Late Night USA«Wie das einzige Kind im Quartier, das einen Pool hat»
Von Philipp Dahm
6.5.2022
Der Supreme Court in den USA will die Abtreibungsregelung kippen. Das Ganze ist ein Angriff auf die Rechte der Frauen – mit Ansage, wie Seth Meyers verdeutlicht: Donald Trump hat das von langer Hand geplant.
Von Philipp Dahm
06.05.2022, 12:08
06.05.2022, 15:49
Philipp Dahm
Seth Meyers leitet das Thema selbst perfekt ein: «Fünf konservative Richter am Obersten Gericht sind offensichtlich bereit, Roe v. Wade zu kassieren und das von der Verfassung garantierte Recht zu kippen, nach dem Frauen autonom über ihren Körper bestimmen können. Dabei untergraben sie den Willen der überwältigenden Mehrheit der Amerikaner und widersetzen sich einer jahrelang legalen Praxis.»
Klar, dass «Late Night» bei diesem Thema um einen Closer Look nicht herumkommt: Bekannt wurde das Vorhaben, weil ein vertraulicher Entwurf des Obersten Gerichts öffentlich geworden ist. Das sei in der Form ein Novum in der US-Rechtsprechung, analysiert ein ABC-Reporter: «Man kann nicht genug betonen, was für eine grosse Sache das ist. Das Vertrauen ist zerstört.»
Das tut Seth Meyers wiederum wahnsinnig leid: «Vielleicht kann [der konservative Richter] Samuel Alito jetzt ein T-Shirt tragen, auf dem steht: Mein Gericht, meine Wahl» – analog zum feministischen Spruch «My body, my choice». Den Entwurf veröffentlicht zu sehen, sei für die obersten Richter, als würde man seinen Sportlehrer im Schnapsladen treffen oder wie wenn man mitbekommt, dass der McDonald's-Angestellte gerade ein Pferd in die Küche führt.
Vielleicht verdiene es die Institution auch, mal ein bisschen durchgeschüttelt zu werden. «Man könnte argumentieren, dass [das Gericht] bereits vor langer Zeit von zynischen Republikanern zerstört worden ist, die Jahrzehnte damit zugebracht haben, es in eine politische Waffe zu verwandeln», meint Meyers mit Blick auf das fragwürdige Nominierungsprozedere der Partei, was die Richter angeht.
«Gib mir dein Telefon»
Da sei es auch nicht weiter verwunderlich, dass im republikanischen Lager nicht darüber geredet wird, dass Frauen ein Sieg genommen wird, den sie vor über 50 Jahren erstritten haben. Stattdessen «heulen die Konservativen herum und stellen sich wegen des Leaks auch noch als Opfer dar», nervt sich der Gastgeber.
Late Night USA – Amerika verstehen
blue News
50 Staaten, 330 Millionen Menschen und noch mehr Meinungen: Wie soll man «Amerika verstehen»? Wer den Überblick behalten will, ohne dabei aufzulaufen, braucht einen Leuchtturm. Die Late-Night-Stars bieten eine der besten Navigationshilfen: Sie sind die perfekten Lotsen, die unbarmherzig Untiefen bei Land und Leuten benennen, und dienen unserem Autor Philipp Dahm als Komik-Kompass für die Befindlichkeit der amerikanischen Seele.
Der Clip ab Minute 2:50 zeigt, was er meint. Fox-News-Frau Laura Ingraham fordert darin «Konsequenzen»: Der Präsident des Gerichts «oder das FBI» müsse jeden Angestellten überprüfen. «Gib mir dein Telefon. Wir wollen alle deine Zugänge. Wir müssen jedes Gerät anschauen, das du je benutzt hast und herausfinden, wer es [der Presse weitergegeben hat].»
