Fragen und AntwortenDas müssen Sie zum Militärputsch in Myanmar wissen
tsha/AP/dpa/SDA
1.2.2021
Wer steckt hinter dem Putsch in Myanmar – und wie geht es weiter in dem südostasiatischen Land? Die Ereignisse im Überblick.
In Myanmar (früher unter dem Namen Burma bekannt) hat sich das Militär in der Nacht auf Montag an die Macht geputscht. Die Verantwortlichen teilten mit, die Regierungsgewalt für ein Jahr übernehmen zu wollen. Wir erklären die Hintergründe der Ereignisse.
Was ist passiert?
Gerüchte über einen bevorstehenden Putsch in Myanmar hatte es in den vergangenen Tagen immer wieder gegeben. Am Montagvormittag dann die Gewissheit: Der Fernsehsender Myawaddy TV, laut der renommierten Zeitung «The Irrawaddy» das «Sprachrohr des Militärs», erklärte, Oberbefehlshaber Min Aung Hlaing werde die Regierung leiten; das Amt des Übergangsstaatsoberhaupts übernehme U Myint Swe, ein ehemaliger General.
Win Myint, bislang Präsident des südostasiatischen Landes, wurde offenbar in Gewahrsam genommen. Auch Aung San Suu Kyi, Friedensnobelpreisträgerin und De-facto-Regierungschefin, wurde festgesetzt, ebenso weitere Politiker ihrer regierenden National League for Democracy (NLD). Ob sich Suu Kyi in Haft befindet oder in Hausarrest, ist derzeit noch unklar.
«Das ist der Versuch eines Militärputsches», zitiert «The Irrawaddy» den NLD-Sprecher Dr. Myo Nyunt. Das Militär könne dem Putsch allerdings einen legalen Anstrich verleihen, indem es den in Gewahrsam genommenen Präsidenten zwinge, den Notstand auszurufen und die Macht ans Militär zu übertragen. Dies sei laut Verfassung von Myanmar möglich, so Nyunt.
Wieso hat das Militär geputscht?
Im vergangenen November wurde in Myanmar ein neues Parlament gewählt; dabei hatte Suu Kyis NLD die absolute Mehrheit geholt. Daraufhin hatte das Militär Vorwürfe des Wahlbetrugs erhoben, diese allerdings nicht belegen können. Die Regierung habe versagt, nach der Abstimmung Wahlbetrugsvorwürfen nachzugehen, erklärte das Militär am Montag.
Auch ausländische Wahlbeobachter zweifelten die Rechtmässigkeit der Abstimmung an – so durfte in Konfliktregionen wegen angeblicher Sicherheitsbedenken nicht abgestimmt werden, was rund 1,5 Millionen Menschen an der Ausübung ihres Wahlrechts gehindert habe. Ebenfalls nicht an der Wahl teilnehmen konnten Hunderttausende Mitglieder der muslimischen Minderheit der Rohingya, da das buddhistisch geprägte Myanmar sie nicht als Staatsbürger anerkennt.
Welche Rolle spielt das Militär in Myanmar?
Die ehemals britische Kolonie Burma wurde 1948 in die Unabhängigkeit entlassen. Versuche, einen demokratischen Staat zu errichten, wurden 1962 durch einen Militärputsch zunichtegemacht. Über Jahrzehnte bestimmte das Militär seitdem die Politik in Myanmar, mehrere Aufstände schlug es blutig nieder. Im Mai 1990 abgehaltene Wahlen, bei denen die Demokratiebewegung von Aung San Suu Kyi als Siegerin hervorgegangen war, wurden vom Militär nicht anerkannt, Suu Kyi wurde 15 Jahre lang unter Hausarrest gestellt.
Im Jahr 2008 begann das Militär, das Land zu öffnen. Ein Verfassungsreferendum sah Wahlen für das Jahr 2010 vor, doch erst weitere fünf Jahre später kam es zur ersten freien Abstimmung. Dabei gewann die NLD die absolute Mehrheit. Allerdings sichert die Verfassung auch dem Militär eine wichtige Rolle: Ein Viertel der Sitze in den beiden Kammern des Parlaments ist für die Streitkräfte reserviert.
Welche Rolle spielt Friedensnobelpreisträgerin Suu Kyi?
