Machtkampf in der UkraineKlitschko geht wieder auf Selenskyj los – was steckt dahinter?
Von Tobias Benz
29.4.2024
Klitschko wirft Selenskyj Fehler vor und wirbt für Ehrlichkeit
Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko hat dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj ungewöhnlich deutlich «Fehler» vorgeworfen. Klitschko sagte dem Newsportal «20 Minuten»:
«Die Leute fragen sich, wieso wir auf diesen Krieg nicht besser vorbereitet waren. Wieso Selenskyj bis zum Schluss verneinte, dass es dazu kommen werde.»
04.12.2023
In seinem jüngsten Interview äussert Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko erneut Kritik an Wolodymyr Selenskyj. Bringt sich der ehemalige Box-Champion bereits in Stellung für eine Zeit nach dem Krieg?
Tobias Benz
29.04.2024, 23:29
30.04.2024, 11:59
Tobias Benz
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko übt in einem Interview mit deutschen Medien Kritik an Präsident Wolodymyr Selenskyj.
Es ist nicht das erste Mal, dass die beiden ukrainischen Politiker aneinandergeraten.
Bereits 2019, kurz nach der gewonnenen Präsidentschaftswahl, versuchte Selenskyj, seinen politischen Gegner zu entmachten.
Klitschko konnte sich damals erfolgreich gegen ein Ermittlungsverfahren wegen Veruntreuung staatlicher Finanzmittel wehren.
Seit Kriegsausbruch ist das Geplänkel der beiden Politiker in den Hintergrund gedrängt worden. Nun scheint es sich wieder einen Weg an die Öffentlichkeit zu bahnen.
In einem Interview mit der deutschen Funke Mediengruppe schiesst Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko zum wiederholten Mal gegen die ukrainische Regierung um Wolodymyr Selenskyj. Er wirft dem Präsidenten vor, zu wenig gegen die im Land grassierende Korruption zu unternehmen, und bemängelt fehlende Kommunikation.
Haben die politischen Grabenkämpfe für die Zeit nach dem Krieg bereits begonnen – oder nie aufgehört?
Scharfe Kritik an Selenskyj
Auf die Frage, ob die Regierung bei der Korruptionsbekämpfung auf einem guten Weg sei, sagte Klitschko: «Diese Frage können Sie jedem Bürger stellen, und ich bin sicher, jeder Bürger sagt: ‹Nein.›» Er selbst habe «genau dieselbe Meinung».
Es ist nicht das erste Mal, dass der einstige Profiboxer seinen Unmut gegenüber dem seit 2019 im Amt waltenden Selenskyj äussert. Im Dezember liess der 52-Jährige bereits mit gezielter Kritik aufhorchen. «Die Leute fragen sich, wieso wir auf diesen Krieg nicht besser vorbereitet waren. Wieso Selenskyj bis zum Schluss verneinte, dass es dazu kommen werde», giftete Klitschko damals gegenüber «20 Minuten».
«Es gab zu viele Informationen, die sich mit der Realität nicht deckten. Selenskyj zahlt für die Fehler, die er gemacht hat. Selbstverständlich können wir euphorisch unser Volk und unsere Partner anlügen. Aber das kann man nicht ewig machen», goss Kiews Bürgermeister weiter Öl ins Feuer. Gleichzeitig stellte sich Klitschko auf die Seite des mittlerweile ersetzten ukrainischen Armeechefs Walerij Saluschnyj und setzte damit ein weiteres Zeichen im politischen Streit mit Selenskyj.
Auf die Frage, ob er sich mit dem Präsidenten mittlerweile getroffen habe, um die Spannungen zwischen den beiden aus der Welt zu schaffen, sagte Klitschko nun, er habe das seit dem Kriegsanfang zigmal versucht, weil von der Hauptstadt viel abhänge. «Aber leider hatte ich nicht die Gelegenheit, Selenskyj persönlich zu treffen. Wahrscheinlich hat er anderes zu tun.»
Als Selenskyj versuchte, Klitschko loszuwerden
Das Misstrauen beruht auf Gegenseitigkeit. Bereits kurz nach seiner Wahl im Jahr 2019 versuchte Selenskyj, den 2014 zum Bürgermeister der Hauptstadt gewählten Ex-Box-Champion abzusetzen. Der Grund: Klitschko war Verbündeter des bei den Wahlen gescheiterten Selenskyj-Vorgängers Petro Poroschenko und ist mittlerweile auch Teil dessen Partei «Block Petro Poroschenko» oder «Europäische Solidarität».
Als oberstes Ziel der Partei gilt die Annäherung der Ukraine an die EU. Ein Beitritt ist unter anderem an strikte Antikorruptionsmassnahmen geknüpft. Dort sieht Klitschko offenbar weiterhin grosses Verbesserungspotenzial, was er auch in seiner jüngsten Kritik am Präsidenten untermauert.
Ironischerweise wurde Klitschko 2019 seitens Selenskyj selbst der Korruption bezichtigt. Damals versuchte der neugewählte Präsident, seinen politischen Gegner mit einem Ermittlungsverfahren wegen Veruntreuung staatlicher Finanzmittel zu entmachten, um ihn als Bürgermeister Kiews mit jemandem aus den eigenen Reihen zu ersetzen.
Klitschko beschrieb die Vorwürfe als «lächerlich» und tatsächlich scheiterte Selenskyj mit seinem Entmachtungsversuch. Etwas Ruhe kehrte zwischen den beiden ein, als der Präsident im Jahr 2022 den Kriegszustand ausrufen liess und die politischen Geplänkel dadurch mehrheitlich in den Hintergrund gerieten. Seit sich die ukrainische Position im russischen Angriffskrieg verschlechtert hat, scheinen sie nun wieder häufiger den Weg an die Öffentlichkeit zu finden.
Offiziell will Klitschko aber zum aktuellen Zeitpunkt nichts von einer Präsidentschaft wissen. Auf die Frage, ob er das Amt übernehmen wolle, verwies Klitschko gegenüber der Funke Mediengruppe auf die Zeit nach dem Krieg. «Heute geht es nicht um Träume, jetzt muss es um den Wunsch gehen, den Krieg zu gewinnen, den Krieg zu beenden und wieder Frieden zu haben. Danach können wir über politische Ambitionen reden», so der 52-Jährige.
Gleichzeitig nutzte Klitschko aber die Chance, um noch einmal gegen Selenskyjs Führung zu sticheln, und sagte, es gebe viel zu viele Politiker – auch in der Regierung –, für die auch jetzt persönliche Ambitionen wichtiger seien als die Interessen des Landes. Klitschko beklagte mit Blick auf sein Verhältnis zu Selenskyj zudem einen Mangel an Zusammenhalt unter den führenden Politikern in der Ukraine: «Leider gibt es in dieser Kriegszeit keine Einheit zwischen den politischen Kräften.»
Wie es im Kampf um die ukrainische Präsidentschaft weitergeht, hängt unweigerlich auch vom Ende des Krieges ab. Der politische Stellungskampf für eine Zeit, wenn wieder Wahlen anstehen, scheint aber bereits losgetreten worden zu sein. Politische Figuren wie Vitali Klitschko dürften sich dabei weiter versuchen, in Stellung zu bringen.