«Die Privatsphäre des Gerichts wurde verletzt und nichts ist heiliger als Privatsphäre», erregt sich der Late-Night-Host. «Also gebt mir eure Telefone! Wir wollen alle eure Zugänge: Uber, Pinterest und Just Eat. Ich will wissen, ob ihr verdächtiges hippes Essen wie grüne Säfte oder Quinoa-Burger bestellt habt.»
Herr Stinchfield hat einen Verdacht
Wer den Entwurf verraten hat, bleibt unklar. Was Seth Meyers leider unterschlägt, ist eine haarsträubende Äusserung eines Newsmax-Moderators: Grant Stinchfield findet es «suspekt, dass der erste Leak in der Geschichte des Obersten Gerichts kommt, wenn kurz davor [die schwarze] Richterin Jackson nominiert worden ist: Sie wäre meine erste Verdächtige, wenn es um das Leak geht.»
Der Südafrikaner Trevor Noah kontert in seiner «Daily Show» trocken: «Und mein erster Arschloch-Verdächtiger bist du.»
Doch zurück zu Seth Meyers: «Die Tatsache, dass sie alle wegen des Leaks durchdrehen, anstatt ihren Sieg zu feiern, sagt einiges aus», erklärt der 48-Jährige. «Es unterstreicht wieder einmal, dass diese Leute sogar auf der Höhe der Macht immer das Opfer spielen müssen.» Sie würden auch jammern, wenn sie beim «Glücksrad» ein Auto gewinnen würden: «Aber ich habe doch schon zwei Autos in meiner Garage! Ich habe keinen Platz für einen brandneuen Stingray! Das ist so unfair!»
Wem das noch nicht weich genug ist, kommt vielleicht beim Clip ab Minute 4:23 auf seine oder ihre Kosten: «Das ist ein Aufstand gegen das Gericht», behauptet der Republikaner Ari Fleischer bei Fox News. «Ich bin so froh, dass Ari den Begriff Aufstand benutzt hat», stimmt ihm Parteikollege Mike Huckabee zu.
«Eine unerhörte Form von Aufstand»
Aber es sei nicht bloss ein Aufstand, bei dem «irgendein Typ aus irgendeinem Staat, dem etwas heiss unter dem Kragen geworden ist, der nach Washington gefahren ist und es bei einer Wahlkampfveranstaltung etwas übertrieben hat», fährt der frühere Gouverneur von Arkansas mit Blick auf den Sturm des Kapitols fort.
Huckabee findet schlimmer, dass der aktuelle Fall «der Aufstand einer Person» sei, die «der Steuerzahler zahlt» und der «die Pflicht» habe, «seinen Mund zu halten». Deshalb sei das Ganze gar «eine unerhörte Form von Aufstand»: «Wenn das, was am 6. Januar [2021] passiert ist, eine Revolte war, ist das absolut ein Aufstand.»
«Ein Dokument unerlaubt zu veröffentlichen ist kein Aufstand», widerspricht Meyers – ein gewalttätiger Mob sei es dagegen schon. Es gehe bloss um etwas Geschriebenes: «Glauben Sie, Mike Pence würde lieber vom Secret Service aus einem Gebäude evakuiert werden, während ein Mob ‹Hängt Mike Pence› singt, oder würde er lieber ein geleaktes Dokument lesen, auf dem ‹Hängt Mike Pence› steht?»
«Obama einen Sitz geklaut»
Meinten diese Leute wirklich, dass es das Leak sei, das das Vertrauen ins Oberste Gericht untergräbt, fragt der frühere Star aus «Saturday Night Live». «Und nicht die Tatsache, dass die Republikaner Präsident [Barack] Obama einen Sitz geklaut haben oder die Tatsache, dass mehrere ihrer Kandidaten offensichtlich gelogen haben, als es um ihre Haltung gegenüber Roe [v. Wade] ging?»