Aung San Suu Kyi erhielt 1991 den Friedensnobelpreis für ihren Kampf für Freiheit und Demokratie in Myanmar. Auch wenn ihr das Amt der Staatspräsidentin verwehrt blieb (laut Verfassung von 2008 ist es Bürgern, die mit Ausländern verheiratet sind, verboten, ein Amt zu übernehmen – Suu Kyi war bis zu dessen Tod mit einem Briten verheiratet), prägte die charismatische Politikerin in den letzten Jahren als eine Art Beraterin die Entwicklung in Myanmar entscheidend mit. Der Putsch könnte nun ihr Lebenswerk zerstören.
In einem auf Facebook geteilten Aufruf von Suu Kyi heisst es: «Die Öffentlichkeit ist dazu aufgerufen, sich dem Militärputsch voll und ganz zu widersetzen und sich entschieden dagegen zu wehren.»
Im Westen war Suu Kyi zuletzt hochumstritten. Ihr wurde vorgeworfen, die Verfolgung der Rohingya toleriert zu haben. Suu Kyi stritt immer wieder ab, dass es sich bei dem brutalen Vorgehen des Militärs gegen die muslimische Minderheit um einen Völkermord handle. Tiefgreifende demokratische Reformen, die Suu Kyi nach der Wahl 2015 versprochen hatte, blieben zudem aus. Vielmehr wurde der einstigen Freiheitskämpferin von ausländischen Beobachtern ein autoritärer Regierungsstil vorgeworfen.
Was bedeutet der Putsch für die verfolgten Rohingya?
Mehr als eine Million Rohingya mussten in den vergangenen Jahren Myanmar verlassen. Die meisten von ihnen kamen im benachbarten Bangladesch unter. In Myanmar selbst leben noch mehrere hunderttausend Angehörige dieser Minderheit. Welche Auswirkungen der Putsch auf sie haben wird, ist noch unklar.
Allerdings drückte die Regierung von Bangladesch bereits ihren Wunsch aus, mit der bereits begonnenen Rückführung von Rohingya nach Myanmar trotz des Putsches fortfahren zu können. Der Nachrichtenagentur Reuters sagte ein 31-jähriger Flüchtling, der in einem Lager in Bangladesch lebt, er mache sich grosse Sorgen: «Ich habe Angst vor dem, was mit den Rohingya-Muslimen in Myanmar passieren wird.»
Wie reagiert die Weltgemeinschaft?
Der Putsch des Militärs in Myanmar wurde international scharf verurteilt. Die Schweiz forderte die Freilassung aller festgesetzten Regierungsmitglieder und rief das Militär dazu auf, die Macht wieder abzugeben. «Das EDA unterstützt das Streben des myanmarischen Volkes nach Demokratie, Frieden und Entwicklung und ruft die Armee dazu auf, ihre Aktionen unverzüglich ausser Kraft zu setzen», so das EDA gegenüber der Nachrichtenagentur Keystone-SDA.
Der neue US-Aussenminister Antony Blinken sagte, das Militär müsse den Willen des Volkes respektieren, so wie er bei den demokratischen Wahlen ausgedrückt worden sei. Die Vereinigten Staaten unterstützten den Wunsch der Bevölkerung nach Demokratie, Freiheit, Frieden und Entwicklung.
Auch UNO-Generalsekretär António Guterres verurteilte die Ereignisse. Es beunruhige ihn, dass die Kontrolle der drei Staatsgewalten auf das Militär übergegangen sei. Diese Entwicklungen seien ein schwerer Schlag für die demokratischen Reformen in Myanmar, sagte ein UNO-Sprecher.
Wie geht es nun weiter?
Medienberichten zufolge ist die Lage in Myanmar derzeit ruhig, es gebe keine gewaltsamen Zwischenfälle. In der Hauptstadt Naypyidaw seien Telefon- und Internetverbindungen vorübergehend gekappt worden. Auf den Strassen der Stadt würden, ebenso wie in der Metropole und früheren Hauptstadt Rangun, Soldaten patrouillieren.
Vor der Botschaft von Myanmar in Bangkok kam es zu Demonstrationen gegen die Machtübernahme durch das Militär. In den sozialen Netzwerken riefen Bürger von Myanmar zum Widerstand und zur Unterstützung von Aung San Suu Kyi auf.
Das Militär kündigte unterdessen an, in einem Jahr Wahlen abhalten zu wollen und die Macht an den Sieger zu übergeben.