolutionsgarde verübt wird, gibt es jede Menge Bildbeweise.

Wie grausam das Regime zu Werke geht, zeigt der Fall des kleinen Kian Pirfalak. Der Neunjährige ist im November auf den Strassen von Izeh erschossen worden. Auch sein Vater wurde auf der Demonstration von einer Kugel getroffen und am Rückenmark verletzt.

Weil Kians Mutter Zeinab Molaiezadeh sich in der Causa nicht hat mundtot machen lassen und ein kritisches Gedicht beim Begräbnis ihres Sohnes vorgetragen hat, wurde sie nun von der Kunsthochschule von Izeh entlassen.

Gesichtserkennung gegen Kopftuch-Muffel

Dass die Situation im Iran erneut eskalieren wird, ist abzusehen. Auch weil das Regime auf digitale Überwachung setzt, um Frauen, die die Speerspitze des Protests bilden, einzuschüchtern. Wie «Wired» berichtet, setzt Teheran auf Gesichtserkennung, um jene Frauen zu verfolgen, die auf das Kopftuch verzichten.

Das Kleidungsstück ist für Bürgerinnen ab neun Jahren verpflichtend. Wer es als Zeichen des Widerstandes weglässt, soll mithilfe der Technik bestraft werden. Die Gesichtserkennung soll demnach allgemein eingesetzt werden, um «unangebrachtes und ungewöhnliches» Verhalten zu «identifizieren», wobei explizit auch «Respektieren der Hijab-Gesetze» genannt wird.

Die Aufnahmen würden mit einer nationalen Datenbank abgeglichen, um die Übeltäter zu erkennen, ihnen Bussen zukommen zu lassen oder sie zu verhaften, heisst es weiter. Das Vorhaben sei bereits im September kommuniziert worden: Zwei Wochen später starb Mahsa Amini in Polizeigewahrsam, weil ihr Kopftuch nicht richtig sass. Inwiefern das System schon im Einsatz ist, ist allerdings unklar.

Polizei soll «entschieden» vorgehen

Fest steht nur, dass das Regime nicht zurücksteckt. «Das Verbrechen, das Kopftuch zu entfernen, ist ein offensichtliches Verbrechen», erklärt der stellvertretende Generalstaatsanwalt Abulsamad Khorramabadi. «Und die Sicherheitskräfte sind verpflichtet, diejenigen, die offensichtliche Verbrechen begehen, zu verhaften und sie der Justiz zur Bestrafung zuzuführen.»

Sein Vorgesetzter Mohammad Montazeri «hat gerade die Polizei angewiesen, im ganzen Land entschieden gegen das Verbrechen vorzugehen, das Kopftuch zu entfernen». Wie brutal das umgesetzt wird, beweisen die Videos auf Social Media unter dem Hashtag #MahsaAmini, von denen hier nur eines aus Teheran gezeigt werden kann, das nicht ganz so grausam ist wie andere.

Die schweren Menschenrechtsverletzungen haben nun zumindest im Westen Konsequenzen. Grossbritannien hat Sanktionen gegen die paramilitärische Basidsch-Miliz und mehrere Amtsträger der iranischen Führung beschlossen. Die EU ist nachgezogen: Ihre Strafmassnahmen treffen insgesamt 37 Personen und Organisationen.

Sanktionen und ein israelisch-amerikanisches Manöver 

Neben Parlamentariern werden zahlreiche regionale Ableger des Korps der Iranischen Revolutionsgarden und die Dachorganisation der Sittenwächter sanktioniert, doch auf die Liste der Terrororganisationen wurden die Revolutionsgarden nicht gesetzt. Der EU-Aussenbeauftragte Josep Borrell begründete das damit, dass erst ein Gericht eines Mitgliedslandes die Organisation als terroristisch verurteilen müsste.

Die Entscheidung wird von Oppositionellen harsch kritisiert. In der EU wird offenbar befürchtet, dass eine Einstufung der Revolutionsgarde als Terrorgruppe die ohnehin mageren Aussichten für eine Wiederbelebung des internationalen Atomabkommens völlig zunichtemachen würde.

Auch Washington verhängt Sanktionen gegen iranische Individuen. Gleichzeitig halten die USA und Israel derzeit eine gross angelegte Militärübung ab: Tausende Soldaten, rund 140 Flugzeuge und ein Dutzend Kriegsschiffe seien bis zum 27. Januar an der Übung in Israel und im östlichen Mittelmeer beteiligt, teilte Israels Militär mit.

Medienberichten zufolge handelt es sich um die grösste Militärübung, die Israel und die USA je gemeinsam abgehalten haben. Nach Angaben des Militärs soll durch die Übung einer «Vielzahl regionaler Bedrohungen» begegnet werden.