Meyers meint damit, dass die Republikaner sowohl Brett Kavanaugh als auch Amy Coney Barrett unter fragwürdigen Umständen ins Amt gehievt haben. Ins Klo habe einer der Rechtssprecher ausserdem bei einer virtuellen Anhörung gegriffen. Das Ergebnis ist ab Minute 6:45 zu hören, als jemand mitten in der Aussage eines Anwalts die Toilettenspülung betätigt.
Das Oberste Gericht plane schon seit 1989, das Abtreibungsrecht zu verschärfen – zu sehen ab Minute 7:48. Im Fall Webster v. Reproductive Health Services hätten demnach bereits vier Richter signalisiert, sie würden die Regelung gern kippen. Donald Trump habe das Signal aufgenommen und den Plan finalisiert, weshalb die Konservativen auch über dessen Ausfälle und Verbrechen hinweggesehen hätten.
«Wenn ihr in den Pool wollt, müsst ihr meine Freunde sein»
Der Clip ab Minute 9:16 vom Juli 2016 belegt das: «Wenn ihr Donald Trump wirklich mögt, ist das grossartig», sagt der Ex-Präsident. «Aber auch wenn ihr es nicht tut, müsst ihr für mich stimmen. Wisst ihr, warum? Oberste Bundesrichter. Ihr habt keine Wahl. Sorry. Sorry!» «Er klingt wie das einzige Kind im Quartier, das einen Pool hat», lästert Meyers. «Wenn ihr in den Pool wollt, müsst ihr meine Freunde sein. Sorry. Sorry!»
Wenn die damaligen Kandidaten für den Bundesrichter-Posten wüssten, wie unpopulär eine Neuregelung ist, hätten sie in Sachen Abtreibung gelogen, so Meyers: 2019 haben sich bei einer Umfrage nur 13 Prozent für eine Verschärfung ausgesprochen. Dabei hat Trump sogar zugegeben, dass er in diesem Punkt etwas vorhat.
Im Clip ab Minute 11 sagt Trump im Oktober 2016: «Wenn wir zwei oder drei Bundesrichter einsetzen, gibt es [eine Verschärfung], weil ich Pro-Leben-Richter einsetzen werde.» Im November doppelt er nach, eine Neuregelung würde den einzelnen Bundesstaaten das Recht überlassen, Abtreibungen zu verbieten. Betroffene Frauen «müssten vielleicht in einen anderen Staat fahren», wenn sie die Schwangerschaft abbrechen wollten.
«Geschäft mit dem Teufel»
«Es macht wütend, wenn jemand, der wegen Kleinigkeiten die Fassung verliert, dir sagt, dass das, was dir Sorgen macht, keine grosse Sache ist», regt sich Meyers auf. «Trump hat diesem ganzen korrupten Unterfangen die Maske abgezogen und sein Geschäft mit dem Teufel offengelegt.» Da sei es nicht gerade glaubwürdig, wenn andere Republikaner nun Krokodilstränen vergiessen.
Gemeint ist Susan Collins: Die Senatorin aus Maine wird ab Minute 12:38 mit den Worten der Überraschung zitiert, dass die Entscheidung der Richter Brett Kavanaugh und Neil Gorsuch ja gar nicht zu dem passe, was sie bei ihrer Nominierung in den Anhörungen vor dem Senat gesagt hätten. Auch die republikanische Senatorin Lisa Murkowski kann es nicht glauben.
Dafür hat Meyers nur Spott übrig: «Sorry, das hat euer Vertrauen ins Oberste Gericht erschüttert? Und als ihr herausgefunden habt, dass die Zahnfee nicht echt ist, hat das auch euer Vertrauen in die Zahnheilkunde erschüttert? Ich denke, sie wussten, dass es so weit kommt und jetzt tun sie überrascht.»
Und als sei es für die Rechte der Frauen nicht schon ein schlechter Tag genug, muss man sich ausserdem fragen, was dieser Oberste Gerichtshof noch vorhat, wenn es um die LGBTQ+-Gemeinde oder die gleichgeschlechtliche Ehe geht. Das kann noch heiter werden.